Martina Berscheid – Fremder Champagner (Buch)


Eine Frau träumt sich in der titelgebenden Erzählung “Fremder Champagner” mithilfe fremder Kassenbons, die sie in zurückgegebenen Einkaufswägen findet, in andere Leben hinein. Eine andere Frau entdeckt, dass ihr Mann, eine fremde Seite an sich hat („Als wären sie Verschwörerinnen“). Einem Mann wird auf einmal das Leben seiner Partnerin fremd („Passwort“).

Ihre Geschichten greift Martina Bescheid aus dem Alltag heraus. Brüder trauern um die verstorbene Mutter („Die Besuche meiner Mutter“). Eine alleinerziehende Kellnerin wird von einem Gast gestalkt („Könige“). Erwachsene Geschwister kommen bei einem Sonntagskaffee im Elternhaus zusammen („Familienfest“). Eine vereinsamte Frau sucht Trost in Social Media („Gwen“).

Viele von Martina Berscheids Figuren sind miteinander verwandt. Es geht um Eltern und Kinder, um Ehepartner, um Geschwister. Doch Nähe unter ihnen findet nur selten statt. Die Autorin erzählt von Lebensträumen, die platzen. Von Lebensfluchten. Von Lebenslügen. Und immer wieder geht es um Geheimnisse, die die Protagonisten voreinander haben und durch die sie sich auf Distanz halten. Meist, um sich zu schützen.

Mit jeder Erzählung kreiert Berscheid eine für das jeweilige Setting stimmige Atmosphäre. Der Wechsel in verschiedene Mileus fällt ihr leicht. Man spürt: Die Autorin kennt das Leben von vielen Seiten. Sehr subtil fließt auch Sozialkritisches in ihre Texte ein. Doch immer regiert die Ausgewogenheit. Berscheid überlässt ihrer Leserschaft die Einordnung in einen größeren Kontext, sie liefert „nur“ die jeweilige Perspektive.

Man kann sagen, inhaltlich bieten ihre Erzählungen wenig Neues. Die Themen, die sie aufgreift, finden sich in vielen Romanen und Erzählungen wieder. Doch Bescheids Erzählungen deshalb als Dutzendware abzutun wäre fahrlässig. Es gelingt ihr wie nur wenig Autor:innen ihre Geschichten perfekt zu inszenieren. Es ist ein besonderes Qualitätsmerkmal dieser Autorin, wie präzise sie die jeweilige Perspektive ihrer Protagonist:innen einnimmt und aus dieser heraus völlig unterschiedliche Erlebniswelten darzustellen vermag. Berscheid erzeugt damit nicht nur ein hohes Maß an Empathie sondern auch an Authentizität. Sie nimmt ihre Leserschaft bereits mit wenigen Sätzen mit in eine andere Realität und bringt ihr auch Mileus nahe, die sie aus eigenem Erleben vielleicht nicht kennt.

Die Erzählungen lesen sich leicht, obwohl es die angesprochenen Themen absolut nicht sind. Berscheids Stil ist enorm präzise und poetisch zugleich. Jeder Satz sitzt bei ihr an der richtigen Stelle. Kein Wort ist zu viel. So viel Sprachgefühl bereitet bei der Lektüre großes Vergügen.

Große Leseempfehlung!

  • Autorin: Martina Berscheid
  • Titel: Fremder Champagner
  • Verlag: Mirabilis Verlag
  • Erschienen: April 2024
  • Einband: Gebundene Ausgabe
  • Seiten: 236 Seiten
  • ISBN: 978-3947857258

Wertung: 13/15 dpt


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