Ehrenamt im Literaturbetrieb


Ein Ehrenamt ist eigentlich etwas Positives. Es bedeutet die Wahrnehmung eines öffentlichen Amtes oder einer gesellschaftlichen Aufgabe ohne Einkommenserzielung. Der Literaturmarkt hebt aber auf Einkommenserzielung ab. Je mehr ein Autor verdient, desto höher ist sein Rang in der Hierarchie der Literaturschaffenden. Verdient er nichts oder nur sehr wenig, wird seine Arbeit als Hobby abqualifiziert.

Ein Hobby ist eine Freizeitbeschäftigung, die der Ausübende freiwillig und regelmäßig zum eigenen Vergnügen oder der Entspannung betreibt – so jedenfalls trifft Wikipedia die grobe Unterscheidung zum Ehrenamt. Demzufolge ist ein Hobbyautor einer, der nicht nur nichts mit dem Schreiben verdient, sondern darüber hinaus nur zu seinem Vergnügen und seiner Entspannung schreibt – ohne gesellschaftliche Relevanz. Keine gesellschaftliche Bedeutung zu haben, das kann man aber auch einem ernsthaft ambitionierten Schreibenden nachsagen, dessen Texte nicht den Weg an die Öffentlichkeit finden oder dessen Bücher sich kaum verkaufen. Denn was nicht wahrgenommen wird, das kann auch nicht wirken.

In der heutigen Bücherschwemme kommt eine Veröffentlichung in einem Kleinverlag beinahe einer Nicht-Veröffentlichung gleich, denn sie bedeutet fehlende Sichtbarkeit. Die Titel erreichen die neuerdings diskutierte Schwelle hundert verkaufter Exemplare meistens nicht. Die Herstellung von Büchern ist einfacher geworden, nicht aber das Bewirken ihrer Sichtbarkeit. Kleinverlage können ihre Bücher nur auf lokalen Messen anbieten, weil Buchmessenstandmeter zu teuer sind. Die Verleger können ihre Titel im Dunstkreis ihrer Community rezensieren lassen und die Besprechungen auf ihren eigenen Websites veröffentlichen. Aber darüber hinaus versickert ihr Radius in einem Dickicht aus zahlreichen Hindernissen: Es gibt nur wenige Rezensionsforen, die Besprechungen von Kleinverlagen veröffentlichen. Die Presse reagiert kaum auf Publikationen aus Kleinverlagen, mit Ausnahme von Stadtteilzeitungen. Die Buchhandlungen fordern die Bücher nicht an. Autoren aus Kleinverlagen werden nur selten auf solche Lesefestivals eingeladen, wo die Lesungen vergütet werden. So lässt sich kein Geld verdienen. In der Regel arbeiten nicht nur die Autorinnen und Autoren ehrenamtlich, sondern meistens auch die Verleger und ihre Zuarbeiter, wie Lektoren und Grafiker. An dieser Misere sind nicht die kleinen Verlage schuld, sondern die Mühlen, durch die sie gedreht werden.

Alle wissen, dass es so ist, aber niemand sagt etwas dazu.

Ana Paula Feriani / pixabay

Der Verband Deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller in Ver.di (VS) fordert ein Lesungshonorar von 500 Euro und weiß doch genau, dass ein Großteil seiner Mitglieder niemals die Aussicht hat, ein solches zu bekommen. Welcher Autor aber schlägt eine Lesungseinladung aus, auch wenn ihm weniger als 500 Euro geboten werden? Gäbe er dem VS Recht, müsste er das Angebot ablehnen. Das Hamsterrad kennt kein Entkommen. Die Mitwirkenden der kleinen Bühnen und Veranstalter, die Autoren allenfalls ein Minihonorar zahlen oder ihnen gar nur die Möglichkeit zum Buchverkauf geben können, sind meistens ebenfalls im ehrenamtlichen Einsatz.

Der VS ist ein Berufsverband, das heißt, er vertritt die Interessen von Berufsschriftstellerinnen und Berufsschriftstellern. Das sind diejenigen, die in größeren unabhängigen Verlagen oder in Publikumsverlagen veröffentlichen. Es sind diejenigen, die Tantiemen beziehen und deren Auftritte bezahlt werden. Als Aufnahmekriterium in den VS gilt meistens eine eigenständige Publikation. Zwischen einer eigenständigen Publikation und einer Berufstätigkeit als Autor liegen aber Welten. Der VS setzt bei seinen Mitgliedern die Eigenschaft als Berufsautor (wenigstens im Nebenberuf) voraus, verlangt von seinen Aktivistinnen und Aktivisten in den Landesverbänden gleichzeitig, dass sie sich ehrenamtlich für den VS engagieren, Projekte stemmen und Lesungen für die profilierteren Mitglieder organisieren.

Nicht nur den VS, sondern die gesamte Branche scheint eine eigentümliche Doppelmoral zu durchziehen. Einerseits wird ehrenamtliche Arbeit stillschweigend geduldet, um den Betrieb am Laufen zu erhalten. Die Ehrenamtler kaufen Bücher, besuchen Lesungen, schreiben Besprechungen. Andererseits wird die eigene künstlerische Arbeit der Ehrenamtler als minderwertig gegenüber der vergüteten künstlerischen Arbeit eingestuft. Oft werden die Ehrenamtlichen als Zuarbeiter verstanden, die den hauptamtlichen Schriftstellern Support bieten und vielleicht ihr wichtigstes Publikum darstellen. Dabei entscheidet der Umstand, ob Künstler mehr oder weniger verdienen, nicht wirklich über ihr Können, außer dass Berufsautoren mehr Möglichkeiten der Weiterbildung, bezahlter Coachings und der vermehrten Schreibzeit durch Stipendien erhalten und dass sie mittels größerer Verlage und Veranstalter mehr Sichtbarkeit erlangen. Die Bekanntheit eines Autors ist das Kriterium, an dem sich sein Marktwert misst, viel mehr als sein Engagement oder seine Leistung. Mit der Bekanntheit steigt die Vergütung und die Vergütung wiederum fördert die Bekanntheit.

Schriftstellerinnen und Schriftsteller können nicht von Luft und Liebe leben. Viele müssen hinzuverdienen. In dem Buch „Brotjobs & Literatur“ (Verbrecher-Verlag, 2021)[1] sprechen Literaturschaffende offen darüber, wie es sich mit der Fußfessel des Brotjobs im Literaturbetrieb lebt. Auch nebenberufliche Schriftstellerinnen und Schriftsteller fühlen sich gegenüber den hauptberuflichen oft benachteiligt. Ihre Honorare sind meistens geringer als die ihrer Kolleginnen und Kollegen mit noch größerer Reichweite, und so können sie ihren Brotjob auch nicht überflüssig machen. Gegenüber den Ehrenamtlichen sind sie aber immer noch besser gestellt. Immerhin erhalten sie in dem meisten Fällen überhaupt Honorare und erfüllen die Eigenschaften eines nebenberuflichen Autors im Sinne des VS. Die damit verbundene Anerkennung als Berufsautor wirkt aber oftmals nur innerhalb der Literaturszene. Außerhalb, im Alltagsumfeld oder im Milieu des Brotberufs bröckelt die Identität. Der Lyriker Dominik Dombrowski beispielsweise wurde am Arbeitsplatz gefragt, was er beruflich mache. Er sagte, er sei Dichter. Als Gegenfrage kam zurück: „Muss man Sie kennen?“

Nun gibt es im Schatten der Schriftsteller, die Brotjobs haben, andere Autoren, die gar keiner Erwerbsarbeit nachgehen und trotzdem keine Berufsschriftsteller sind. Über diese Gruppe wird schweigend hinweggegangen. Ist ein Autor, der von Bürgergeld oder Erwerbsminderungsrente lebt und dabei Vollzeit schreibt, ein Sozialschmarotzer? Oder leistet er einen wertvollen Beitrag für die Gesellschaft – auch wenn ihn keiner sieht? Das Perpetuum mobile dreht sich weiter, weil ein sozial schwacher Autor kaum eine Chance hat, in die Ebenen vergüteter Literaturarbeit aufzusteigen.

Schreibenden wird vorgegaukelt, sie bräuchten sich nur „eine Agentur zu suchen“, dann wären alle Probleme gelöst und der Weg zum Erfolg sei endlich geebnet. Dass bei Agenturen aber nur diejenigen Autorinnen und Autoren Erfolgsaussichten haben, die bereits eine persönliche Reichweite und Markttauglichkeit mitbringen, wird nicht gesagt. Und so werden hunderte und aberhunderte Bewerbungen geschrieben, die von vornherein zum Scheitern verurteilt sind. Wie aber können sich Autoren, die über die Werkzeuge des Marktes nicht verfügen, für ihre Rechte einsetzen? Was ist mit denen, die den Anforderungen nicht genügen? Oder mit denen, die sich weigern, das Spiel der Vermarktung mitzuspielen? Vor zwanzig, dreißig Jahren gab es eine Underground-Literatur, die dem Establishment trotzen wollte. Es war klar, dass alle ehrenamtlich schrieben, denn sie widersetzten sich ja dem Markt und seinen Mechanismen. Heute orientieren sich wieder alle am Markt, egal, von welchem Standort aus. Die heutige Wettbewerbssituation im Literaturbetrieb verschärft die Hierarchie unter den Schreibenden immer mehr. An der Basis zu schreiben, bedeutet keinen Wert mehr, das ist kein Underground mehr, sondern nur noch ein Defizit gegenüber der literarischen Oberschicht. Teure Autorencoachings und private Lektorate schießen aus dem Boden und suggerieren den Schreibanfängern und schwächeren Autoren, dass ihre Träume vom großen Durchbruch Wirklichkeit werden, wenn sie diese Dienstleistungen in Anspruch nehmen. In Wahrheit bleibt es dabei, dass nur die wenigen an der Spitze der Pyramide die Gelegenheit erhalten, ihre Bücher angemessen zu verbreiten, weil die Bücher in den Medien und in den Buchhandlungen sichtbar werden. Diese Bücher werden gelesen, und befriedigende Verkaufszahlen gehören auch dazu.

Viele Kulturschaffende kommen, wenn sie überhaupt etwas bewegen wollen, nicht an der ehrenamtlichen Arbeit vorbei. Zu nah an ihnen dran ist die Szene lokaler Initiativen und Vereine, bei denen die Ehrenamtlichkeit die Norm ist. Klar: Ehrenamtliches Engagement ist etwas Wertvolles, ohne das die Gesellschaft total verarmen würde. Wahrscheinlich würde sie sogar zusammenbrechen. Aber wehe, einer schert im Verein oder semiprofessionellen Verlag aus der Reihe aus und fordert plötzlich ein Honorar! Dann wird er schnell von seinen Mitstreitern an den Rand gedrängt mit dem Argument: „Wir arbeiten hier schließlich alle ehrenamtlich!“ Andererseits schafft er es nur so, in die Riege „vollwertiger Künstler“ aufgenommen zu werden, wenn er ein Einkommen erzielt.

Was also tun, um mit dieser Doppelmoral aufzuräumen? Viele Autorinnen und Autoren, die nichts verdienen, sind Pioniere auf ihrem Gebiet. Sie folgen keinen geebneten Wegen, sondern fechten sich mit ihren Sicheln durchs Gestrüpp. Wo Neuland ist, da sind noch keine Märkte. Und wo keine Märkte sind, da fließt kein Geld. Wo soll die Vergütung also herkommen? Die Antwort: Qualität sollte mehr zählen als Profit, und Kreativität sollte Durchlässigkeit statt Abschottung bedeuten. Wäre der Literaturbetrieb eine Schneekugel, müsste man sie kräftig schütteln.


[1] Iuditha Balint, Julia Dathe, Kathrin Schadt und Christoph Wenzel (Hg): Brotjobs & Literatur. Berlin: Verbrecher Verlag 2021. ISBN 3-95732-498-6


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