Ein kleiner Vers aus einem Gedicht. Zwei Wörter nur. Und ein Gedankenstrich. Der Gedankenstrich ist wichtig, weil er das Wesentliche ausdrückt. Und ich -. Wie kann dieser Satzbeginn enden? Der Strich gibt Raum für Entscheidungen.
Stellt euch vor, ihr steht inmitten einer Kreuzung im Wald. Ein Wegweiser nennt euch die Namen der Ziele, die in erreichbarer Nähe liegen. Vielleicht noch eine Kilometerzahl dazu.
Und ich – ist eine Anthologie von zwanzig Texten, die das Thema Wendepunkte behandeln. Dabei können Wendepunkte so vielseitig sein wie die Urheberinnen, die sich für dieses Projekt zusammengeschlossen haben. Irgendwie. Vielleicht jede für sich, aber am Schluss doch vereint in einem über zweihundert Seiten langen Buch.
Was sind Wendepunkte im Leben? Die Autorinnen geben Antworten darauf. Ihre Geschichten sind Einblicke in Biografien vor dem Hintergrund von Weltgeschichte. Anekdoten aus fremden Leben. Große Veränderungen. Feine Nuancen, für andere kaum sichtbar, für die Protagonistinnen lebensverändernd.
Für die eine ist es die Grenze zwischen Leben und Tod. Für andere ist es das Erkennen von Schönheit, die Entscheidung für ein bis drei Kinder, eine Sturmnacht mit sturem Baumstumpf, ein Wespenstich, der Sprache transportiert, der Verkauf eines Wohnwagens als Schussstrich einer Ära, die Begegnung mit einer Frau, die von Nichtsnutzen heimgesucht wird, ein Umsteigen in eine fremde Stadt, einen neuen Beruf, getragen von Freundschaft, die Verbannung aus der DDR, …
Die Texte sind so unterschiedlich wie die Schriftstellerinnen. Manche Geschichten, wie bspw. von Gabriele von Arnim, lassen sich locker leicht lesen und halten uns vor, wie eigensinnig wir sein, wie wundervoll wir sein können. Wir haben kein Recht zu urteilen. Zu verurteilen.
Andere Texte sind in Gedichtform verfasst, wie von Caca Savic.
fehlte die kleine Tasche in meinem Reisepass stand ein altes Datum ich wusste nicht, dass das Datum das Gestern nie erreichen würde meine Ankunft verschoben, ich stand auf einem Bahnsteig in anderer Ankündigung Manche sind traurig, manche bedrückend, manche erschreckend. Nie gleich. Hinzu kommt eine feministische Nuance. Doch hier ist Geschmack unterschiedlich. Bei näherer Betrachtung des Textes Ich tausche, du tauschst, wir täuschen kommt der Verdacht auf, dass eine Grenze überschritten wird. Hier werden Männer beschrieben, die den Unterschied zwischen ihrer und anderen Frauen nicht erkennen. Hinzu kommen Träume, in denen die Protagonistin Männer auf brutale Weise tötet. Es sind die Rachefantasien einer Figur, die zu sehr unter dem Patriarchat gelitten hat. Außerdem muss erwähnt werden, dass nicht alle Texte leicht zu verstehen sind. Manche sind so abstrakt, dass sie die Leser*innen zur Interpretation herausfordern. Fazit Das Buch weckt Hoffnungen. Die Thematik betrifft ausnahmslos jeden Menschen. Umso größer sind die Erwartungen an die Texte, die so sorgfältig zusammengetragen wurden. Leider fehlt das Positive. Das Übersprühende. Das Gefühl, dass Wendepunkte der Beginn von etwas Neuem, Großartigem sind. Das gelingt nur wenigen Autorinnen. Stattdessen lässt diese Anthologie seine Leser*innen nachdenklich zurück. Gleichzeitig fehlen die männlichen Stimmen. Es wäre spannend, Wendepunkte im Leben von Männern und Frauen gegenüberzustellen. Auch der Vergleich der Schreibstile wäre ein interessantes Unterfangen gewesen. Literarisch eine kleine Entdeckungsreise, thematisch ein großartiges Fundament. In der Umsetzung nicht einfach zu verdauen. Literatur kann schwer im Magen liegen. Wertung: 11/15 dpt
Danke für die hilfreichen Rezensionen. Was hindert euch daran, die Buchpreise dazu zu schreiben. Ich muss die Bücher bezahlen und, na klar, ist das ein wichtiges Kaufkriterium. Jeder Leser/jede Leserin weiß, dass Bücher Geld kosten, sie es aber ggf.auch wert sind. Bitte gebt die Preise doch demnächst mit an.