Stefanie Gerhold – Das Lächeln der Königin (Buch)


Wie kam die berühmte Büste der Nofrete nach Berlin? Oder besser gefragt: Durch wen kam sie dahin? Stefanie Gerhold entwickelt aus der Geschichte hinter der Geschichte ihren historischen Roman „Das Lächeln der Königin“.

Im Mittelpunkt steht James Simon, dem die Autorin hier ein würdiges Denkmal setzt. Simon war ein reicher Textilfabrikant der wilhelminischen Ära. Er gründete Wohltätigkeitsvereine und spendete in zahlreiche soziale Projekte. Dabei galt er als auffallend bescheiden und zurückhaltend. Es heißt, er habe die von ihm beschenkten Armen nicht in die Verlegenheit bringen wollen, dankbar sein zu müssen. Berühmt hingegen wurde er für sein Mäzenatentum. Denn er erwarb unzählige kostbare Gemälde und Kunstwerke und schenkte diese selbstlos weiter an Museen, um sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Ihm verdanken die Berliner Museen bis heute große Teile ihrer Bestände. Darunter zählen auch wesentliche Exponate des Ägyptischen Museums, deren berühmtestes Aushängeschild die Nofretete ist.

Gerhold entwirft ein sorgfältiges Porträt des wohlhabenden Textilunternehmers. Sie zeigt ihn als verantwortungsvollen, fürsorglichen Menschen. Simon tut Gutes, weil ihm dies tatsächlich eine Herzensangelegenheit ist. Er fühlt sich seiner Familie und dem Vermächtnis seines Vaters gegenüber verpflichtet. Der Vater hat durch seinen geschäftlichen Erfolg der Familie einen angesehenen Platz in der Gesellschaft erkämpft. Doch dieser Platz ist nicht sicher, das Ringen der jüdischen Familie um Gleichberechtigung ist nicht beendet.

Simons sensibles und weichherziges Auftreten kontrastiert auffallend mit der ihn umgebenden kalten Geschäftswelt, die von politischem Kalkül beherrscht wird. Gerhold enthüllt die Schattenseiten dieser Ära, in der die Rufe nach Krieg und Nationalismus immer bedrohlicher wurden und  in der der anwachsende Antisemitismus auch vor James Simon, der jüdischen Glaubens ist, nicht halt machte.

Die Hauptfigur James Simon berührt. Die Autorin zeigt uns einen in die Bürgerlichkeit gezwungenen Mann, der aus Pflichtgefühl ein falsches Leben lebt. Der versucht das Richtige im Falschen zu finden. Der sich mit Geld Träume kauft und diese weiterschenkt, um sein Gewissen zu beruhigen. Simons große Leidenschaft ist die Wissenschaft. Viel lieber als das Familienunternehmen zu leiten, hätte er Archäologie studieren wollen.

Großzügig finanziert er daher die Ausgrabungen des Archäologen Ludwig Borchardt in Tell el-Amarna. Als dort ein großer Schatz gefunden wird, darunter auch die Nofrete-Büste, sollen die Fundstücke wie üblich unter den beteiligten Kolonialmächten aufgeteilt werden. Obwohl er sich nichts sehnlicher wünscht als dass „die Königin“ nach Berlin kommt, möchte er unbedingt, dass es bei der Zuteilung gerecht zugeht. Auf keinen Fall will er den Eindruck erwecken, jemanden zu übervorteilen. Es ist bezeichnend, dass bei der Definition von Gerechtigkeit das Eigentumsrecht Ägyptens oder der Anspruch des ägyptischen Volkes an seinem eigenen kulturellen Erbe völlig außer Acht gelassen wurde. Diese Darstellung durch Gerhold entspricht dem Geist der Zeit und ist daher völlig authentisch.

Trotzdem hätte ich mir an dieser Stelle ein Aufbrechen der einseitigen europäischen Perspektive gewünscht. Völlig darauf zu verzichten, eine pro-ägyptische Stimme zu Wort kommen zu lassen, und sei es eine fiktive, erscheint mir als verpasste Gelegenheit, denn dies hätte die Aktualität des Romans noch weiter erhöht. Vorwerfen möchte ich der Autorin diese „Unterlassung“ jedoch nicht. Es wäre ungerecht, von ihr die Einlösung eines Versprechens zu verlangen, das sie nie gegeben hat.

Der Roman ist hervorragend recherchiert. Gerhold verbindet den Informationsgehalt eines Sachbuchs mit der emphatischen Erzählung um eine interessante Persönlichkeit. Sie präsentiert die Fakten übersichtlich und spannend. Dort wo sie spekulieren musste, spekuliert sie behutsam und füllt die Lücken literarisch mit Leben. Am Porträt ihres Protagonisten spiegelt sie gut nachvollziehbar die Epoche zwischen den beiden Weltkriegen und die Situation der damaligen jüdischen Oberschicht.

  • Autorin: Stefanie Gerhold
  • Titel: Das Lächeln der Königin
  • Verlag: Galiani Berlin
  • Erschienen: Februar 2024
  • Einband: Gebundene Ausgabe
  • Seiten: 288 Seiten
  • ISBN: 978-3869712987

Wertung: 12/15 dpt


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