Ein Mann erinnert sich an eine kurze 30 Jahre zurückliegende Liebesbeziehung. Auf einer Reise nach Tel Aviv hatte Martin 1991 Lea kennengelernt und sich verliebt, den Kontakt jedoch nach seiner Rückkehr nach Deutschland völlig verloren und nie mehr von ihr gehört. Durch Zufall erfährt er nun, dass die frühere Geliebte als Mitglied einer israelischen Delegation in seine Heimatstadt München kommt. Er möchte sie wiedersehen.
In Rückblicken erzählt der Autor die 30 Jahre zurückliegende Geschichte zweier junger Menschen, eines Deutschen und einer israelischen Jüdin. Die historische Bedeutung ihrer Begegnung ist ständig präsent. Aber auch der Konflikt Israel-Palästina kommt zur Sprache.
Kleinherne porträtiert mit seinen Protagonisten Menschen unterschiedlicher Generationen und Herkunft innerhalb der israelischen Gesellschaft. Die daraus entstehenden Brüche und Konflikte werden sichtbar. Leas Großvater, ein Überlebender des Holocaust, vertritt einen harten, unversöhnlichen Kurs gegenüber Palästina, seine Enkelin Lea dagegen wünscht sich eine friedliche und kooperative Lösung zwischen den Völkern. Auch die komplizierte Beziehung zwischen Deutschland und Israel spielt eine Rolle. Die gemeinsame Geschichte verhindert den unbefangenen Blick Martins auf die Gesamtlage.
Ein altes jüdisches Sprichwort sagt: Auf der Säulen steht die Welt: Wahrheit, Gerechtigkeit und Frieden. Leider sind diese Säulen bei uns zusammengebrochen. Das kann man tagtäglich in den besetzten Gebieten sehen. Auch ein Blick in die Fernsehnachrichten genügt völlig. (…) Doch die Menschen in Deutschland, die die Situation hier kennen, fühlen sich nicht berechtigt, Kritik an Israel zu üben. Wir sind sakrosankt, für immer Opfer.
Seite 47Obwohl die Handlung 2021 angesiedelt ist, lange vor dem 7. Oktober 2023, ist die Brisanz der aktuellen Lage bereits zu erkennen.
Trotzdem ist Kleinhernes „Lea“ alles andere als ein politischer Roman. Im Zentrum steht immer die persönliche Geschichte seines Protagonisten Martin. Die Begegnung mit Lea wird für ihn zu einem Wendepunkt. Sein Erinnern an die frühere Beziehung löst eine Bestandsaufnahme bei ihm aus. Seine Ehe ist schon lange nicht mehr glücklich. Seine Partnerin und er haben sich auseinandergelebt. Nur das gemeinsame Kind verbindet sie. Dem Kind gehört seine unbedingte Liebe und daran kann er sich orientieren.
Der Autor geht sehr sensibel mit dem besonderen Setting um, das er für seine Liebesgeschichte ausgewählt hat. Es hält sich klug zurück und beschreibt authentisch. Doch man sollte wissen: Mehr als den Rahmen zur Handlung bildet es nicht.
Ich persönlich habe das bedauert, weil die besondere Konstellation einer deutsch-israelischen Beziehung weitaus mehr Potential geboten hätte, als die Liebesgeschichte eingelöst hat.
Der Roman wäre ebenso gut gelungen, wenn Kleinherne sich für einen anderen Kontext entschieden hätte. Denn gelungen ist seine Darstellung in jedem Fall. Ähnlich wie bereits in seinem Debüt „Absinth“ entmystifiziert er die romantische Definition von Liebe und stellt sie in einen realistischen Kontext. Das Seelenleben seiner Hauptfigur skizziert er dabei ebenso feinfühlig wie glaubhaft.
Der Roman liest sich dank der leichten Feder Kleinhernes sehr gut weg. Seine klare Sprache wird dem literarischen Anspruch des Textes durchaus gerecht. Kleineherne versteht es gut, Emotionalität zu präsentieren ohne ins Gefühlige abzurutschen.
- Autor: Michael Kleinherne
- Titel: Lea
- Verlag: Kulturmaschinen Verlag
- Erschienen: Mai 2024
- Einband: Taschenbuch
- Seiten: 212 Seiten
- ISBN: 978-3967632989
Wertung: 11/15 dpt