Ela Meyer – Furchen und Dellen (Buch)

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Mit Furchen und Dellen, erschienen im Goya Verlag, gelingt es der Autorin Ela Meyer, sensible, komplexe und oft tabuisierte Themen wie Feminismus oder Kinderlosigkeit auf eine ermutigende und authentische Weise zu beleuchten. Sie fordert in ihrem Werk dazu auf, die eigenen Lebensentscheidungen selbstbewusst anzunehmen und zur eigenen Identität zu stehen, unabhängig vom gewählten Lebensweg.

Als Chris erfährt, dass ihr Opa im Sterben liegt, kehrt sie – Jahre nachdem sie ihre Heimatstadt verlassen hat, um als Technikerin in der Theaterwelt auf Tour zu gehen – zurück. Sie beschließt, länger zu bleiben, da sie damals nicht nur ihre Mutter und ihren Bruder zurückließ, sondern auch ihre WG, samt ihrer Freunde, die für sie ebenso wichtig waren wie ihre eigene Familie. Diese Freunde waren jedoch auch der Grund dafür, dass Chris die Stadt fluchtartig verließ, da ihre beste Freundin Doro sie vor eine Entscheidung stellte, die für Chris nicht tragbar war und deren Folgen sie sich nach ihrer Rückkehr stellen muss. Die Aura des exzentrischen Opas, der mit seinem konservativen Frauenbild und seinen cholerischen Ausbrüchen die Kindheit von Chris und ihrem Bruder stark prägte, umgibt Meyers Protagonistin dabei wie ein Mantel, den sie immer wieder abzustreifen versucht.

Chris hinterfragt fortwährend ihre Entscheidungen und fühlt sich nicht selten von den Erwartungen überfordert, die sie von der Außenwelt und den Menschen, die ihr nahestehen, wahrnimmt. Immer wieder wird sie dazu gedrängt, sich mit ihrer Rolle in der Gesellschaft auseinanderzusetzen – sei es als Tochter, Tante, Enkelin, Schwester oder schlichtweg als Frau.

Jenseits der Menopause beschreibt die Autorin Ela Meyer den vermeintlichen Werteverfall und das Unsichtbarwerden von Frauen, insbesondere wenn sie sich dazu entscheiden, keine eigenen Kinder in die Welt zu setzen und damit der vermeintlichen Erwartung nicht gerecht werden. Die Menopause, oft mit Scham behaftet, nimmt in Furchen und Dellen einen wichtigen Platz ein. Meyer bricht das Schweigen, das dieses Thema in vielen Kreisen umgibt, und gibt den körperlichen und seelischen Veränderungen, die mit dieser Lebensphase einhergehen, eine Stimme. Die Geschichten ihrer Figuren zeigen, dass das Ende der Fruchtbarkeit nicht das Ende des Frauseins bedeutet, sondern den Beginn einer neuen Phase, die ebenso mit Herausforderungen wie mit Möglichkeiten verbunden ist.

„Das Altern der anderen rührte mich, war so intim wie alle körperlichen Prozesse, derer wir uns schämten und die wir voreinander zu verbergen suchten. Ich fühlte mich in guter Gesellschaft mit den eigenen Dellen und Furchen.“ (S. 89)

Meyer lässt ihre Protagonistin jedoch nicht in Melancholie versinken. Chris geht ihren eigenen Weg, auch wenn dieser oft holprig und steil ist. Ihrer einfühlsamen Gedankenwelt stehen die authentischen und nachvollziehbaren Wutausbrüche gegenüber, die die Lektüre so mitreißend und unterhaltsam machen. Man fühlt sich abgeholt und gerade als Leserin verstanden, denn von einer Frau wird eher nicht erwartet, dass sie dem nächsten Auto, das ihr als Radfahrerin die Vorfahrt nimmt, den Spiegel abtritt. Diese Menschlichkeit, besonders in den Momenten, in denen Chris ihre Entscheidungen hinterfragt und sich damit auseinandersetzt, macht Meyers Furchen und Dellen zu einem Werk, das man von der ersten Seite an intensiv erlebt. Ohne Umschweife wird man direkt in Chris’ Gedankenwelt hineingezogen. Sprachlich greift Meyer auf eine direkte Wortwahl zurück, die sie gerne mit malerischen Bildern umspannt, was den Roman sehr nahbar macht.

Neben dem feministischen Diskurs greift Meyer in Furchen und Dellen weitere aktuelle gesellschaftliche Themen wie alternative Familienmodelle auf und bindet diese gekonnt in die Geschichte ein. Authentisch zeigt sie die Hürden, die die Freunde von Chris überwinden müssen, als sie sich dazu entscheiden, ihre Tochter zu dritt großzuziehen, und mit welch verhärteten Normen und Werten das konservative Familienmodell auch heute noch verteidigt wird.

Wie schon in ihrem Erstling Es war schon immer ziemlich kalt versteht es Ela Meyer, die Lesenden direkt abzuholen und auf die Reise ihrer Figuren mitzunehmen, um eine Geschichte zu erzählen, in der man sich schnell selbst wiederfindet. Die Selbstbestimmtheit ihrer Figuren durchzieht das gesamte Buch und fordert dazu auf, mutig zu sein und diesen Gedanken-Mantel etwas lockerer zu tragen, auch wenn er manchmal schwer wiegt.

 


Wertung: 13/15 dpt

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