Booknerds: Hallo Holger, DANKE, dass Du Dich für ein Interview im Rahmen unserer Artikelreihe „Büchermenschen gegen rechts“ zur Verfügung stellst. Stelle uns doch bitte Deinen Verlag kurz vor. Welche Art von Büchern veröffentlichst Du? Was ist Dir in Bezug auf Bücher aus deinem Programm wichtig?
Holger Klimannel: Die Edition Roter Drache wurde 2006 ursprünglich als Sachbuchverlag gegründet. Der Schwerpunkt lag auf (akademische) Schriften zu Themen wie Kabbala, Qliphoth, Adulruna oder Reprints wie „Gelehrte Verhandlungen der Materie von den Erscheinungen der Geister, und der Vampire in Ungarn und Mähren.“ 2010 veröffentlichten wir mit „Advocatus Diaboli“ unser erstes Phantastik-Buch. Hierbei handelte es sich um eine Anthologie mit düsteren Geschichten, u.a. von Christoph Marzi, Torsten Sträter, Marc-Alastor E.-E. oder Aino Laos. Da niemand Phantastik in einem Sachbuchverlag sucht, blieb der Erfolg natürlich aus. Erst 2014 wagten wir uns wieder an die Phantastik heran, indem wir uns dem Steampunk zugewendet haben. Heute sind wir breit aufgestellt: von Sachbuch und Fantasy über Krimi, Kinder- und Jugendbuch, Satire, Humor, bis hin zu Biographien und einer Comicreihe haben wir alles im Programm. Wichtig dabei ist, dass es sich hierbei um Bücher und Themen handelt, die uns selbst interessieren. Es handelt sich bei unseren Veröffentlichungen um Bücher, die wir gerne lesen wollen.
- Infoblock Holger Klimannel
- Holger gründete seinen Verlag 2006 ursprünglich in Thüringen als Sachbuchverlag über Themen wie Kabbala, Qliphoth, Adulruna und Heidentum.
- Seit 2008 verdient er seinen Lebensunterhalt als Verleger.
- Holger veröffentlichte 2010 die erste Phantastik-Anthologie mit düsteren Geschichten und ab 2014 Steampunk-Literatur.
- Heute verlegt er ein breites Angebot an Literatur: Fantasy, Science Fiction, Krimi, Kinder- und Jugendbuch, Satire, Humor bis hin zu Biographien und einer Comicreihe.
- Holger publiziert überwiegend deutschsprachige Literatur und nur wenige Übersetzungen.
- Inzwischen lebt er in Meschede in NRW, ist aber häufig auf Buchmessen und Phantastik-Cons unterwegs.
Booknerds: Der Anlass dafür, diese Artikelreihe zu starten und somit auch für dieses Interview, ist der Eindruck bei uns Booknerds-Redakteur:innen, dass leider auch im Buch-Business die rechte Gesinnung immer mehr Raum erhält. Besonders schockierte uns die Veröffentlichung von “Willkommen im falschen Film” von Monika Gruber und Andreas Hock im Piper Verlag mit rassistischen Beleidigungen gegen eine namentlich genannte Bloggerin. Wie beurteilst Du diese Entwicklung?
Holger Klimannel: Früher gab es für rechtes Gedankengut einschlägig bekannte Verlage, doch seit Corona und dem Aufkommen der Anti-Corona-Bewegung verschwimmen die Grenzen. Menschen mit Regenbogenfahnen, Reichsbürger, Impfgegner und Wutbürger demonstrierten zusammen. Als ich 1998 das Buch „Weltverschwörungstheorien – Die neue Gefahr von Rechts“ von Eduard Gugenberger, Franko Petri und Roman Schweidlenka gelesen habe, war ich überzeugt, dass die Menschheit nicht so blöd sein kann, um auf Verschwörungstheorien hereinzufallen. Ich habe mich selten dermaßen geirrt! Während der Pandemie sind auf einmal in Kleinverlagen mit unpolitischen Themen Bücher von Führungspersonen dieser Bewegung erschienen und wurden Spiegel-Bestseller. Das hätte sich vor 10 Jahren niemand träumen lassen, dass rechte Gesinnung verstärkt Akzeptanz erfährt. Eine Entwicklung, die einen Angst macht, und gegen diese Entwicklung müssen wir vorgehen. Rechtes Gedankengut darf niemals und nirgends in irgendeiner Form akzeptiert werden.
Booknerds: Welche Rolle spielt eine potenziell größer werdende Zielgruppe für Bücher mit rechtsradikalen Narrativen?
Holger Klimannel: Publikumsverlagen geht es um Umsatz und Gewinnmaximierung. Denen ist es nicht so wichtig, was im Buch steht, solange die Verkäufe stimmen. Frei nach dem Motto „Ein bisschen provozieren hat noch niemanden geschadet und bringt Umsatz“ werden die Grenzen immer weiter verschwimmen, bis eines Tages offener Rassismus als „normal“ angesehen wird. Das mag pessimistisch klingen. Aber wenn man sich die Entwicklung von 2020 bis heute anschaut und wie rasant das von statten geht, gelangt man zwangsläufig zu diesem Schluss.
Booknerds: Du veröffentlichst Bücher, die sich mit nordischer und germanischer Mythologie beschäftigen. Das sind Themen, die Zeitgenossen mit rechtspopulistischer Gesinnung gerne für ideologischen Zwecke missbrauchen. Hast Du die Erfahrung machen müssen, dass Bücher aus deinem Programm in Kreisen diskutiert und empfohlen wurden, die rechtsextreme Weltbilder und Denkweisen verbreiten?
Holger Klimannel: Im Nationalsozialismus haben nur ganz wenige Prominente des Regimes sich für Okkultismus und Heidentum interessiert. Vielmehr haben diese „NS-Heiden“ versucht, eine „germanisierte“ oder „arische“ Form des Christentums zu etablieren. Hitler selbst spottete über den Versuch einiger weniger seiner Leute, einen Wotanskult zu etablieren. Kurzum: Nationalsozialisten waren stets christlich geprägt und versuchten, ein Christentum frei vom „Judentum“ zu erschaffen. Hitler & Co. bezahlten bis zu ihrem Tod die von ihnen eingeführte Kirchensteuer. Warum diese Trottel von heute glauben, dass Nationalsozialismus und nordisches Heidentum vereinbar ist, ist mir schleierhaft. Aber um auf deine Frage zurück zu kommen: Wir versuchen unsere Bücher zu diesen Themen so unattraktiv wie möglich für diese Szene zu halten, in dem wir immer darauf hinweisen, dass Nationalsozialismus und nordisches Heidentum nicht vereinbar sind.
Booknerds: Was kannst Du dagegen tun, dass Bücher der Edition Roter Drache im rechtsradikalen Umfeld, zum Beispiel in Nazi-Foren oder entsprechenden Gruppen der sozialen Medien propagiert werden?
Holger Klimannel: In unseren Büchern gibt es etwas, was wir „Sollbruchstellen“ nennen. Sollte sich eins unserer Bücher in den Händen dieser Vollpfosten verirren, finden sich beim Lesen schnell Stellen, die ihrem Weltbild so stark widersprechen, dass sie das Buch wutentbrannt gegen die nächste Wand schleudern. Ansonsten hilft nur Aufklärung, Aufklärung und Aufklärung. Bücher wie „Asatru – Die Rückkehr der Götter“ werden mit jeder Auflage auf dem aktuellen wissenschaftlichen Stand gebracht. Und Wissenschaft ist etwas, mit dem die braune Brut nicht zurechtkommt, da es ihr Weltbild zerlegt.
Booknerds: Welche Themen und Motive aus dem Bereich Mythologie und Heidentum werden von Rechtsextremen missbraucht? In welcher Weise?
Holger Klimannel: Schau dir nur diese ganzen nordischen Motive mit Wikingern an, auf denen „Odin statt Jesus“ oder „Mein Leben für Valhalla“ steht. Beim Anblick rollen sich mir die Fußnägel hoch. Auch zieren sie diese Motive gern mit Runen, ohne Ahnung von Runeninschriften zu haben. Darin finden sich so viele Schreibfehler, dass ich die Träger von diesen Klamotten auslachen muss. Von nichts eine Ahnung haben, aber einen auf Wikinger machen wollen.
Booknerds: Hast Du schon einmal ein Manuskript mit rechten, rassistischen, misogynen, queer-feindlichen oder ableistischen Inhalte mit der Bitte um Veröffentlichung erhalten? Oder hast Du derartig fragwürdige Inhalte nachträglich in veröffentlichten Büchern deines Verlags entdeckt?
Holger Klimannel: Zu beidem: Nein. Meine Autor:innen sind so vielfältig in ihren Ausrichtungen, von Hetero und Queer bis Asexuell und politisch ganz weit Links, dass sie bei so einem Fehler nicht bei mir veröffentlichen würden.
Booknerds: Glaubst Du, dass Phantastische Literatur besonders anfällig ist für versteckten Rassismus oder niederschwellige Intoleranz gegen marginalisierte Personen? Eben weil Weltenbau und Figuren phantastisch und mit Stereotypen ausgestaltet sind? (Magst Du Beispiele nennen?)
Holger Klimannel: Das ist immer schwierig zu beurteilen. Als ich z. B. den Film “Starship Troopers” gesehen habe, empfand ich ihn als eine gelungene Satire und war überrascht, als er wegen eines pro-millitaristisch interpretierten Inhalts auf dem Index gelandet ist. Beim Anschauen wäre ich nie auf diesen Gedanken gekommen, weil es eben für mich (wie “Iron Sky”) eine Satire darstellt. In der Phantastik ist es nicht anders. Manchmal wird etwas hineininterpretiert, dass gar nicht beabsichtigt war. Deshalb ist ein gutes Lektorat und Sensitivity Reading enorm wichtig, um solche Missverständnisse zu vermeiden. Aber ich gebe dir recht, wenn jemand versteckten Rassismus oder ähnliches verbreiten will, wäre es in der Phantastik möglich. Zum Glück legen Kleinverlage großen Wert auf saubere Geschichten. Den Fehler, den Piper gemacht hat, wäre keinen meiner Kolleg:innen in der Phantastik unterlaufen, weil sie ihre Veröffentlichungen kritisch prüfen. Bei Publikumsverlagen wäre es vermutlich einfacher, so etwas unterzubringen.
Booknerds: Du veröffentlichst auch Kinder- und Jugendbücher. Die Diskussion um rassistische Sprache in Kinderbuch-Klassikern wird hitzig geführt. Sollte in Kinder- und Jugendbüchern nicht nur auf diskriminierende Sprache verzichtet werden, sondern möglichst auf typische Narrative einer weißen Mehrheitsgesellschaft?
Holger Klimannel: In meinen Kinderbüchern geht es um Vielfalt, Akzeptanz des „anders sein“ etc., also fernab von rassistischer Sprache. Ich denke, wir sind in der Bücherwelt auf dem richtigen Weg, weil immer mehr Autor:innen auf Sprache achten und die Narrative einer weißen Mehrheitsgesellschaft verzichten. Und nur weil etwas als ein Klassiker angesehen wird, rechtfertigt es noch lange nicht eine rassistische Sprache. In nicht allzu ferner Zukunft wird diese Diskussion sich erledigt haben, weil so etwas dann nicht mehr auf dem Markt sein wird. Da bin ich optimistisch.
Booknerds: Hast Du Empfehlungen für Lesende, die sich für Literatur im Themenbereich Rassismus, Rechtspopulismus und Missbrauch mythologischer Themen interessieren?
Holger Klimannel: Die erwähnten Bücher „Weltverschwörungstheorien“ und „Asatru“ klären sehr gut auf. Das Erstgenannte, wie Verschwörungstheorien der Rechten funktionieren, das Letztgenannte, worum es im nordischen Heidentum tatsächlich geht und warum es nicht mit dem Gedankengut der Nazis vereinbar ist. Ansonsten natürlich die Publikationen der einschlägigen Stiftungen gegen Rassismus und Rechtspopulismus, diese sind immer auf dem aktuellen Stand.
Das Interview führte Eva Bergschneider mit Holger Klimannel per e-Mail.