Jahrhundertflut und einige Verbrechen
Gudelia Krol ist einundachtzig Jahre alt und lebt seit Jahrzehnten in ihrem Haus in der Bachstraße im kleinen Dorf Unterlingen. Es hat gerade einmal fünfhundert Einwohner, nicht für jeden Bedarf das dazu erforderliche Geschäft, aber einen kleinen Fluss namens Murbach. 2024 wird Unterlingen von einer Jahrhundertflut heimgesucht, alle Bewohner brachten sich vorzeitig in Sicherheit, was jedoch nicht ganz stimmt, denn Gudelia blieb in ihrem Haus. Aus ihrer Wohnung im ersten Stock sah sie Katastrophe im wahrsten Wortsinne vorbeirauschen. Schwere Gegenstände, zahlreiche Schweine vom Bauern und dann auch noch ein Mann und eine Frau. Beide tot, die Hände mit Kabelbindern am Rücken gefesselt.
„Ihre Kollegen meinten, ich soll’s vergessen. Gäb Wichtigeres.“
„Ist das so? Nun, ich befürchte, das hat sich geändert. Könnten wir uns irgendwo ungestört unterhalten. Oben bei Ihnen?
Schon wieder Tote, ermordet. Wer, wenn nicht Gudelia, wüsste, dass dies zum Dorf dazugehört. So war es schon vor vierzig Jahren, im Juni 1984, als sie nachts um zwei Uhr aufwachte und feststellte, dass ihr fünfzehnjähriger Sohn Nico nicht wie vereinbart um Mitternacht nach Hause gekommen war. Wenig später fand sie dessen Leiche im Graben neben der Landstraße. Es war Dorffest, getrunken wurde einmal mehr zu viel, da lag ein Verkehrsunfall mit Fahrerflucht nahe. Allerdings wurde Nico erschlagen, wenig später ein Mitschüler vorläufig festgenommen.
Vierzehn Jahre später, 1998, kam es zur Trennung zwischen Gudelia und ihrem Heinz, der schon lange nicht mehr der ihre war, sondern seit vielen Jahren eine weit tiefergehende Beziehung hatte; zum Alkohol. Rund fünfzigtausend Mark müssen noch für das Haus abbezahlt werden als Gudelia ihren Mann zufällig eines vormittags auf einer Bank am Wildgehege vorfindet. Ergo nicht am Arbeitsplatz, dafür vollends betrunken nach seinem Rausschmiss. Gudelia selbst arbeitet nur gelegentlich als Putzkraft, da wird das Geld vorne und hinten nicht ausreichen.
Aber eines weiß Gudelia sicher: Ihr Haus darf sie nicht verlieren. Weder 1998 noch heute nach der verheerenden Flut.
Beeindruckender Debütroman
Thomas Knüwer hat mit „Das Haus in dem Gudelia stirbt“ einen großartigen Thriller vorgelegt, bei dem es sich noch dazu um ein Debüt handelt. Ein Wiedersehen auf der Krimibestenliste ist nicht auszuschließen. Der Plot wird ruhig erzählt und so erleben wir nach und nach, immer im gleichen Rhythmus wechselnd, was sich 1984, 1998 und 2024 ereignet hat respektive ereignet. Dies aus erster Hand übrigens, denn Gudelia lässt uns als Ich-Erzählerin am Geschehen teilhaben. Schnell beschleicht einen dabei das Gefühl, dass der Name Gude-lia nichts mit „Gute“ gemein hat, denn offenbar hat sie etwas zu verbergen. Sonst hätte sie ihr Haus vor der Flut verlassen und nach der Flut, da ist es stark einsturzgefährdet, nicht weiter bezogen.
Doch das Haus birgt ein Geheimnis, welches keinesfalls an die Oberfläche dringen darf und dies seit vierzig Jahren nicht. Es ist nur eine Vermutung, noch dazu eine womöglich weit hergeholte, aber es kann gut sein, dass Thomas Knüwer das Overlook-Hotel aus Stephen King’s Roman „Shining“ zumindest ein stückweit vor Augen hatte. Mit dem kleinen Unterschied allerdings, dass hier nichts Übersinnliches geschieht, gleichwohl der Wahnsinn Einzug hält.
Neben der Jahrhundertflut, das aktuelle Topthema Klimawandel lässt grüßen, stehen Alkoholismus, Homosexualität und die obsessive Liebe einer Mutter im Fokus der Handlung. Ein Mix, der bei Gudelia – hier liegen Gut und Böse sehr eng beieinander – zu verheerenden Konsequenzen führt. Ein tödlicher Kreislauf, der nicht mehr aufzuhalten ist und ein furioses Ende findet. Großes Kopfkino; darf gerne verfilmt werden.
- Autor: Thomas Knüwer
- Titel: Das Haus in dem Gudelia stirbt
- Verlag: Pendragon
- Umfang: 292 Seiten
- Einband: Taschenbuch
- Erschienen: August 2024
- ISBN: 978-3-86532-882-3
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Wertung: 13/15 dpt