Reisen ist vieles. In Geschichten, egal ob sie durch Text oder Bilder erzählt werden, ist „die Reise“ ein beliebtes Motiv, um dem Werdegang des Protagonisten eine Bühne zu bereiten. Eine solche Bühne bereitet die Autorin und bekannte Filmemacherin Doris Dörrie in ihrem autofiktionalen Text nun sich selbst. Für Dörrie ist das Reisen sowohl Metapher als auch buchstäblich zu verstehen. Ihr Beruf führt sie immer wieder auf lange Reisen in entfernte Regionen.
In drei große Abschnitte ist das Buch unterteilt, jeder mit einem anderen geographischen Bezug: San Francisco, Japan und Marokko sind die drei Reise-Stationen, die jeweils zum Ausgangspunkt von Dörries Erzählen werden.
Ihr erster längerer Auslandsaufenthalt führte sie während der Ausbildung in die USA. Als fertige Filmemacherin wurde für sie später Japan immer wieder zum beruflichen Ziel. Das private Reisen erlebt und schildert sie im dritten Abschnitt ihres Buches mit einem Bericht über einen gemeinsamen Urlaub in Marokko mit einer Freundin.
Freundschaft, Liebe, Selbstfindung, Verlust, Trauer, Alter – Es sind die großen Themen des Lebens. Dörrie plaudert mal humorvoll, mal melancholisch, auf den ersten Blick wirkt alles leicht und ist es doch nie. Sie versteht es gut, die richtigen Akzente zu setzen, um ihren Text in der richtigen Balance aus Ernst und Unterhaltsamkeit zu halten.
Dörrie gewährt in ihren lose zusammen hängenden Geschichten recht persönliche Einblicke und Einsichten. Sie zeigt: Manche Themen begleiten uns ein Leben lang und über alle Reisen hinweg. Verletzungen aus früheren Beziehungen, wie die aus der unglücklichen Liebesgeschichte, die sie als junge Frau in den USA selbst erlebte, lassen uns nie wieder völlig los.
Und auch über kulturelle Grenzen hinweg wiederholen sich manche Geschichten. Enttäuschungen und persönliche Niederlagen sind nicht unique. In den Geschichten anderer kann man sich selbst gespiegelt und vielleicht auch getröstet sehen.
Eine ständige Konstante in ihren Geschichten, wie auch in ihrem Leben, ist die Frage nach der Rolle der Frau in der Welt. Wie sie als Frau von anderen gesehen wird, nimmt Einfluss darauf, wie sie sich selbst gibt. Frauen werden andere Rollen zugewiesen als Männern. Auch an diesem Punkt zeigt Dörrie Gemeinsamkeiten auf, die über kulturelle Grenzen hinweg zu erkennen sind.
„Die Heldin reist“ ist ein Text, der unterhaltsam große Fragen streift, ohne dass sich die Erzählerin dabei selbst zu wichtig nimmt. Die Ich-Erzählerin bewahrt sich ihren nachdenklichen, distanzierten Ton. So bleibt den Leser:innen genug Raum, die Lektüre mit eigenen Erfahrungen in Verbindung zu bringen und das Lesen wie eine Reise zu sich selbst zu empfinden.
- Autorin: Doris Dörrie
- Titel: Die Heldin reist
- Verlag: Diogenes Verlag
- Erschienen: 4. Auflage/ Februar 2022
- Einband: Taschenbuch
- Seiten: 240 Seiten
- ISBN: 978-3257071849
Wertung: 11/15 dpt