Bis heute ein letztlich ungeklärter Fall
Die neunzehnjährige Ruth Heine lernt 1933 in Hamburg den zehn Jahre älteren Arzt Dr. Wolfgang Trautmann kennen, in den sie sich hoffnungslos verliebt. Der Frauenschwarm, der regelmäßig Kontakt zu anderen Frauen pflegt, lässt sich auf eine Beziehung mit Ruth ein, dabei auf eine hohe Mitgift der Eltern hoffend. Doch nur mit Hilfe eines von ihr gefälschten Sparkassenbuches kann Ruth einen ordentlichen Geldbetrag vorweisen, was jedoch nicht lang unentdeckt bleibt. Mit Hilfe ihrer Eltern und eines psychiatrischen Gutachtens entgeht sie einer Haftstrafe. Gerade einmal drei Monate sind Ruth und Wolfgang verheiratet, da reicht dieser die Scheidung ein; mangels finanzieller Basis. Sich selber an dem gemeinsamen Leben finanziell zu beteiligen kommt ihm dagegen nicht in den Sinn. Ruth ist allerdings schwanger und so findet man erneut zusammen, wobei sich an der Beziehung wenig ändert. Ruth besorgt – erneut mit einer Betrügerei – Geld und für Wolfgang den Haushalt, während sich dieser weiterhin anderen Frauen hingibt. Im Oktober 1935 wird Ruth dann doch wegen fortgesetzten Betruges zu einer Haftstrafe verurteilt. Einundzwanzig Jahre ist sie da jung, geschieden und vorbestraft.
1936 lernt sie John Blaue kennen, der sie nach eigenen Worten zwar verehrt, sexuell aber lieber mit anderen Frauen, vorwiegend Freudenmädchen, verkehrt. Von gegenseitiger Liebe kann keine Rede sein, dennoch kommt es zur Eheschließung im Jahr 1940. Nach Kriegsende zieht Ruth zu ihren Eltern nach Elmshorn, wo sie eine Leihbücherei eröffnet. Hier lernt sie den zehn Jahre jüngeren Horst Buchholz kennen, der als Bildhauer und Holzschnitzer sein Geld verdient und teilweise in der Bücherei seine Arbeiten zum Kauf anbietet. John lebt derweil in Norwegen, wo er eine Freundin nebst gemeinsamen Kind hat. Jeder scheint seiner Wege zu gehen, doch John kehrt zurück und fordert von seiner Frau deren eheliche Pflichten ein. Auf Dauer kann dies nicht gutgehen, denn Ruth leidet unter der Brutalität ihres Mannes, Horst unter der Gesamtsituation. In der Nacht des 14. November 1946 wird John Blaue getötet. Gemeinsam lassen Ruth und Horst ihn in einem nahegelegenen Badesee verschwinden, wo sein aufgedunsener Leichnam erst Monate später entdeckt wird.
Es ist Nachkriegszeit. Verschwundene Personen sind an der Tagesordnung, Verbrechen bis hin zu Morden nicht selten und die Polizei ist mit der Situation überfordert. Der mit mehreren Axthieben entstellte Kopf verhindert eine eindeutige Identifizierung, Hinweise oder gar Zeugenaussagen gibt es nicht. Der Leichnam wird beigesetzt, der Fall ungeklärt zu den Akten gelegt und erst Jahre später erneut aufgerollt.
Toxische Beziehungen mit wechselnder Führung
True-Crime-Spezialistin Kathrin Hanke („Die Engelmacherin von St. Pauli“, „Die Giftmörderin Grete Beier“) legt mit ihrem aktuellen Buch „Die Axtmörderin mit dem Madonnengesicht. Ruth Blaue“ erneut eine packende, romanhaft erzählte Biografie vor. Eine Frau, deren Leben von drei höchst unterschiedlichen Männern geprägt ist. Ein Arzt, der sie ausnutzt und dem sie dennoch verfallen ist; ein schüchterner Verehrer, der durch die Nazizeit zum selbstherrlichen, brutalen Ehemann mutiert und ein zehn Jahre jüngerer Künstler, der sich seinerseits der älteren Geliebten unterordnet. 1955 kam es zu einem Gerichtsurteil, Ruth Blaue wurde wegen Ehegattenmordes zu lebenslanger Haft verurteilt und konnte erst vierzehn Jahre später das Gefängnis verlassen. Da hatte sie der Krebs bereits unheilbar erkranken lassen. Und Horst Buchholz? Der nahm sich in der Nacht vom 8. auf den 9. November 1955 in der Untersuchungshaft das Leben. Wenige Tage vor dem Prozessbeginn.
Kathrin Hanke nimmt sich viel Zeit, um das Leben der Ruth Blaue zu schildern. Dabei steht neben ihrem eigentlichen Charakter natürlich auch ihre bemerkenswerte Männerauswahl im Fokus. Die spätere Ermittlungsarbeit der Polizei sowie das Gerichtsverfahren nehmen hingegen einen eher kurzen Platz ein. Hier hätte man sich eine ausführlichere Darstellung gewünscht. Dennoch ist der Mix aus Ruths Leben, dem Mord an John und dessen (nicht erfolgter) Aufklärung gelungen. Insgesamt bleibt der Fall ein Rätsel, denn Ruth und Horst gaben rund vierzig Versionen gegenüber den Ermittlern ab. Mal handelte man selber, mal gemeinsam, dann war es die andere Person alleine schuld.
Final beweisen lässt sich nichts, allein die Indizien lassen gewisse Rückschlüsse zu. Heute wäre wohl ein Freispruch denkbar, denn, wie die Autorin in ihrem Nachwort anführt, gilt heute der Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“. Damals bestand die Jury ausschließlich aus Männern, die sich womöglich in der einen oder anderen männlichen Person in Ruth Blaues Leben indirekt widerfanden. Zudem hatte sie das Problem, dass sie ihr Leben lang durch zahlreiche Lügen auf sich aufmerksam machte.
Wer sich für True-Crime interessiert, noch dazu mit speziellem Blick auf die Nachkriegsjahre, kann und sollte zugreifen.
- Autorin: Kathrin Hanke
- Titel: Die Axtmörderin mit dem Madonnengesicht
- Verlag: Gmeiner
- Umfang: 256 Seiten
- Einband: Taschenbuch
- Erschienen: September 2024
- ISBN: 978-3-8392-0725-3
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Wertung: 12/15 dpt