Boston Teran – Gärten der Trauer (Buch)


Völkermord an den Armeniern in einer Art Westernroman

Frühling 1915. John Lourdes vom Bureau of Investigation soll für das U. S. State Departement einen brisanten Regierungsauftrag erledigen und dafür in das Osmanische Reich reisen. In Konstantinopel angekommen macht er am ersten Abend einen Spaziergang am Kai und wird aus nächster Nähe Zeuge, wie die Polizei einen Mann erschießt. Es handelt sich um einen armenischen Schriftsteller, wobei ein Vernichtungszug gegen alle Armenier in vollem Gange ist. Über einen Kontaktmann erfährt Lourdes seinen ersten Auftrag. Er soll sich in Sophia mit einem Amtsträger, dem Dragoman, treffen und mit diesem den Soldatenpriester Malek nach Van bringen. Zunächst geht es mit dem Schiff nach Trapezunt auf dessen Fahrt plötzlich zahlreiche, nackte Leichen im Wasser treiben. Armenier.

Was führt Sie nach Trapezunt, John Lourdes?“
„Religiöse Angelegenheiten.“
„Ich vermute, das erklärt die Waffen, die sie dabei hatten, als sie an Bord kamen.

Van ist die Hochburg des armenischen Widerstands, jedoch gibt es neben der gefährlichen Reise dorthin ein weiteres Problem: Malek sitzt in Erzurum im Gefängnis, genauer, er ist dort mittig auf dem Gefängnishof unter anderem mit Fußfesseln an einen Pfahl gebunden. Nach einem explosiven Befreiungsschlag machen sich Lourdes, Malek, der Dragoman und ihr Führer Hain auf den Weg nach Van, jener hundert Kilometer entfernten Stadt. Doch der Priester ist nicht der eigentliche Auftrag, denn letztlich dreht sich alles um Baku am Kaspischen Meer, deren Ölfelder rund die Hälfte der weltweiten Ölförderung produzieren. Zu Lourdes größtem Gegenspieler wird dabei der deutsche Rittmeister Franke, der, mit auf sein Geheiß entlassenen kurdischen Mördern, Jagd auf die Armenier macht.

Boston Teran erstmals in deutscher Übersetzung

„Garten der Trauer“ ist der erste ins Deutsche übersetzte und bei Elsinor erschienene Roman von Boston Teran, dessen derzeit sechzehn Werke umfassendes Werk zahlreiche Auszeichnungen erhielt. Zu seinen bekanntesten Werken zählen “The Creed of Violence“ und der 2023 von Nick Cassavetes verfilmte Roman „Got is a Bullet“. Teran spezialisiert sich oft auf historische, amerikanische Begebenheiten, die weitgehend unbekannt sind. Auch der systematische Genozid an den Armeniern wurde nur selten in der Romanliteratur behandelt (Franz Werfel „Die vierzig Tage des Musa Dagh“ dürfte am Bekanntesten sein; interessant ist auch Martin von Arndt „Tage der Nemesis“), wobei das vorliegende Werk „Garten der Trauer“ im Jahr 1915 spielt, also zu einer Zeit, in der die USA noch nicht am Weltkrieg beteiligt war. Bei dem Genozid starben mehrere hunderttausend Armenier (die Zahlen schwanken sehr stark), die oft unter dem Deckmantel einer vermeintlichen Umsiedlung im reinen Wortsinn in die Wüste geschickt wurden.  

Friede lehrt uns nichts, sagt uns nichts. Friede ist nur der Schlaf zwischen den wachsamen Stunden im Kriege. Dort offenbart der Mensch seine wahre Natur.

Das historische Element durchzeiht den Roman, in dem es Teran darum geht, einmal mehr den Menschen den Spiegel vorzuhalten. Rittmeister Franke ist ein Paradebeispiel des ebenso Empathie- wie hemmungslosen Sadisten, der ein Prototyp für die spätere Nazizeit darstellt. Schonungslos und brutal werden die Leichenmassen auf dem Wasser und zu Lande gezeigt, wobei letztlich alles einem vermeintlich höheren Zweck dient. Denn neben religiösen Konflikten zwischen Türken und Armeniern gewinnt Öl zunehmend an Bedeutung, weswegen neben den Deutschen auch die Amerikaner und vor allem die Briten im Osmanischen Reich mitmischen wollen. Man kann das Buch im höheren Sinn als Kapitalismuskritik lesen, da dem schnöden Mammon jegliche Menschlichkeit geopfert wird.  

Teran, der als Meister des Noir gilt, liefert knackig-präzise Dialoge und knallige Action, bei der man über die Genrezuordnung trefflich streiten kann. Ein Histo-Politthriller oder doch eher ein moderner Western? Letzteres drängt sich ansatzweise auf, da Lourdes und Begleiter zumeist auf Pferden unterwegs sind und dabei kaum einer Schießerei aus dem Weg gehen, wobei weitere Elemente wiederum nicht dem Westerngenre zuzuordnen sind.

Wer actionreiche Unterhaltung mag und herbe Szenen nicht scheut, liegt hier richtig, auch wenn man sich nicht für Geschichte interessieren sollte. Der Genozid bildet den gut recherchierten, aber meist im Hintergrund schwebenden historischen Kontext. Umgekehrt bietet sich ein kurzweiliger Einstieg in das Thema, welches man bei Interesse mit dem schon erwähnten, knapp tausend Seiten umfassenden Buch von Franz Werfel anschließend vertiefen kann. Abschließend sei noch auf das im Buch enthaltene, lesenswerte Nachwort von Martin Compart hingewiesen.

  • Autor: Boston Teran
  • Titel: Gärten der Trauer
  • Originaltitel: Gardens of Grief (2010) Übersetzt von Jakob Vandenberg mit einem Nachwort von Martin Compart
  • Verlag: Elsinor
  • Umfang: 244 Seiten
  • Einband: Taschenbuch
  • Erschienen: September 2024
  • ISBN: 978-3-942788-78-6
  • Produktseite

Wertung: 12/15 dpt


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