“30 years in the making” heißt es in den Anzeigen zu “Phil Tippett’s Mad God”. Was einerseits stimmt, andererseits nicht ganz korrekt ist. Denn an “Mad God” wurde nicht über dreißig Jahre gearbeitet, das Projekt landete nach den Anfängen in den Achtzigern in der Schublade und wurde später wieder hervorgeholt. Wobei es über den gesamten Zeitraum im Kopf seines Schöpfers lebendig blieb. Doch Special-Effects- und Kreaturenkünstler Phil Tippett (samt Firma) war zunächst damit beschäftigt, erfolgreich zu sein und sich diverse Preise, darunter zwei Oscars, abzuholen.
Tippett arbeitete mit am Star Wars-Franchise, half den Dinosauriern im “Jurassic Park” auf die Pirsch zu gehen, unterstützte Paul Verhoeven bei “Robocop” und den “Starship Trooperes”. Einen Sonder-Oscar für Special Effects gab es für die Beteiligung an “Return Of The Jedi”, eine reguläre Statuette erhielt Tippett für “Jurassic Park” (beste visuelle Effekte).
Doch die Zeit des verrückten Gottes sollte kommen. Eine aufwändige Herzensangelegenheit, die Tippett und seine emsigen Mitarbeiter nach Jahren endlich umsetzen konnten. Tippetts Können, seine koordinativen Fähigkeiten, eine Kickstarter-Kampagne und nicht zuletzt seine Reputation machten es möglich, ein völlig unkommerzielles Kunstwerk wie “Mad God” auf die Leinwand zu bringen.
Obwohl Computer und echte Darsteller eine Rolle während der Produktion spielten, ist “Mad God” eine meisterliche Hommage an die Kunst der Stop Motion. Wirkt modern, aufgrund der der geschmeidigen Bewegungsabläufe, wegen der gezeigten graphischen Gewalt und einer Sturzflut von Körperflüssigkeiten. Gleichzeitig ist der Film zeitlos und aus der Zeit gefallen. Eine tiefe Verneigung vor den geschätzten Willis O Brien, Ray Harryhausen und Karel Zeman. Verbunden mit dem Versuch (nach Bekunden des kreativen Regisseurs) ein Hieronymus Bosch-Gemälde als Film umzusetzen. Das ist Phil Tippett gelungen.
Ein uniformierter Attentäter, das Gesicht verborgen hinter einer Gasmaske, begibt sich hinab in eine nicht näher definierte Unterwelt. Trotz Dauerbeschusses landet er unverletzt am Grund und marschiert, ausgerüstet mit einer Karte, zu einem bestimmten Punkt, um dort eine mit Zeitzünder versehene Bombe zu deponieren. Er wird nicht überleben und umgehend durch einen weiteren, ebenso wenig identifizierbaren, namenlosen Assassinen ersetzt.
Der sich seinen Weg weiter durch eine infernalische Welt bahnt, voller bizarrer Figuren, doie sich bekämpfen, foltern und abschlachten. Ein permanenter Kriegszustand. Täter werden zu Opfern. In Schlachthäusern wird ohne Unterlass operiert, deformierte Babys werden geboren und weiterverarbeitet, Blut, Exkremente und andere Ergüsse überschwemmen Gänge und Wände, sinnlos verrichten gesichtslose Sklavenpuppen Reinigungsarbeiten, bis sie zermalmt, überfahren, achtlos beiseitegeräumt werden.
Am Ende warten ein verkrüppelter Gnom und ein, an einen Pestarzt angelehnter, Alchimist auf eine Art Wiedergeburt. Explosionen am Himmel, die Zeitschaltuhr läuft ab, ein roter Kuckuck erscheint, und es wird gejodelt.
Verloren in einer archaischen Wildnis des Schmerzes, alle Kinder sind wahnsinnig, alle Kinder sind wahnsinnig. Warten auf den Sommerregen” (frei nach “The End” von den DOORS)
“Mad God” ist eine visuell beeindruckende Reise durch die neun Kreise der Hölle, wobei der siebte Präferenz besitzt. Dante Alighieri, der Schöpfer der “Göttlichen Komödie”, ist laut Phil Tippett neben Hieronymus Bosch und Bob Dylan ein weiterer geistiger Ahne in seinem phantasmagorischem Kosmos. Dass C. G. Jung (speziell das erst 2009 veröffentlichte “Rote Buch”) für das “Mad God”-Universum ebenfalls eine prägnante Rolle spielt, dürfte kaum verwundern. Denn die Reise auf die wir den “Mad God” begleiten, spielt mit Bewusstseinserweiterungen, speziell solchen auf Horrortrips, und dem alptraumhaften Wimmelbildgenerator namens Unterbewusstsein.
Ein Narrativ fällt weitgehend aus, Spannungsdramaturgie, Identifikationsmöglichkeiten mit den Protagonisten stellen sich nicht ein. “Mad God” ist ein Sturz ins Bodenlose, bei dem es an allen Ecken und En den etwas zu sehen und entdecken gibt. “The Lurking Fear” würde H. P. Lovecraft sagen, potenziert durch Dan Wools psychedelisch-halluzinatorischen Soundtrack, der den Film kongenial mit so betörenden wie verstörenden Klängen versieht.
Interessanterweise fällt im umfangreichen und sehr sehenswerten Bonusmaterial nicht einmal der Name David Lynch, obwohl gerade die Gestaltung der Babys und Embryonen Erinnerungen an “Eraserhead” wecken. Macht nichts, es gibt auch so viel zu erfahren in den beigefügten Video-Essays und zwei Audiokommentaren. Phil Tippett erzählt viel über sein Verhältnis zum Kino, von seiner Motivation und seinem Entwicklungsgang, vom Erfolg und dem Traum vom “Mad God” und der langwierigen Umsetzung dieser Herzensangelegenheit.
Seine Crew kommt ebenfalls (voll des glaubwürdigen Lobes) zu Wort. Die Audiokommentare entfallen auf Phil Tippett und seinen geistigen Bruder Guillermo del Toro sowie diverse Mitwirkende am Projekt. Tippett und Del Torro entfernen sich vom Film und erzählen viel übers Filmemachen, über die Geschichte des (phantastischen) Kinos. Die Produktionsbeteiligten bleiben dichter am Werk und haben Spaß an Erläuterungen wie dem Ausplaudern von Interna. Die Fülle und Qualität der Specials ist mustergültig.
“Mad God” ist eindrücklicher als viele CGI-Orgien, hier ist das Kino eines der fantasiereichen Schauwerte, der Freisetzung kreativer Energien, ein Grand Guignol-Exzess der besonderen Art, der sein Publikum fordert und einlädt das überbordende Geschehen mit eigenen Geschichten zu füllen. Grausamkeit, Ekel, Wahnwitz und Schönheit hausen dicht beieinander. Ein rauschhafter Trip ans Ende der Nacht und darüber hinaus.
Cover+ Bilder © Plaion Pictures, Explosive Media
- Titel: Mad God
- Originaltitel: Mad God
- Produktionsland und -jahr: USA, 2021
- Genre: Horror, Animation, Phantastik
- Erschienen: 28.05.24
- Label: Plaion Pictures
- Spielzeit:
81 Minuten auf 1 DVD
84 Minuten auf 2 Blu-Ray - Darsteller: Alex Cox
Niketa Roman
Satish Ratakonda
Harper Taylor
Brynn Taylor - Regie: Phil Tippett
- Drehbuch: Phil Tippett
- Kamera: Chris Morley
- Schnitt: Michael Cavanaugh
Ken Rogerson - Musik: Dan Wool
- Extras: Dokumentation, Featurettes, Audiokommentare
- Technische Details (DVD)
Video: 1,78:1 (16:9)
Sprachen/Ton: Deutsch,Englisch, Dolby-Digital 5.1
Untertitel: Deutsch - Technische Details (Blu-Ray)
Video: 1,78:1 / 1080p24 / AVC
Sprachen/Ton: Deutsch, Englisch, DTS-HD Master Audio 5.1 - Untertitel: Deutsch
- FSK: 16
- Sonstige Informationen:
Produktseite
Erwerbsmöglichkeit
Wertung: 12/15 dpt