Dorothee Riese – Wir sind hier für die Stille (Buch)


Wir sind hier für die Stille Roman
© Berlin Verlag

Anfang der 1990er zieht Judith mit ihren Eltern aus Deutschland in ein kleines, armes Dorf in Rumänien. Warum? Wissen wir zunächst nicht. Sie kommen an, richten sich ihr einfaches Haus ein, lernen die Nachbar*innen kennen, lernen die Sprache. Judith findet Freund*innen, geht zur Schule und versucht währenddessen das komplexe soziale Gefüge des Dorfes zu verstehen und sich in dieses einzufügen.

Die Mutter sagte, dass sie mit jedem Schritt durchs Gras am Morgen mehr ankomme.

Zugegeben, man benötigt etwas Ausdauer, um dieses Buch zu lesen. Wir werden zu keinem Zeitpunkt an die Hand genommen, sondern direkt in die Handlung hineingeworfen und können nur versuchen, Informationen zu sammeln, die sich dann hoffentlich zu einem Gesamtbild fügen.

Ein Grund für diese Unklarheit ist die Perspektive, aus der “Wir sind hier für die Stille” geschrieben ist. Denn wir sehen die Welt durch Judiths Augen und verstehen nur so viel, wie sie auch versteht. Gerade am Anfang erinnert der Schreibstil an die chaotische Erzählung eines Kindes, das ganz viel Neues entdeckt, nicht weiß, wie eigentlich der Wissensstand der Zuhörenden ist und sich außerdem leicht ablenken lässt. Das ist zunächst verwirrend bis anstrengend, mit der Zeit zeigt sich aber, wie meisterhaft diese Erzählstruktur von Dorothee Riese umgesetzt ist. Ganz allmählich entfalten sich für Judith, und damit uns, die komplizierte Geschichte des Dorfes und die damit verbundenen ethnischen Spannungen.

Judith ist der großen Veränderung in ihrem Leben extrem aufgeschlossen. Sie versucht einfach, die Lebensweise der Menschen im Dorf zu verstehen und diese zu übernehmen, denn sie möchte dazugehören. Ihre Eltern erklären ihr nicht viel, sie wollen einen Neuanfang und sich ganz auf ihr Projekt einlassen. Denn für sie ist der Umzug ein Projekt, von dem sie sich ein einfaches, erfülltes Leben erhoffen, in dem sie den Menschen im Dorf helfen können.

Judith fand, er könnte mehr vom Hühnerhof erzählen, den sie mit ihm anlegen wollte, und von dem Versteck auf dem Dachboden, in dem sie Bücher gefunden hatten. Aber das interessierte die Freunde in Deutschland nicht so sehr, sie mussten mehr von der Armut erfahren.

Dabei blicken Judiths Eltern immer etwas von außen und mit einem gewissen Abstand auf das Dorf und die Bewohner*innen. Judith fühlt sich dem Dorf zugehörig, wird aber auch immer wieder mit ihrer privilegierten Position konfrontiert, der sie sich oft nicht bewusst ist.

“Wir sind hier für die Stille” ist nicht zuletzt ein Buch über Menschen und die Fehler, die wir machen. Das könnte der etwas arrogante Glaube sein, eigenhändig ein Dorf “retten” zu können. Oder das naive Nicht-Infragestellen der Umstände. Vielleicht die Vorurteile von Menschen, die es nicht besser wissen. Oder einfach das Stehlen, um zu überleben. Diese Fehler werden jedoch nicht angeprangert, sondern wertfrei behandelt, sodass wir deutlich in allen Beispielen die Menschlichkeit erkennen.

Dorothee Riese hat ein vielschichtiges, manchmal nicht ganz einfaches, nachdenklich stimmendes Buch geschrieben. Die kunstvolle Erzählstruktur ist einfach beeindruckend und es lohnt sich, sich durch den verwirrenden und etwas frustrierenden Anfang zu kämpfen.

  • Autor: Dorothee Riese
  • Titel: Wir sind hier für die Stille
  • Verlag: Berlin Verlag
  • Erschienen: Februar 2024
  • Seiten: 240
  • ISBN: 978-3-8270-1493-1
  • Sonstige Informationen:
  • Produktseite
  • Erwerbsmöglichkeiten

Wertung: 11/15 dpt


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