“Wenn sie lügt” ist Geschkes zehnter Roman
Zwanzig Jahre ist es nun her, als Norahs Freund David ein Liebespärchen auf einem Parkplatz überraschte und es niederschoss. Seitdem gilt Norah als die Freundin des Killers. Zwanzig Jahre ist es auch her, als ihr bester Freund Goran wortlos Waldesroda verlassen hat.
Als Inhaberin eines kleinen Cafés führt sie nun ein beschauliches Leben, auch wenn die Vergangenheit sie nie losgelassen hat. Eines Tages jedoch erhält sie einen Brief, der Fragen aufwirft. Die Briefe häufen sich. Und sie klingen verdächtig nach ihrem ehemaligen Freund, David. Dabei ist sich die Polizei sicher, dass David damals auf der Flucht ertrunken ist. Was Norah nicht weiß, ist, dass ihre Mutter Goran bittet zurückzukommen.
Kann es Goran gelingen, dem Spuk ein Ende zu bereiten? Und welche Geheimnisse birgt Norah über jene Nacht, in der zwei unschuldige Menschen starben?
Mit „Wenn sie lügt“ legt Linus Geschke nun seinen zehnten Roman vor. Da bereits das Thriller-Debüt ein Bestseller-Erfolg wurde, stellt sich die Frage, ob die Neuerscheinung ein würdiger Nachfolger in der Reihe atemraubender Spannung ist.
Der Thriller handelt von einer jugendlichen Clique, aus deren Mitte ein Mädchen ausbricht, da es sich in einen vier Jahre älteren Jungen verliebt hat. Der Junge entpuppt sich als zunehmend besitzergreifend und gewaltbereit, sodass sich Norah schon bald von ihm trennen möchte. Allerdings dauert es, bis sie einen Ausweg aus der Beziehung findet. Kurz darauf geschieht ein grausames Verbrechen. Ein Pärchen wird erschossen, die Frau verstümmelt. Schon bald ist klar, dass Norahs Exfreund der Täter ist. Schnitt.
In der Gegenwart ist die Clique zerteilt. Einer macht Musikkarriere in Köln, eine ist gestorben, zwei sind verheiratet, einer führt ein Leben am Rande der Legalität, und einer ist so, wie er immer war. Erst durch Norahs Briefe kommt es zu schönen und unschönen Wiedersehen.
Im Mittelpunkt stehen zwei Charaktere, Norah und Goran. Norah kennt alle Geheimnisse um die Mordnacht und die Tage unmittelbar davor und danach. Goran weiß lediglich das, was in der Zeitung stand. Ihm sind sämtlich Details unbekannt. Und Norah ist nicht bereit, ihm, der sie im Stich gelassen hat, alles anzuvertrauen. Umso mehr muss sich Goran fragen, welche Rolle seine damals beste Freundin bei den Morden spielte.
Die Kapitel sind kurz, weshalb die Leser*innen zum stetigen Weiterlesen animiert werden. Hinzu kommt, dass sie die Perspektive wechseln. Mal wird die Geschichte aus Gorans, dann aus Norahs Sicht erzählt. Um nachzuvollziehen, was 2004 in Waldesroda geschah, werden immer wieder Rückblicke eingeblendet, die einzelne Ausschnitte aus dem Leben und Zusammensein der Clique beinhalten. Ergänzt wird das Erzählte durch eine völlig andere Sicht, nämlich von IHM.
ER kommt immer wieder zu Wort. ER hat einen Ton, der schon bald sicherstellt, um wen es sich bei dem Briefeschreiber handelt.
Was Linus Geschke hervorragend gelingt, ist das Irreführen seiner Leserschaft. Immer wieder lassen sich Verdächtigungen anstellen, nur um kurz darauf wieder korrigiert zu werden. Immer wieder werden Indizien, Motive und Möglichkeiten gegenübergestellt, nur um herauszufinden, dass dieser Weg vielleicht eine Sackgasse ist.
Interessant sind dabei vor allem die Charaktere. Weder Norah noch Goran sind die perfekten Sympathen. Norah als die von allen Angehimmelte, wirkt gegenwärtig ein wenig abweisend, vielleicht sogar ausgebrannt, wenn sie in ihrem Café steht und ihre Einnahmen zählt.
Goran hingegen ist der klassische attraktive Mann. Optisch. Denn er hat sich für einen Lebensweg entschieden, der jeder Schwiegermutter die Kaffeetasse aus der Hand fallen lassen würde. Auch seine Methoden, um an Informationen zu kommen, lassen zu wünschen übrig.
Gerade dieser Umstand macht die Figuren zu perfekten Protagonisten, da sie in ihrer Unvollkommenheit authentisch wirken. Genauso verhandelt der Autor mit dem Antagonisten. Denn ER ist zwar von Grund auf böse. Aber!
Fazit:
„Wenn sie lügt“ hat alles, was ein Thriller braucht, um seiner Leser*innen zu fesseln. Ein Verbrechen, das Fragen aufwirft. Einen Täter, der plötzlich von den Toten auferstanden ist. Eine Protagonistin mit gleich mehreren Geheimnissen. Nebencharaktere, die mit der Wahrheit zurückhalten. Einen Schauplatz, der so einsam wie öde ist. Und einen Helden, der sich selbst vermutlich nicht als solchen bezeichnen würde.
Alles richtig gemacht!
- Autor: Linus Geschke
- Titel: Wenn sie lügt
- Verlag: Piper
- Umfang: 416 Seiten
- Einband: Paperback
- Erschienen: 31. Mai 2024
- ISBN: 978-3-492-06486-6
- Produktseite
Wertung: 15/15 dpt