Hubertus von Prittwitz – Skarabäus (Buch)


Skarabäus – ein etwas anderes Debüt

Als Spross einer Adelsfamilie mit Kriegsverdiensten liegt es nahe, dass Friedrich mit den Erfolgen seiner Ahnen frühestmöglich vertraut gemacht wird. So gehört das Halten von Lobeshymnen am Grabe seiner verstorbenen Verwandten genauso zu seiner Kindheit wie das Erdulden der Strenge durch seinen Vater.

Friedrich ist anders als die anderen Kinder. Er trägt abgetragene Kleidung. Er hat am Tisch still zu sein. Er wird mit dem Bewusstsein groß, eine einzige Enttäuschung für seinen Vater und seine Stiefmutter zu sein. Er wird überwacht wie ein Staatsfeind. Er wird täglichen körperlichen Inspektionen unterzogen, die sich auf sein primäres Geschlechtsorgan fokussieren. Er ängstigt sich. Er ekelt sich. Er erduldet. Und er hasst.

Skarabäus ist der Debütroman von Allroundtalent Hubertus von Prittwitz, der Politikwissenschaft studierte, als Eventmanager, Texter, Redakteur, Übersetzer und Lektor arbeitete. Gehört auch das Schreiben zu seinen vielfältigen Talenten? Man kann diese Frage mit einem klaren Ja beantworten.

Mit seinem Debüt hat von Prittwitz ein Buch vorgelegt, das seine eigene Sprache, seinen eigenen Ton und seine eigene Atmosphäre hat. Diese Atmosphäre muss nicht gefallen. Sie ist wie ewiger Winter. Genauso wie Friedrich finden sich die Lesenden während der Lektüre in einer eisigen Kälte wieder, scheinbar ausgerüstet für das, was vor ihnen liegt, doch zitternd und mit dem Wunsch, dass es doch endlich wärmer werden möge. Einziger Unterschied ist, dass sich die Leser*innen nicht einnässen. Und wenn, dann nur die Wenigsten. Aber was macht dieses Buch so kalt, ja, manchmal sogar abstoßend?

Zum einen sind es die Umstände, unter denen Friedrich heranwächst. Er ist der Sohn eines BND-Agenten. Der Vater ist nicht fähig, seine Arbeit von seinem Privatleben zu trennen. Gleichzeitig beweist er eine unsagbare Grausamkeit, indem er das Kind von seiner Mutter trennt. Trotz des emotionalen Verlusts und der Qualen werden die Briefe und Geschenke der Mutter einbehalten und dem Sohn gesagt, dass diese sich nicht mehr für ihn interessiere. Alles im Sinne der Bundesrepublik.

„Wir haben Weihnachten vor der Tür. Iris wird den Weihnachtsbrief an deine Mutter überwachen, hörst du, Friedrich? Sie wird dein Zimmer nach Gegenständen vom Feind durchsuchen. Du gehst nicht mehr ans Telefon, nur noch Iris. Und du fährst nicht mit Fremden mit.“

Hinzu kommt der sexuelle Missbrauch durch Stiefmutter Iris, die täglich die Funktion seiner Vorsteherdrüse überwacht. Erst später stellt sich heraus, durch wen dieser Missbrauch ebenfalls erfolgt.

Es ist eine kranke Familie, in die Friedrich da hineinwächst. Erfolge von Ahnen werden gefeiert wie die eigenen. Ein Umstand, der den meisten Menschen heutzutage fremd sein dürfte. Die totale Überwachung und Erniedrigung gehören ebenso zum Alltag wie die heimlichen Schießübungen im Keller des Vaters. Und doch…

Friedrich ist kein Protagonist, der Sympathien bei seiner Leserschaft sammelt. Im Gegensatz. Obwohl es als Erwachsener nicht schwerfällt, Mitleid mit diesem Kind zu haben, fällt es ebenso leicht, sich angewidert von dem Jungen abzuwenden. Beispielsweise wenn er Mordfantasien gegen seine Stiefmutter hegt. Überhaupt spielt Frauenhass eine große Rolle in dem Roman.

Friedrich wünschte Beatrix die Pest an den Hals. Sein Feind hieß Mutter. Er verscheuchte den Gedanken, der wie ein Automatismus aufgetaucht war. Sowohl Praetorius als auch Amalia dachten, dass Frauen nicht Motorrad fuhren, beide waren auf der Flucht vor der Realität, und er, Friedrich, wollte nicht zwischen ihnen stehen. Hier, in der Weltraumkapsel, leugnet niemand die echte Welt.

„Versteh mich nicht falsch – ich respektiere Frauen. Als Gegner!“, sagte Eckhart. Die anderen lachten.

Alle drei Tage stirbt in Deutschland eine Frau durch den Partner oder Expartner. Vor diesem Hintergrund sind es schwer verdauliche Worte, die die Leser*innen schlucken müssen. Auf der anderen Seite wäre jede Verweichlichung des Textes unangemessen gewesen. Es ist nicht nur Aufgabe der Kunst zu unterhalten. Sie soll auch provozieren. Missstände anprangern. Von Prittwitz provoziert gewaltig. Bleibt zu hoffen, dass es sich hier um ein Anprangern handelt.

Fazit

Es ist keine schöne Lektüre. Dessen muss man sich bewusst sein, wenn man zu Skarabäus greift.

Fridrich ist ein unangenehmer Charakter, der es sich zwischenzeitlich zur Aufgabe macht, Hunderte von Fliegen zu töten. Es ist keine angenehme Umgebung, in der sein Leben gefangen ist. Obwohl sich die Härte immerhin mit den Ortswechseln, bedingt durch die Flucht des Vaters, ein wenig auflöst, was jedoch auch dem Alter des Protagonisten geschuldet ist.

Und doch hat dieses Buch das sprichwörtliche gewisse Etwas. Ob es in der Fähigkeit des Autors liegt, das Abscheuliche sichtbar zu machen. Oder ob es die Faszination des Bösen ist – so oder so ist dieser Roman einen genaueren Blick wert.

  • Autor: Hubertus von Prittwitz
  • Titel: Skarabäus
  • Verlag: Europa Verlag
  • Umfang: 296 Seiten
  • Einband: Gebundene Ausgabe
  • Erschienen: 27. Juni 2024
  • ISBN: 978-3-95890-631-0
  • Produktseite

Wertung: 13/15 dpt


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