Büchermenschen gegen Rechts – Interview mit Henrik Schrat, bildender Künstler und Buchillustrator


Ich denke, wir sollten mehr darüber reden, was alles gut gelaufen ist, und wie wir das noch weiter verbessern können.

Booknerds: Lieber Henrik, ich habe dich auf Insta als Grimmschrat kennengelernt. Magst du dich uns bitte kurz vorstellen? Der Grimmschrat ist ja nur eine Facette seiner kreativen Identität.  Was nervt dich aktuell ganz besonders an bzw. in deiner Heimatregion?

Henrik Schrat: Ich liebe das Vogtland, die Landschaft, den Dialekt und diese kleine Verbasteltheit, Hügel, Bergchen Burg, Fluss, Wald, und dann wieder von vorn… Ich fühl mich wie auf einer Platte der Modelleisenbahn. Das Saaletal, das Elstertal, all die kleinen Orte, wenn ich da mit dem Zug durchfahre – Gera – Greiz, das Elstertal entlang, kann ich jedem empfehlen, da klebt man am Zugfenster, so unfassbar schön ist das.

Die AfD wird neuerdings gern gewählt, das ist traurig. Dass die Bergchen vielleicht dem einen oder der anderen den Blick verstellen auf größere Zusammenhänge und der Gartenzwerg im Vorgarten nicht mehr witzig sondern bedrohlich wird, hat auch viel mit Verdummungskampgnen der Bildzeitung und der AfD zu tun, die den Menschen falsche Lösungen anbieten um Macht zu gewinnen.

Booknerds: Im Vorgespräch hast du erwähnt, dass du unter die Aktivisten gegangen bist, weil dir der Kragen geplatzt ist. Du hast ein Projekt gestartet mit dem Namen „Trude Dreibart“. Kannst du uns bitte erzählen, was sich dahinter verbirgt.

Henrik Schrat: Ich bin aus Greiz, und hatte 2011 die Ehre die dort neu gebaute „Vogtlandhalle“ auszumalen. Ich hab ein komplexes erzählerisches Wandbild entwickelt, in dem die fiktiven Riesen Trude und Dreibart durch Sagen in der Gegenwart ankommen.

Als jetzt Björn Höcke angekündigt hat, in Greiz zu kandidieren, da lief das Fass über, und ich hab‘ dort nach Kontakten und Netzwerken gesucht, und angeboten, den „Dreibart – Narrativ“ zu aktivieren und „freizugeben“. Sei auch Du Dreibart oder Trude, und wehre Dich gegen den braunen Pilz, der unsere Zukunft zerfressen will. Und da sind wir mittendrin: Das fiel auf positiven Boden, und ‘ne Menge Leute vor Ort haben es aufgegriffen, und weiterentwickelt, z.B. die Idee das „braunen Pilz“ zu nennen, kam von dort. Ich hab’ immer von „dunkler Bedrohung“ gesprochen, à la Harry Potter oder Herr der Ringe. Wir wollen die AfD und Höcke möglichst wenig nennen. Diesen Fehler haben die Medien ja immer wieder gemacht, auf jede Provokation zu springen wie der Hund über das Stöckchen und die AfD quasi hochzuschreiben.

Ich denke, wir sollten mehr darüber reden, was alles gut gelaufen ist, und wie wir das noch weiter verbessern können. Gute Laune statt schlechte Laune, sowieso. Es geht uns in Europa so dermaßen gut…

Booknerds: Fühlst du dich als Künstler besonders verpflichtet? Was kann Kunst bewirken?

Henrik Schrat: Kunst ist immer auch politisch, Betonung auf AUCH. Da ich schon 56 Jahre bin, kann man die Kunstrezeption der letzten 40 Jahre schön unterteilen, mal war politisch, mal nicht. Mal hab’ ich mir den Mund fusselig geredet, das Kunst auch ‘ne politische Dimension hat (in den 2000er Jahren) und in den Jahren seit 2016 hab’ ich dagegen geredet, Kunst ist nicht mit Politik zu verwechseln. Da war zu viel schlechte Kunst in ambitionierten Ausstellungen, die „auf der richtigen Seite“ stand, die ganze superwoke Nummer. Das hat ziemlich viel zerstört und diese moralische Rechthaberei hat den Rechten die Wähler in Scharen in die Arme getrieben. Das war – inzwischen ist es wieder etwas besser  – sehr dramatisch, wenn das Gute gewollt wird, aber das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird. Es wurde viel Porzellan zerschlagen.

Von daher: Auch meine Kunst hat immer ein politische Dimension, ganz klar. Aber wie sagt Fontane: „Das Poetische hat immer recht. Es wächst über das Historische hinaus.“

Also man muss in die Spur gehen als Künstler, sich dann aber auch wieder rausziehen. Ich bin kein Politiker. Ich kann Bilder und Erzählungen liefern. Ich bin im politischen Wiederstand in der DDR aufgewachsen, hab‘ so einen „Persilschein“ – staatlich anerkannter Verfolgter des DDR Regimes, das war damals natürlich noch in Greiz, und irgendwie erinnert mich das jetzt alles daran. Ich hab’ graue Haare, damals war ich 16 und hatte es mit solchen engstirnigen Idioten zu tun. Unzivilisierte Rüpel, die der Meinung waren, anderen sagen zu können, was richtig ist und die schlecht rochen und keinen grammatisch richtigen Satz sagen konnten, aber machtgeil waren. Das kommt mir 2024 verdammt bekannt vor. Ich glaub, die Diskussion um inhaltliche Positionen kommt erst später, es ist eine Frage der Zivilisiertheit. Freundliche, sportliche inhaltsbezogene Diskussion versus Gehetze und schlechte Laune und Lügen.

Für Kunst ist es wichtig, dass es keine, und ich meine gar keine, Denkverbote gibt. Und da verändert sich was, das ich total schade finde.  Es hängt wieder sowas in der Luft wie „Du wirst in die Ausstellung eingeladen, wenn du auf der richtigen Seite stehst, die richtige Biographie hast“ und so.

Booknerds: Wie belastend empfindest du die Situation? Welche Auswirkungen hat das Erstarken der Extremen Rechten auf die Kultur- und Kunstszene?

Henrik Schrat: Sie rückt enger zusammen, in Institutionen gibt’s hier und da Furcht vor Kürzungen. Die für mich unangenehmste Folge ist jedoch mental: Ich liebe Ernst Jünger, und lese Nietzsche und so weiter. Ich lese auch Trotzki und Foucauld und was weiß ich. Für Kunst ist es wichtig, dass es keine, und ich meine gar keine, Denkverbote gibt. Und da verändert sich etwas, das ich total schade finde.  Es hängt wieder sowas in der Luft wie „Du wirst in die Ausstellung eingeladen, wenn du auf der richtigen Seite stehst, die richtige Biographie hast“ und so. Das find’ ich ganz schlimm. Natürlich zieht sich die Kulturszene zusammen im Angesicht einer Bedrohung, die Menge des konsensfähig Sagbaren wird kleiner, das ist ein ganz normaler Vorgang, das hast Du ja auch in der gesamten Gesellschaft. Was wieder Futter für rechte Rhetorik ist. „Man darf ja nichts mehr sagen“. Kompletter Quatsch, wir leben in einer toleranten, freundlichen, liberalen Gesellschaft, in der jeder alles sagen darf, und das ist ganz großartig. Aber natürlich hat sich der Konsens zusammengezogen, er wehrt sich gegen diese Übergriffe vom Rand. Positiver Artikel über Trump oder China? Schwierig, außerhalb des Konsens. Da müssen aber Kommunikationstheoretiker ran. Auf jeden Fall hat es nichts mit gesteuerten Medien zu tun, um diese rechte Gelabere zu zitieren, sondern ist meines Erachtens ein organischer Vorgang. Der vielleicht auch richtig ist. Aber ich lese nach wie vor gern Ernst Jünger. Nur ist halt beängstigend, dass Menschen Literatur oder Kunst, die im komplett offenen Möglichkeitsraum ist, für Realität halten, und als Handlungsbegründung zitieren. Siehe Nietzsche und die Nazis. Nietzsche war ein großer Philosoph, aber kein Politiker, ihr Deppen, dazwischen steht der Mensch.

Booknerds: Befürchtest du, dass dein Aktivismus für die Demokratie und gegen Rechts, persönliche Nachteile für dich auslösen könnte?

(c) Henrik Schrat

Henrik Schrat: Ja. Damit kann ich aber leben. Ich bin so aufgewachsen, siehe oben. In die innere Immigration gehen schreckt mich jetzt nicht, ich würde gern mal wieder 200 Stillleben malen, nichts wäre schöner und konzentrierter. Und diese Hetzköpfe haben noch nicht die Spur von Ahnung, mit wem sie es zu tun kriegen und was Kommunikative Guerilla alles kann. Aber hey, darüber reden wir ja wohl noch nicht, oder? Obwohl der Appetit auf Diktatur mich schon nervös macht. Einfache Lösungen versus liberale Möglichkeiten, Menschen sind halt auch Tiere, die es lieben, wenn man ihnen das Denken abnimmt. Ich war neulich auf ‘ner Rede von Maaßen in Chemnitz, das war unfassbar, für wie blöd er das Publikum verkauft hat. Es waren zwar nur 30 Personen da, aber diese demagogische Verkürzung von Wahrheiten – bis hin zur kompletten Leugnung des Klimawandels, was man ja gern hört, „ach…so schlimm ist es gar nicht… wie gut, das Problem gibt’s gar nicht…“ war schon interessant. Auch dass da ein beleidigter alter Mann steht, den Wahrheiten nicht mehr interessieren, sondern der Macht und Rache will, der  jetzt nicht mehr wichtig ist, das war mit Händen zu greifen. Es menschelt überall.

Booknerds: Was  wünschst du dir von Künsterkolleg:innen?

Henrik Schrat: Klare Positionen, jeder und jeder ist verschiedenen Grads politisch, das ist gut so. Ich bin sonst auch kein Aktivist, und freu’ mich drauf wenn‘s vorbei ist.  Positionen bitte, die nicht in superwokem Gebrüll enden, sondern mit Augenmaß auf das Kommunikationsverhalten der Adressaten eingehen. Es kann schon auch mal sinnvoll sein NICHT auf veganem Essen zu bestehen, und NICHT zu gendern. Also, wenn‘s sein muss, sag’ ich mal.

Booknerds: Siehst du dich als ostdeutschen Künstler? Ist dieses Ost-West-Denken in deiner Welt ein Thema?

Henrik Schrat: Ich bin mit einer Frau verheiratet, seit 26 Jahren, die im damaligen Westdeutschland aufgewachsen ist. Für mich ist die Ost – West Geschichte schon lang kein Thema mehr. Ich hab‘  immer nach vorn geschaut und das hat mich in den 90ern schon nicht mehr interessiert. Der mentale Unterschied zwischen NRW und Bayer ist größer als der zwischen Bayern und Thüringen. Jetzt haben wir es aber mit einer sich fortpflanzenden Identitätsgeschichte zu tun, die auch die AfD stark halten wird. Dass sie sich damit komplett selbst schaden, und das wirtschaftliche Hinterherhinken quasi festschreiben, ist ein Drama. Es müsste Neugier und Zukunftsidee als Identität her, sowas wie „Wir wollen das erste Bundesland sein, das komplett auf erneuerbaren Energien basiert. JAAA, das sind WIR!” Oder so. Abschottung ist immer der Anfang vom Ende, und das befürwortet die AfD.

Booknerds: Könnte ein besseres Verständnis zwischen Ost und West zur wirksamen Waffe gegen die Extreme Rechte werden?

Henrik Schrat: Wie gesagt, ich glaube nicht an diese Zweiteilung und ich würde diese Zweiteilung nicht perpetuieren, indem man sie ständig erwähnt.

Booknerds: Zum Schluss noch ein kurzes Wort zu deinem aktuellen Projekt. Dann können wir den Kreis schließen. Was wirst du mit Trude und Dreibart jetzt machen? Wo und wie sollen sie in Erscheinung treten? Welche Aktionen sind geplant? Wie kann man dich unterstützen?

Henrik Schrat: Da müssen wir das ICH rausnehmen. Dreibart und Trude sind freigegeben, als mythische Figuren, und gehören den Leuten dort. Jeder Mensch kann Trude oder Dreibart sein und sich zur Wehr setzen.

(c) Henrik Schrat

Es gibt die heterogene Initiativgruppe „Dreibart geht wählen“. Da geht grad ziemlich die Post ab. Das ist dezentral, aber es sind ‘ne Menge (Orga-) Profis aus der Region dabei. „Alte Papierfabrik e.V.“ etwa, die da schon einiges losgetreten haben. Es fahren Busse in Greiz mit dem Dreibart herum, am 30.08. wird als krönender Abschluss ein Demokratiefest am Ufer der Elster stattfinden. Es sind Filmclips in Produktion, ein Comic, eine Großmarionette, Kostümveranstaltungen mit Dreibart, der als Stelzenriese auf verschiedenen Festen auftaucht. Es wird so etwas wie Karnevalswagen geben, die übers Land ziehen. Eine Aufkleberkampagne mit Kreativen aus der Region ist in Planung. (bitte melden, wer mitmachen möchte!)

Ansonsten ist das der übliche Wahnsinn. Leider sind die meisten pessimistisch, wenn es darum geht, die von der AfD aufgehetzten Menschen noch zu überzeugen, dass sie nicht gegen ihre eigenen Interessen wählen sollen. Die AfD leugnet den Klimawandel, will also unsere Heimat zerstören, will den Sozialstaat abbauen – Subventionen für Bauern? Gestrichen – und so weiter. Mal von diesen nationalistischen Fantasien und dem Spalten unserer Gesellschaft ganz zu schweigen. Ganz üble Truppe.

Es gibt eine Crowdfundingcampagne, bitte, wer kann und möchte, unterstützt uns:

https://www.startnext.com/dreibart-geht-waehlen

Booknerds: Vielen Dank für den Austausch und viel Erfolg!

Das Gespräch führte Britta Röder.


1 Kommentar
  1. Ein großartiger Künstler und ein kluger Mann! Dass die “moralische Rechthaberei den Rechten die Wähler in Scharen in die Arme getrieben” hat, stimmt meines Erachtens. Viele fühlen sich bevormundet, nein werden bevormundet in Sachen Umwelt, Moral, Geschlecht, Demokratie etc. und scheren aus Reaktanz aus dem Wertekanon aus, auch und gerade, wenn sie damit Staub aufwirbeln. Wir müssen lernen, mehr zu akzeptieren, und gleichzeitig für die Grenze des Demokratischen zusammen einstehen.

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