Ein „echter“ Kriminalroman von Padura
Mario Conde, zweiundsechzig Jahre alt, erfolgloser Buchhändler. Zehn Jahre war er Polizist, dies ist dreißig Jahre her, seitdem ist er meist chronisch knapp bei Kasse. Sein Freund Yoyi El Paloma bietet ihm einen Job an. In dessen Restaurant sollen keine Drogen verkauft werden, Ärger mit der Polizei kann er nicht gebrauchen. Conde übernimmt den Job, denn zehn Dollar je Nacht sind immerhin zehn Dollar. Noch bevor er seine erste Schicht antreten kann, bittet sein Ex-Kollege Teniente Coronel Manuel „Manolo“ Palacios um Hilfe. Der 86-jährige Reynaldo Quevedo wurde in seinem Appartement ermordet und anschließend kastriert. Vor Jahrzehnten war Quevedo ein gefürchteter Zensor im Kulturbetrieb. Während der Revolution bekämpfte der Sadist ihm unangenehme Künstler bis zum Äußersten.
Die Polizei würde selber ermitteln, doch alle Kräfte werden benötigt. US-Präsident Obama kommt nach Kuba, direkt anschließend die Rolling Stones und dann noch eine Modenschau von Chanel. Das Sicherheitskonzept erfordert jeden Mann. Fast jeden, denn ausgerechnet Teniente Miguel Duque, den Conde verabscheut, was auf Gegenseitigkeit beruht, soll den Fall übernehmen. Conde willigt ein, seinem Freund Manolo, wohl gemerkt unentgeltlich, einen Gefallen zu tun, denn der Ermittlerinstinkt ist noch immer da.
Bald droht der Fall Conde über den Kopf zu wachsen, denn ein zweites Opfer lässt nicht lange auf sich warten. Quevedos Schwiegersohn trifft es dieses Mal, auch er wird entmannt. Stress genug für Conde, der gerne an einem Buchprojekt weiterarbeiten würde, denn er ist auf einen interessanten Fall gestoßen: Leben und Tod des legendären Zuhälters Alberto Yarini.
Die Vergangenheit endet nie
Leonardo Padura hat einen für seine Verhältnisse eher ungewohnten Krimi geschrieben, denn selten zuvor war er am Genre des Kriminalromans so dicht dran wie im vorliegenden Fall. Ja, auch „Anständige Leute“ ist mehr als ein Krimi, ist erneut ein Gesellschafts- und Politikroman mit scharfem Blick auf die Lebensverhältnisse und die Seele Kubas. Padura bleibt sich da selbstverständlich und zum Glück für seine Leser treu. Dennoch stehen die Verbrechen im Fokus: 2016 werden Quevedo und dessen Schwiegersohn brutal ermordet und es gibt einige Verdächtige. Geld und vor allem Rache sind die sich aufdrängenden Motive.
„Was denn?“
„Nehmen wir mal an, ich finde raus, wer der Mörder war, und dann ist es jemand, den ich mag.
Und dann wäre da noch der Mittzwanziger Alberto Yarini, ein legendärer Zuhälter aus San Isidro, dem Hafen- und Rotlichtviertel Havannas. Hier ist er der Boss der kubanischen Zuhälter, die sich einen veritablen Kampf mit den französischen „Apachen“ liefern. Mit deren Boss Louis Lotos kommt es zum erbitterten Duell und natürlich steht einmal mehr im Mittelpunkt eine bildschöne Frau.
Padura schreibt abwechselnd über die Ereignisse der Gegenwart (2016) und der Vergangenheit (1909-1910), letzteres aus der Ich-Erzählerperspektive des Arturo Saborit Amargó, einem Polizisten, der sich als anständiger Polizist gegen die allgegenwärtige Korruption auflehnen will und später zum strengen Gefolgsmann Yarinis wird. Der Konflikt mit Lotos droht zu eskalieren als eine von Yarinis Prostituierten grausam ermordet und zerstückelt wird. Wochen später gibt es eine weitere Frauenleiche. Yarini bittet seinen Freund Saborit den Fall zu lösen, Unruhe ist schließlich schlecht fürs Geschäft. Dabei ist Saborit auf sich allein gestellt, denn sein Vorgesetzter ebenso wie der Polizeichef sind korrupter als der Rest der bestechlichen Truppe.
„Drei Dollar.“
„Fünfundsiebzig kubanische Pesos, mehr als ich an zwei Tagen verdiene. Und dabei haben sie uns bei der Polizei gerade erst das Gehalt erhöht.
Vier Morde gilt es aufzuklären, eine für Padura rekordverdächtige Zahl, zumal er sehr eng an den Ermittlungsarbeiten dran ist. Klar, die kubanische Seele will, wie bereits erwähnt, gestreichelt werden. Im Hintergrund dienen Obama und die Stones als Aufhänger für ein wenig Hoffnung der einfachen, armen Leute. Zynismus ist die weitverbreitete Lebenseinstellung auf Kuba. Man hofft auf eine bessere Zukunft und ist sich gleichzeitig sicher, dass diese nicht eintreten wird. Eine grunddüstere Einstellung, der auch Conde seit langer Zeit verfallen ist. Ist es Fatalismus oder gar Agonie?
Es bestätigt sich einmal mehr, dass die Vergangenheit nie endet. Damals, im Jahr 1910, drohte der Halleysche Komet die Erde zu vernichten. Folglich sagten sich die Kubaner, wenn wir ohnehin sterben, können wir es noch mal richtig krachen lassen. Her mit Rum, Zigarren und Frauen; ein Fest für Zuhälter wie Yarini, der zudem für das Amt des stellvertretenden Bürgermeisters von Havanna für die Konservative Partei kandidieren wollte. In der Gegenwart des Jahres 2016 ist die Stimmung ähnlich, nur sorgen jetzt besagte Superstars aus Amerika für Furore.
Wer neben einem literarisch anspruchsvoll erzählten Kriminalroman – eigentlich sind es zwei in einem, doch, welch‘ Wunder, beide Erzählungen werden am Ende ineinandergreifen – gleichzeitig Kuba ein wenig kennlernen und die Mentalität der Menschen verstehen möchte, ist bei Padura genau richtig. Im vorliegenden Roman taucht derweil noch ein weiterer großer Name immer wieder auf: Napoleon Bonaparte. Warum? Lesen Sie selbst. Es lohnt sich.
- Autor: Leonardo Padura
- Titel: Anständige Leute
- Originaltitel: Personas decentes Aus dem Spanischen von Peter Kultzen
- Verlag: Unionsverlag
- Umfang: 400 Seiten
- Einband: Hardcover
- Erschienen: Juli 2024
- ISBN: 978-3-293-00621-8
- Produktseite
Wertung: 13/15 dpt