Im kleinen Bergdorf Orpierre-d’Asse ist der Boden so karg, dass die Einwohner*innen Schmalhänse genannt werden, da die Armut das letzte Gramm Fett von ihren Knochen genagt hat. Erst mit der Eindeichung der Asse wendet sich ihr Schicksal. Der Mathieu baut sein Haus im fruchtbaren Tal. Alle anderen folgen. Alle. Außer die Pélagie. Zusammen mit dem Mädchen Berthe harrt sie den Beschwernissen des alten Lebens aus.
“Das letzte Feuer” erschien erstmals im Jahr 1931. Glücklicherweise hat der Kanon Verlag diese Geschichte neu aufgelegt, denn so haben wir die Möglichkeit, eine Autorin kennenzulernen, die über eine besondere Begabung verfügte.
Der Roman umreißt die Geschichte einer Dorfgemeinschaft, die sich nach der Leichtigkeit eines Lebens sehnt, die sie am Berghang niemals erfahren hat. Der Weg nach Orpierre ist steil, sodass der Lieferant jedes Mal auf das Dorf flucht, wenn er den Karren nach oben bugsieren muss. Die Erde ist trocken. Die Ernte nur allzu oft mau. Der Hunger dagegen groß.
Mit der Umsiedlung ins Tal verändert sich das Leben der Dörfler von Grund auf. Nicht nur, dass die Armut der Vergangenheit angehört. Alles Leben geschieht nun leichter. Die Jugendlichen begehen pubertäre Dummheiten. Die Erwachsenen auch.
Die von Orpierre sind zufrieden. Sie springen nur so herum!“
Aber: Mit der Veränderung kommt die Gewissheit, dass kein Leben ausschließlich von Glück beschert ist. Schon bald wird den Einwohner*innen der Preis ihres neuen Lebens in Rechnung gestellt. Hier arbeitet Borrély mit einem feinen Kontrastprogramm. War es am Berghang zu trocken, so ist es im Tal nun zu feucht und kalt, sofern der Herbst Einzug erhält. Starben die Menschen früher am Hunger, so erkranken und sterben sie nun am Fieber. Arger wird die Lage, als eine Sturmflut über sie hereinbricht.
Genauso kontrastiert wird das Leben von Pélagie – als Zeichen der alten Armut -, die sich lediglich ein karges Mahl kocht. Die Dörfler hingegen genießen ihren Reichtum in Form von Schmorbraten, Schnecken, Landwein, Schnaps, Ragout, etc. als Zeichen des Wohlstands.
Eine Besonderheit Maria Borrélys ist ihr Talent für Minimalismus und Gefühl. Innerhalb kürzester Kapitel und knapper Sätze thematisiert sie Katastrophen und Vorgänge, ohne die Nähe ihrer Charaktere zu verlieren oder die Atmosphäre ihres Romans einzubüßen.
Vor allem ihre Verwendung sprachlicher Stilmittel ist verblüffend, so klingt Pélagies Rage über die abgewanderten Dorfbewohner wie das Gewitter, das im selben Moment herannaht:
Sämtliche Charaktere behandelt die Autorin wie Nachbarn. Und das gelingt ihr durch ein einfaches Mittel. Sie setzt vor jeden Namen einen Artikel. So wird aus Auguste “der Auguste”, jemand, den man doch kennt.
Fazit
“Das letzte Feuer” – damit sind nicht die Flammen der Johannifeuer gemeint. Vielmehr gilt dieser Titel all jenen, die das Gute im Bestehenden sehen und ein Leben mit Beschwerlichkeiten dafür in Kauf nehmen.
Wunderschöne Literatur! Und dabei aktuell wie eh und je.
- Autor: Maria Borrély
- Titel: Das letzte Feuer
- Verlag: Kanon Verlag Berlin GmbH
- Umfang: 134 Seiten
- Einband: Gebundene Ausgabe
- Erschienen: 17. April 2024
- ISBN: 978-3-98568-113-6
Wertung: 15/15 dpt