„100 Seiten“ über den legendären Meisterdetektiv Sherlock Holmes
Jürgen Kaube, Herausgeber des Feuilletons der F.A.Z., erhielt 2021 den Deutschen Sachbuchpreis für sein Werk „Hegels Welt“. Dieser vermutlich eher schweren Kost für „normale“ Leser, folgt nun ein gut verständliches und daher leicht lesbares Buch über Sherlock Holmes, eine der bekanntesten Figuren weltweit. „100 Seiten“ ist eine interessante Reihe aus dem Reclam-Verlag und bietet ein informatives Kompendium, um in das jeweilige Thema einzusteigen. Allerdings ist die Holmes-Forschung soweit fortgeschritten, dass es kaum noch neue Erkenntnisse zu entdecken gibt.
Doch wenn schon (fast) alles erforscht ist, drängt sich folgende Frage auf.
Muss man als Holmes-Fan dieses Buch lesen?
Sagen wir mal ganz klassisch: Es kommt drauf an. Wer (beispielsweise) „Von Mr. Holmes zu Sherlock“ des schwedischen Holmes-Experten Mattias Boström gelesen hat, muss hier nicht zwingend zugreifen. Wer dieses Buch (es wird von Jürgen Kaube völlig zu Recht als Lektüretipp genannt) jedoch nicht kennt und womöglich gar als angehender Holmes-Fan einsteigen möchte, der ist bei Boström zwar bestens aufgehoben, muss dort allerdings über 600 Seiten bewältigen. Da bietet die Reihe „100 Seiten“ die deutlich schlankere Alternative und ist nicht nur für Einsteiger in die Holmes-Welt eine gute Wahl. Jürgen Kaube gibt einen umfangreichen und vielfältigen Einblick, allerdings eben in stark komprimierter Form. Diese Verkürzung geht jedoch nicht zu Lasten der Qualität; im Gegenteil, (fast) alle relevanten Aspekte werden in fünfzehn Kapiteln angemessen beleuchtet.
So beginnt das Buch folgerichtig mit einer zeitlichen Einordnung sowohl der Polizeiarbeit wie der des Detektivromans. 1829 wird die Metropolitan Police etabliert und namentlich durch den Sitz ihres Haupteinganges weltberühmt, denn dieser befindet sich in der Straße „Great Scotland Yard“. 1842 gibt es in England erstmals echte Kriminalpolizisten, die meist aus der unteren oder bestenfalls mittleren Gesellschaftsebene kommen und nicht selten zuvor Kontakte mit dem Verbrechermilieu aus eigener, aktiver Zeit hatten. Doch wie sollen derartige Polizisten in der höheren, vermeintlich besseren Gesellschaft ermitteln können? Die literarische Lösung bietet den Privatdetektiv an, der ohne groß in der Öffentlichkeit aufzufallen, diese Lücke schließt. Die erste Detektivgeschichte erscheint 1841. „Die Morde in der Rue Morgue“ von Edgar Allen Poe mit Auguste Dupin als Protagonist.
Zwischen 1887 und 1927 erscheinen von Sir Arthur Conan Doyle insgesamt vier Romane und 56 Erzählungen, die sich dem Sherlock-Holmes-Kanon zurechnen lassen. Doyle wurde dabei von drei Menschen stark beeinflusst: Edgar Allan Poe (1809-1849) über seine Figur des Auguste Dupin, dem Arzt und Forensiker Joseph Bell (1837-1911), für den Doyle an der Universität von Edinburgh als Assistent tätig war, und nicht zuletzt von Robert Louis Stevenson (1850-1894; u. a. „Die Schatzinsel“, „Der merkwürdige Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde“).
Weitere Kapitel widmen sich Dr. Watson, Sherlocks Bruder Mycroft, Professor Moriarty, der nicht von Doyle erschaffenen Schwester Enola sowie dem Fall des Serienmörders Jack the Ripper, der seine Morde im Jahr 1888 verübte, also in jener Zeit, in der Holmes tätig war. Den Methoden der Deduktion wird nachgegangen und dargelegt, dass der Begriff ein wenig in die Irre führt. Ein weiteres Kapitel widmet sich natürlich dem „Hund von Baskerville“.
Als Doyle seiner Figur überdrüssig wurde, ließ er diese einfach sterben. 20.000 Abonnenten des Magazins „The Strand“ kündigten daraufhin ihr Abo. Acht Jahre später und finanziell in Schieflage geraten, kehrte Doyle fulminant zurück. Mit seinem beliebtesten Roman, der auch am häufigsten verfilmt wurde. Apropos: 353 Verfilmungen gab es allein bis 2011, darunter der erste im Jahr 1900. Ein 35 Sekunden kurzer Werbefilm, der zeitlich in den Beginn der Filmgeschichte fiel. Vier große Schauspieler werden hauptsächlich mit dem Meisterdetektiv in Verbindung gebracht: Basil Rathbone (vierzehn Filme in acht Jahren), Peter Cushing (1959 im ersten Holmes-Farbfilm „Der Hund von Baskerville“ zu sehen; später folgte eine BBC-Reihe mit 16 Episoden), Jeremy Brett (zwischen 1984-1994 erschien die große BBC-Serie mit 39 Erzählungen und zwei Romanen) und natürlich – in der heutigen Zeit angekommen – Benedict Cumberbatch, der ab 2010 die Rolle spielte und der Figur einen sehr forschen, modernen Anstrich verpasste.
Um abschließend die eingangs gestellte Frage etwas klarer zu beantworten: Ja, man sollte das Buch lesen!
- Autor: Jürgen Kaube
- Titel: Sherlock Holmes
- Verlag: Reclam
- Umfang: 100 Seiten
- Einband: Taschenbuch
- Erschienen: Oktober 2024
- ISBN: 978-3-15-020716-1
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Wertung: 13/15 dpt