Abgetaucht und wieder aufgetaucht zum großen Finale
Der Roman „Sturmkrallen“ beendet die „Die Geheimnisse der Klingenwelt“ Saga, die 2017 mit „Seelenspalter“ ihren Anfang nahm. Ein Jahr später erschien die Fortsetzung „Blutfelsen“, die im Handlungszeitraum 100 Jahre zurücksprang und eine andere, unabhängige Geschichte erzählte. Die Geschichten sind im selben Weltenbau angesiedelt, dem Kontinent Predorenn mit seinen acht Fyrstheneien. „Sturmkrallen“ vereinigt nun diese beiden Geschichten und erzählt zugleich eine Fortsetzung, die gut dreißig Jahre nach der Handlung in „Seelenspalter“ einsetzt. Benötigen Lesende das Vorwissen aus den beiden ersten Bänden? Nicht unbedingt, denn die wichtigsten Ereignisse daraus fließen in die „Sturmkrallen“ Handlung ein. Und doch erschließen sich Historie und Entwicklung der komplexen Geschichte eher, wenn die Handlungen der Vorgänger bekannt sind. Es ist also zu empfehlen, diese zu lesen. Auch, weil beide Bücher wirklich sehr spannend sind.
Zu Wasser, zu Lande und in der Luft
Wasserfrau und Leftenantin Lilyenn heuert im Auftrag der Fyrstin von Wynnosiol auf dem Schiff „Seekatze“ an und befehligt eine Gruppe Expeditionsteilnehmer. Erforscht werden soll eine geheime Insel, auf der es angeblich Schätze gibt, die nur darauf warten, von der geheimen Einsatztruppe erkundet und geborgen zu werden. Bevor der Feind es tut. Mit Ruhm und Reichtum vor Augen stechen Seeleute und Expeditionsteilnehmer in See. Oder verfolgt mancher an Bord ein ganz anderes Ziel?
Leftenantin Lilyenn und Chellari, eine Tavernenköchin vom unabhängigen Volk der Grudaren, bemerken, dass der Kurs des Schiffs nicht stimmt. Kapitän Styorn und Erster Offizier Mong steuern absichtlich in eine nördlichere Richtung als die, in der die Insel liegt. Mitten in gefährliche Eisberge. Ein Sturm kommt auf und Lilyenn entgeht nur knapp mehreren Anschlägen auf ihr Leben. Als schließlich ein weiteres Schiff die Seekatze abfängt, ist endgültig klar, dass hier mitnichten Gold und Edelsteine gejagt werden. Sondern Menschen.
Lilyenn, Chellari und die Matrosen Bært und Dyessru fliehen auf einem Rettungsboot. Doch wohin mitten im eisigen Meer? Eine riesige Wasserkreatur nimmt sie huckepack und befördert sie noch weiter nach Norden, dem Sklavenschiff hinterher zu einer Vulkaninsel.
Parallel machen sich Maleni, die ehemalige Xyi-Assassinin aus „Seelenspalter“, ihre Freundin Eluah und deren Sohn Njorruk ebenfalls zu einer Expedition auf. Ihr Ziel ist es zu erkunden, was vom mörderischen Orden der Xyi und deren Gebieter, den Urgorrn, übriggeblieben ist. Mit Ragnyr, dem Barden und einem Botenbuzzard, der mit dem Barden und überraschenderweise mit Njorruk kommunizieren kann, wehren sie verborgene Attentäter ab. In Eishaven stechen sie auf einem Flusskreuzer ebenfalls in See, um ein weiteres Mal das elende Schicksal Predorenns in eine positive Richtung zu lenken.
Über X-Wo/men und krude Kreaturen
Ju Honisch schreibt ihre ganz eigene Art von Fantasy-Literatur, oft mit historischem Hintergrund, zuweilen leicht steampunkig. Die „Die Geheimnisse der Klingenwelt“ Saga spielt in einem High-Fantasy Setting, hat allerdings nichts mit Tolkin’scher Völkerfantasy zu tun. Sie schickt Menschen verschiedener Völker, die unterschiedliche übernatürliche Begabungen haben und dringend brauchen, in gefährliche Abenteuer. Denn ihre Gegner sind die Urgorrn, mächtige, mythologische Kreaturen, an die niemand mehr glaubt. Doch es gibt sie nicht nur, sie sind sogar die treibende Kraft hinter allem, was magisch und übernatürlich anmutet. Im Guten, wie im Bösen. Klingt wie X-Wo/men versus Cthulhu? Vielmehr ist die Klingenwelt eine vorindustriell postapokalyptische Welt mit explizit komplexen Gesellschaften, Lebensräumen und Möglichkeiten. Als Beispiel ist die Technik der Seelenübertragung zu nennen, die Protagonist:innen aus den vorhergehenden Bänden die Rückkehr in die Sturmkrallen-Handlung erlaubt.
Wie immer in Ju Honischs Büchern sorgen liebevoll und glaubwürdig gezeichnete Charaktere für Mitfühl- und Identifikationspotenzial. Von zu wenigen faszinierenden Frauenfiguren kann keine Rede sein. Maleni, die ehemalige Assassinin aus „Seelenspalter“ hat sich zur umsichtigen, älteren Dame entwickelt. Sie trauert um ihren Ehemann, ist immer noch in ihrer Vergangenheit gefangen und kämpft für eine gerechtere Gesellschaft. Mit Wasserfrau Lilyenn betritt eine neue, ebenso faszinierende Frau die Klingenwelt-Bühne. Sie ist verzweifelt entschlossen, rau gegen den Strich gebürstet und schwimmt mutig gegen den Strom. Oft genug wortwörtlich. Mit Bært, Ragnyr und Tsujart begegnen wir ebenso interessanten und sympathischen Männern mit außergewöhnlichen Talenten.
Über Manipulation, Krieg und Hoffnung
Zwei Gruppen reisen unabhängig voneinander durch die Fyrthenei Wynnosiol und über das Meer Richtung Norden. Erzählt werden beide Quests aus der Sicht der Personen, die jeweils in dem einen oder anderen Treck mitziehen in recht kurz gehaltenen Kapiteln. Und in Einschüben des „Planenden“, der die Handlung kommentiert, in der er gesteuerte Akteure für sich agieren lässt. Trotz der Fremdartigkeit dieser Welt wirkt manche Entwicklung wie aus unserer Welt gegriffen, zum Beispiel das kollektive Leugnen und Vergessen der Vergangenheit. Und das perfide Ausnutzen von Unwissen und Gier der Menschen für Weltherrschaftsfantasien. Ein gesellschaftlicher Teufelskreis, der selbst – oder gerade? – im aufgeklärten 21. Jahrhundert noch genutzt wird und bestens funktioniert.
Sehr glaubwürdig wirkt der Aufbau der Handlung. Maleni, Eluha und die beiden Männer geben zunächst wenig über ihre Ziele preis. Schon weil sie nicht wissen, was sie von dem mitreisenden Barden zu halten haben. Aus dem Hinterhalt werden sie angegriffen und retten ihre Haut oft nur knapp. Dabei kommen nach und nach ihre Geheimnisse und verborgenen Talente zutage, was die Handlung immer abwechslungsreicher und spannender werden lässt.
Auf der Seekatze kämpft Lilyenn zunächst darum, sich in der Männerwelt durchzusetzen und die blinde Passagierin Chellari zu schützen. Auch hier stellt sich erst allmählich heraus, dass die wahrhaftige Gefahr mitnichten von testosterongesteuerten Kerlen ausgeht, sondern vielmehr von bösen, hinterhältigen Mächten und deren Plänen mit der Welt Predorenns. Auch hier wird der Kampf immer aussichtsloser, bis schließlich alle gegnerischen und kooperierenden Parteien im spektakulären Finale aufeinandertreffen.
Ausgezeichnet gealtert
Die „Klingenwelt“ Saga selbst hat eine langwierige Geschichte mit Aufs und Abs hinter sich. 2017 erschien der Serienauftakt der „Klingenwelt“ Reihe „Seelenspalter“ im Droemer Knaur Verlag, nachfolgend „Blutfelsen“ ein Jahr später. Geplant waren mindestens drei Bände. Weltenbau und die Vielfalt an Magie und Mysterien hätten sogar genug Stoff für eine weit umfangreichere Serie geboten. Doch der Verlag verfolgte die „Klingenwelt“ Reihe nicht weiter. Zwar ist „Seelenspalter“ dort immer noch im Programm, „Blutfelsen“ jedoch nicht mehr, sodass Ju Honisch diesen zweiten Band 2021 bei BoD erneut veröffentlichte. Die Autorin realisierte zahlreiche andere Buchprojekte, wie „Weltendiebe“ und „Gefangene des Panthers“ und verkündete schließlich auf Social Media, dass mit „Sturmkrallen“ endlich das Klingenwelt-Finale erscheint, im Selbstverlag bei KDP. Sieben Jahre nach dem Beginn der Reise durch das kriegszerstörte und lebensfeindliche Predorenn.
Ju Honisch ist es gelungen die krude und mysteriöse Atmosphäre der ersten Bände auch in „Sturmkrallen“ wieder auf das Papier zu bringen und zugleich weiterzuentwickeln. Nicht nur Maleni, auch Bært ist ein Rückkehrer aus dem ersten Band. Beide sind im besten Sinne ausgezeichnet gealtert und durch die Erfahrungen eines langen Lebens zu klugen und empathischen Persönlichkeiten herangereift. Da auch die Fantasy-Literatur bisweilen dem Jugendwahn anheimfällt und sich mehrheitlich um junge Protagonist:innen dreht, ist „Sturmkrallen“ mit jungen und älteren Heldinnen und Helden eine willkommene Abwechslung.
Den Kontinent Predorenn und die Fyrstheneien fand ich in den ersten beiden Bänden detailreicher beschrieben. Trotzdem habe ich von Wynnosiol ein Bild vor Augen: einsame Orte wie verlassene Westernstädte und zerstörerische Naturgewalten, sturmgepeitschte Wellen und Eisberge auf dem Meer. Mit 502 Seiten ist „Sturmkrallen“ der kürzeste der „Klingenwelt“ Romane, was bei der Fülle an Ereignissen und Wendungen im Nachhinein etwas verwundert. Manches Mal habe ich Längen an Ju Honischs Büchern kritisiert, für „Sturmkrallen“ entfällt dieser Kritikpunkt. Es ist eine klug aufgebaute, sich stetig entwickelnde Geschichte, die einiges an Überraschungen zu bieten hat. Spannung und Nervenkitzel erwachsen aus actionreichen Kampf- und Gefahrenszenen, noch mehr jedoch aus der permanenten unheilvollen Atmosphäre im Hintergrund. Insgesamt bildet der Roman „Sturmklänge“ einen ideenreich aus den ersten beiden Geschichten weitergesponnenen und dennoch originären Abschluss der „Klingenwelt“-Reihe. Die Geschichte ist mitreißend und eingängig nah an den Figuren geschrieben und eine klare Leseempfehlung wert, besonders in Kombination mit beiden Vorgängern „Seelenspalter“ und „Blutfelsen“.
- Autorin: Ju Honisch
- Titel: Sturmkrallen
- Teil/Band der Reihe: Band 3, Finale, der “Die Geheimnisse der Klingenwelt” Saga
- Verlag: KDP
- Erschienen: 05/2024
- Einband: Taschenbuch
- Seiten: 513
- ISBN: 979-8323173631
- Sonstige Informationen:
- Produktseite
Wertung: 13/15 dpt