Welche Hauptaufgaben und Ziele verfolgt das DÖW seit seiner Gründung, und wie haben sich diese im Laufe der Zeit entwickelt?
Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes „DÖW“ wurde 1963 von ehemaligen Widerstandskämpfer*innen und Verfolgten des NS-Regimes sowie engagierten Wissenschafter*innen als Verein gegründet. 1983 wurde die Stiftung DÖW errichtet: Die Republik Österreich und die Stadt Wien finanzieren seither die Stiftung zu gleichen Teilen, der Verein brachte die Materialien ein, also Dokumente, Fotos, Kunstwerke etc. Ko-Finanzierungen erfolgen durch das Land Niederösterreich, verschiedene Ministerien und über Drittmittel.
Im Lauf der Zeit ist dann aber klar geworden, dass die Hoffnung, dass das Problem des Rechtsextremismus sich mit der Niederschlagung des NS-Regimes erledigen würde, trügerisch war. Dass die Problematik weiter besteht und darum wurde begonnen, auch aktuellen Rechtsextremismus zu dokumentieren. Das beginnt in den 1970er-Jahren, und das ist eben jener Arbeitsbereich, in dem ich heute aktiv bin und der sich dynamisch entwickelt. Natürlich spielt sich heute das meiste im Internet ab, was in den 1990ern noch eine andere Situation war. Das bringt natürlich auch neue Herausforderungen an die Dokumentationsarbeit mit sich.
Das DÖW bietet auch Vorträge und Workshops an Schulen an. Wie wird das angenommen und wie läuft die Auseinandersetzung mit Jugendlichen ab? Bringen sich diese in die Diskussion ein oder gibt es hier schon Anzeichen der “jungen Rechten”?
Wir setzen sehr vielfältige Bildungsmaßnahmen. Es kommen zum Beispiel sehr viele Schulklassen zu uns, um sich unsere Ausstellungen anzusehen, also die Dauerausstellung im 1. Bezirk, aber auch die Dauerausstellung über die NS-Medizinverbrechen am Steinhof. Wir gehen auch an Schulen und machen dort Workshops zu Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus bzw. zur Prävention dieser Phänomene. Außerdem sind wir auch im Bereich der Erwachsenenbildung tätig – in Kooperation mit vielfältigen Organisationen, wie gewerkschaftlichen und politischen. Das ist also ein recht breites Feld. Ich bin eigentlich hauptsächlich in der Erwachsenenbildung tätig, in Fachhochschulen und an Unis sowie in Kulturinitiativen, daher kann ich zu Schulklassen kaum aus eigener Erfahrung sprechen. Von den Kolleg*innen bekomme ich aber mit, dass die Erlebnisse recht gemischt sind. Da können auch recht frustrierende Dinge dabei sein, öfters fallen recht harte, rassistische, homophobe Aussagen und dergleichen. Gleichzeitig gibt es aber auch immer wieder sehr motivierende Erlebnisse. Ich denke, es ist eine Eigenheit der pädagogischen Arbeit, dass sie ein breites Spektrum an Erfahrungen und Gefühlen aufruft.
Welche aktuellen Trends beobachten Sie in der Entwicklung des Rechtsextremismus in Österreich und Europa, und welche Rolle spielen dabei soziale Medien? Sinkt dadurch die Hemmschwelle etwas zu posten?
Man kann gar nicht den Anspruch haben, wirklich alles im Blick zu haben, was sich im Internet auf den diversen Plattformen tut, in Sachen Hassrede, wo meistens Einzelpersonen dafür verantwortlich sind.
Unser Zugang ist, dass wir uns auf den organisierten Rechtsextremismus fokussieren. Das heißt auch entsprechende Gruppierungen und deren Auftritte in den entsprechenden Medien. Wir hätten gar nicht die Ressourcen, einzelnen Fällen von sozusagen privater Hassrede irgendwo auf Facebook, TikTok oder Instagram nachzugehen.
Bedenkt man, dass soziale Medien Verkürzung, Komplexitätsreduktion und Emotionalisierung, hier vor allem negative Emotionen, bedeuten, dann ist diese Funktionsweise der sozialen Medien wie jenen von rechtsextremen Diskursen weitgehend identisch. Das ist mitunter ein Grund, warum die extremen Rechte im Netz und den sozialen Medien so erfolgreich sind.
Es werden gerade in diesem Spektrum gerne Messenger-Dienste wie Telegram verwendet. Werden diese von Ihnen auch genutzt, abonnieren Sie Kanäle und Gruppen, um zu sehen, was geschrieben wird. Wenn ja, wie leicht erhält man Zugang dazu?
Das passiert schon auch. Man hat halt sehr unterschiedliche Grade der Konspirativität. Es gibt Gruppen, die sehr schwer zu infiltrieren sind und es gibt andere, die weitgehend offen kommunizieren. In derartige Gruppen kommt man entsprechend leicht hinein, wir bekommen aber natürlich auch Hinweise von anderen Leuten. Unterm Strich hat die Verlagerung der Kommunikation ins Internet das Monitoring leichter gemacht. Schwerer gemacht wird dies nur durch das wachsende Volumen. Da ist man bei begrenzten Ressourcen gezwungen, einzelne Schwerpunkte zu setzen und Entscheidungen zu treffen.
Die Arbeit des DÖW wird mitunter durch Bundesmittel finanziert, wahrscheinlich sind diese allerdings zu gering, um die Arbeit wirklich und zielführend durchzuführen. Ist die Finanzierung hier also der Flaschenhals, wo doch mehr oder gezielter gemacht werden könnte?
Mehr Ressourcen sind natürlich immer wünschenswert, aber trotzdem möchte ich mich nicht beschweren, weil wir gerade in den letzten Jahren zusätzliche Ressourcen erhalten haben. Bei der Arbeit im Rechtsextremismusbereich waren wir viele Jahre zu zweit, jetzt sind wir zu sechst, das sind zwar keine Vollzeitäquivalente, dennoch haben wir die Ressourcen im Rechtsextremismusmonitoring verdoppeln können. Wenn man noch mehr machen will, noch mehr im Blick haben will, wäre das nur mit mehr Ressourcen möglich. Hier ist jedenfalls niemand unterbeschäftigt.
Wie geht man persönlich damit um, wenn man mit so viel Hass und Rechtsextremismus konfrontiert ist? Stumpft man mit der Zeit ab?
Es wird individuell unterschiedlich sein. Bei mir beobachte ich schon so etwas wie eine Abstumpfung. Ich beobachte immer wieder, dass sich Leute empören oder in Wut und Verzweiflung geraten, während ich das nur noch achselzuckend zur Kenntnis nehme. Das ist sicher ein Zeichen einer Abstumpfung, aber anders wäre die Arbeit vielleicht auch gar nicht zu machen. Würde eine alles, was man hier täglich sieht, emotionalisieren, wäre das einfach ungesund
Sie haben vorhin erwähnt, den organisierten Rechtsextremismus zu beobachten. Wie sieht es beispielsweise aus, sobald eine Gruppe identifiziert wurde, welche für spezifische Dinge verantwortlich ist oder in Verdacht steht. Findet hier eine Zusammenarbeit mit den Behörden statt?
Die grundsätzliche Frage ist, ob eine Gruppe Aktivitäten entfaltet, die strafrechtlich relevant sind. Wenn das der Fall ist, leiten wir das natürlich den zuständigen Behörden weiter. Wenn nicht, dann stellt sich für uns die Frage, welche Relevanz schreiben wir dieser Gruppierung zu: Lohnt sich eine nähere Beobachtung? Meistens ist es jedoch so, dass man von der Existenz neuer Gruppen, Initiativen oder Medien über die Beobachtung der bestehenden erfährt. In dem Moment, in dem diese Gruppen von der Szene rezipiert, geteilt oder vorgestellt werden, ist das meist der Moment, in dem wir davon Kenntnis erlangen. Dann schaut man, welche Informationskanäle es gibt. Üblicherweise sind das heutzutage Online-Kanäle, teilweise sind es nach wie vor Printmedien, teilweise sind es auch Informationen, die uns zugespielt werden.
Arbeitet das DÖW auch international zusammen oder beschränkt sich die Arbeit auf Österreich?
Unsere Beobachtungen und unser Monitoring sind stark auf Österreich fokussiert. Wir haben aber den Anspruch, die Austauschbeziehungen zwischen Österreich und anderen Ländern im Blick zu haben. Das heißt, rechtsextreme Kontaktpflege über Ländergrenzen hinweg, dies betrifft vor allem die Nachbarstaaten, aber auch etwa Russland, , Kroatien, Polen und Serbien. Aber auch die Türkei, da es gerade in Österreich in migrantischen Communities rechtsextreme Strukturen wie die „Grauen Wölfe“ gibt. Das versuchen wir seit einigen Jahren verstärkt in den Blick zu bekommen. Allen voran beobachten wir Deutschland aus naheliegenden Gründen, da die österreichische Szene mit der deutschen seit jeher sehr verbunden ist. Gerade mit Deutschland gibt es immer wieder einen Austausch mit ähnlichen Organisationen und im geringeren Maße auch mit anderen Ländern. Wir haben in den letzten Jahren versucht, unseren Blick dahingehend zu erweitern, um diese Netzwerke besser beobachten zu können.
Wenn wir konkret nach Deutschland blicken, gibt es dort mit der AfD und der Identitären Bewegung zwei rechtsextreme Gruppen. Inwieweit muss man bei den kommenden Wahlen, auch in Österreich, vor einem Rechtsruck Angst haben? 1
Ich gehe nicht davon aus, dass sich irgendjemand in den nächsten Monaten mäßigen wird, allerdings wird es im Wahlkampf wohl nicht zu physischen Auseinandersetzungen kommen. Was die Frage nach der Angst betrifft, hängt es wohl sehr vom Standort ab. Als weißer Mann mit österreichischer Staatsbürgerschaft, dem an liberaler Demokratie eher nicht so viel liegt, hat man wenig zu befürchten. Als migrantische Frau oder bei einer anderen marginalisierten Identität schaut das natürlich ganz anders aus. Da gibt es sehr unterschiedliche Grade an Vulnerabilität.
Gibt es noch etwas, dass Sie unseren Leser*innen mitgeben wollen?
Wahrscheinlich nicht spezifisch an die „booknerds“, obwohl ich mich im erweiterten Sinn dazu zähle, da ich Bücher mag, auch wenn mir die Zeit für Belletristik fehlt. Aber ganz grundsätzlich weise ich darauf hin, dass es viele Ebenen gibt, wenn man den Rechtsextremismus bekämpfen will. Von oben, der Ebene der Parteipolitik, wo die politische Konkurrenz der extremen Rechten den Menschen plausible, nachvollziehbare Alternativangebote macht, bis unten auf die Ebene des einzelnen Individuums. Hier geht es darum, in einzelnen Situationen, in denen entsprechende Aussagen oder Verhaltensweisen beobachtet werden, natürlich unter Wahrung der eigenen Grenzen, einfach „Nein!“ zu sagen, Widerspruch zu äußern und damit einen Beitrag zu leisten gegen die Normalisierung entsprechender Einstellungen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Infobox MMag. Dr. Bernhard Weidinger | |
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DÖW, Daniel Shaked | Forschung, Monitoring und Dokumentation im Arbeitsbereich Rechtsextremismus beim Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands Forschungsschwerpunkte Rechtsextremismus in Österreich und im internationalen Vergleich Völkischer Nationalismus Deutschnationale Studentenverbindungen Männlichkeiten Extreme Rechte und Religion |
Webseite beim DÖW |
- Das Interview führte Dominic Schlatter im Juni 2024. ↩︎