Dass Dario Argento ein Film-Feature bekommt, inklusive reichlich Bonusmaterials, ist eine lobenswerte Sache. Für einen der stilprägendsten Regisseure des Phantastischen Films längst überfällig. Simone Scafidi verleiht seinem Dokumentarfilm eine visuelle Komponente, die Erinnerungen an Argentos Giallos weckt.
Dario Argento fährt mit einer Begleitung in ein entlegenes Hotel und sinniert über ein kommendes Projekt (vielleicht die ewig in der Grauzone zwischen Möglich und Ungefähr schwebend) und seine filmische Vergangenheit. Zwischendurch kommen Weggefährten wie seine erste Ehefrau Marisa Casale, Schwester Floriana, die Töchter und Halbgeschwister Fiore und Asia, Regisseur und Mario-Bava-Sohn Lamberto, Luigi Cozzi, Michele Soavi (der vielleicht begabteste Argento-Adept) sowie Musiker Claudio Simonetti zu Wort. Ebenso äußern sich die von Dario Argento nachhaltig beeinflusste Regie-Kollegen Nicolas Winding Refn, Guillermo Del Toro sowie Gaspar Noé, in dessen Film „Vortex“ Argento die Hauptrolle spielte.
„Dario Argento PANICO“ erzählt viel von familiären Beziehungen und Verwicklungen, die in Argentos Filmen ihren Widerhall finden. So bezeichnet Tochter Asia das Vorzeigewerk ihres Vaters „Suspiria“ als den „Elefant im Raum“. Denn für sie behandelt er mehr die Geschichte und Historie ihrer Mutter Daria Nicolodi, die Co-Autorin des Films war, aber nicht die Hauptrolle bekam. „Der Anfang vom Ende der Beziehung meiner Eltern“, konstatiert Asia Argento.
So vermischt Scafidis Werk Biographisches mit Filmhistorie, bindet anekdotisch Dario Argentos Erinnerungen an seinen Weg vom Kritiker über Drehbuchautor (u.a. Mitarbeit an Sergio Leones „Spiel mir das Lied vom Tod“) zum Regisseur. Die spannende Frage, warum bei diesem Werdegang die unausgewogenen Drehbücher oft die größten Schwachpunkte von Argentos Werk sind, wird nicht gestellt und damit auch nicht beantwortet. Einen Hinweis liefert Nicolas Winding Refn: „Er ist eher wie ein Maler oder Musiker, doch sein Medium ist der Film.“
Argento erzählt von seinen Ängsten und Visionen, seiner Besessenheit die ideale Einstellung zu finden, auch wenn es das Budget sprengt. Durchaus informativ und nicht immer ein positives Licht auf Argento werfend. Gerade die intimeren Details, die Asia Argento preisgibt wie die Einbindung der Magersucht ihrer Schwester Anna, sowie Argentos eigene Einblicke in seinen dunkleren Seiten zeigen einen vielschichtigen Mann, der das Narrativ pflegt, seine düsteren Obsessionen filmisch aufzuarbeiten.
Leider bleibt „Dario Argento PANICO“ filmanalytisch blass. Werden die starken Filme bis hin zum „Stendhal-Syndrom“ (1996) einigermaßen ausführlich in den Fokus gestellt, gibt es über das Spätwerk nur ein paar Sätze und wenige Bilder. Ist vielleicht auch besser, „Mother Of Tears“, Argentos Dracula-Version und „Giallo“ nur vorüberschweifend mit schwarzen Handschuhen zuzuwinken. Dabei fällt leider auch gelungeneres wie „Non ho sonno“ (‚deutscher‘ Titel: „Sleepless“!), wieder mit fabulösem Soundtrack der reformierten GOBLIN, und Argentos Beteiligung an der „Masters Of Horror“-Reihe („Jenifer“ und „Pelts“) weitgehend durchs Raster. Immerhin wirbt Nicolas Winding Refn dafür, den großen Künstler Argento im Spiegel einer Gesamtschau zu betrachten.
Dario hat nie Kompromisse gemacht. Deshalb finde ich sein gesamtes Werk großartig, auch wenn manche Filme vielleicht besser sind als andere. Das alles sind Dario-Argento-Filme. Das bleibt eben ein Qualitätsmerkmal. Meiner Meinung nach wird noch nicht genug wahrgenommen, dass er einer der größten bildenden Künstler unserer Zeit ist!
Ein wenig zu trübe sind ebenfalls die Schlaglichter auf den Niedergang der italienischen Filmindustrie, die eklatante Auswirkungen für Filmschaffende mit sich brachte. Michele Soavi hält den Einfluss amerikanischer Geldgeber, die allgemeine Orientierung am amerikanischen Markt, inklusive der Drehs in Englisch, für den relevantesten Part der Veränderung: „Niemand war schuld daran, nur der Markt. Irgendwann gab es keine Nachfrage mehr.“ Lamberto Bava fügt hinzu, dass die eingeführte Klausel zur Rückerstattung der Produktionskosten bei ausbleibender Jugendfreigabe, ein Sargnagel war. Asia Argento vermutet hingegen im Tod ihres Großvaters, des Produzenten Salvatore, die maßgeblichste Zäsur im Schaffen ihres Vaters nach „Opera“.
Auch geplante und nicht umgesetzte Stoffe, wie die Adaption von E.T.A. Hoffmanns „Sandmann“-Erzählung oder die „Longinus“-Serie, finden keine Erwähnung. Außen vor bleibt ebenso Argentos umstrittene Bühneninszenierung von Verdis „Macbeth“ (2013/2015).
„Dario Argento PANICO“ ist eine freundliche Hommage und kein kritisches Portrait des Künstlers. Geschweige denn eine filmanalytische Werkschau. Unter dieser Voraussetzung ist die Dokumentation eine sehenswerte Angelegenheit mit einem beredten Dario Argento im Mittelpunkt und vielen illustren, gern gesehenen Angehörigen, Wegbegleitern und Kollegen in teils großen Nebenrollen (Asia Argento).
Ein erfreulicher Bonus ist die beigefügte Soundtrack-CD. Zwar nur gut zweiundzwanzig Minuten lang, nähert sich Alessandro Baldessari Dario Argento und GOBLIN auf höchst stimmungsvolle und stimmige Weise. Inklusive kleiner LED ZEPPELIN-Paraphrase zum Schluss. Die feine Krönung dieser Ausgabe und ein guter Anfang für eine intensivere Beschäftigung mit dem, laut Nicolas Winding Refn, „alten Meister“ Dario Argento, der „personifizierten Angst“ (Luigi Cozzi).
Cover+ Bilder © Plaion Pictures
- Titel: Dario Argento PANICO
- Originaltitel: Dario Argento PANICO
- Produktionsland und -jahr: GB, I, 2023
- Genre: Dokumentation, Filmbiographie
- Erschienen: 28.04.23
- Label: Plaion Pictures
- Spielzeit:
94 Minuten auf 1 DVD
98 Minuten auf 1 Blu-Ray
22 Minuten auf 1 CD - Darsteller: Dario Argento
Maria Casale
Floriana Argento
Asia Argento
Fiore Argento
Lamberto Bava
Michele Soavi
Luigi Cozzi
Nicolas Winding Refn
Guillermo del Toro
Claudio Simonetti - Regie: Simone Scafidi
- Drehbuch: Simone Scafidi
Giada Mazzoleni
Manlio Gomorasca
Davide Pulici - Kamera: Patrizio Saccò
- Schnitt: Claudio Rossoni
- Musik: Alessandro Baldessari
- Extras: Trailer, Interviews, Behind The Scene
- Technische Details (DVD)
Video: 1,85:1 (16:9)
Sprachen/Ton: Deutsch,Italienisch, Dolby-Digital 5.1
Untertitel: Deutsch - Technische Details (Blu-Ray)
Video: 1,85:1 (16:9)
Sprachen/Ton: Deutsch, Italienisch, DTS-HD Master Audio 5.1 - Untertitel: Deutsch
- FSK: 16
- Sonstige Informationen:
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Wertung: 11/15 dpt