Auftakt der preisgekrönten Glatz-Reihe
Eine Woche ist es her, da wurde Major Friedrich Peschke in einer belebten Straße getötet. Militärermittler Wilhelm Klein aus Berlin, seines Zeichens Hauptmann, hält sich daher in der Stadt Glatz auf, wo sich die tragische Tat ereignete. Doch steht bereits ein zweiter aufsehenerregender Fall an, denn in den frühen Morgenstunden des 20. April des Jahres 1920 wird auf der Brücktorbrücke die brutal entstellte Leiche des Stadtrates Heinrich Dinter gefunden. Bürgermeister Franz Ludwig erhielt vorab ein Päckchen, welches drei Finger enthielt. Doch weder Peschke noch Dinter wurden Finger abgetrennt. Ein drittes Opfer also, das bereits am nächsten Tag gefunden wird.
Der Mord am Major mag Sache des Militärs sein, doch für die beiden Zivilisten ist Kommissar Heinrich Richter zuständig. Der leicht aufbrausende und rücksichtslose Ermittler träumt bereits davon, dass die Mordserie seine Kariere befördert. Schon lange hofft er auf eine Versetzung nach Breslau, noch lieber gleich nach Berlin. Da kommt der Hauptmann wahrlich zur Unzeit.
Klein beordert Polizeiassistent Jürgen Roth, der bislang eher gelangweilt als Fahrer und Schreibkraft fungierte, sowie den eher grobschlächtigen Wachtmeister Franz Koschella in sein Team. Beide fürchten Richters spätere Rache, erkennen jedoch schnell, dass sie mit Klein vermutlich auf den Sieger des „Wettbewerbs“ setzen. Derweil geht die Mordserie munter weiter und die Presse berichtet bald von Glatz und seinen „geometrischen“ Morden. Denn es müssen mindestens zwei Täter sein, deren Tatorte – auf den Stadtplan übertragen – Spuren in Form von Dreiecken und Hexagrammen hinterlassen. Soll dies ein Hinweis auf Juden oder Freimaurer sein? Sind hier die Mörder zu finden? Doch warum sollten die Mörder die Spur ausgerechnet zu sich selber legen?
Protagonist mit Geheimnissen
Glatz, tschechisch Kladsko, oder heute Klodzko, ist eine polnische Kleinstadt in Niederschlesien. Hier spielt die in Polen preisgekrönte Krimireihe, die mit Hauptmann Wilhelm Klein startet, der zunächst selbst das größte Rätsel darstellt. Warum hat ihn Berlin geschickt? Warum erkennt nur er die geometrischen Spuren (so es diese denn tatsächlich gibt), die vermeintlich den Weg zum nächsten Tatort markieren? Dass Bürgermeister Ludwig dem Militärermittler blind vertraut ist dagegen weniger verwunderlich, denn Klein ist sein Neffe und nicht zuletzt deswegen für den ehrgeizigen Kommissar Richter nahezu unangreifbar. Könnte man nicht aus seinen Militärakten irgendwelche Informationen gewinnen, die man gegen Klein einsetzen könnte? Nein, denn seine Militärakte unterliegt der Geheimhaltung.
Eine mysteriöse Sache, ebenso wie die Anwesenheit der jungen Agnes, die sich um Klein kümmern soll, da dieser immer wieder vom Geschehen im Ersten Weltkrieg eingeholt wird. Er lag in Frankreich im Schützengraben, erlebte grausame Dinge und überlebte schwer verletzt. Sein ganzer Körper ist von Brandwunden und Narben gekennzeichnet, er leidet unter unkontrollierbaren Panikattacken. Dies sind die Ingredienzien, die „Glatz“ so grandios machen. Ein geheimnisvoller Ermittler, eine weithin unbekannte Stadt (aus deutscher Krimilesersicht), Militärermittler contra Polizeikommissar, eine rätselhafte, schöne Frau, tägliche Morde, Spuren die zu Juden und Freimaurern führen sowie zahlreiche weitere Ungereimtheiten. Action und Ermittlung schenken sich nichts, daneben steht selbstredend Klein im Fokus der Handlung, während Glatz eine bildgewaltige Kulisse bietet. In seinem „Dank“ schreibt Tomasz Duszynski, dass er sich freuen würde, wenn man sich nach der Lektüre zu einem Besuch in Klodzko entscheiden würde. Glatz im Jahr 1920 wird jedenfalls gekonnt in Szene gesetzt, getoppt durch die Schilderung besagter Panikattacken von Klein.
Kleiner Wehrmutstropfen: Man hat keine Chance, den respektive die Täter vorab zu entlarven, sondern ist auf die Gedankengänge des Protagonisten angewiesen, die nicht immer nachvollziehbar sind; beispielsweise seine geometrischen Bezüge. Wenig verwunderlich und kein Kritikpunkt, ist der Vergleich mit dem Meisterdetektiv schlechthin, sprich Sherlock Holmes, ebenso gewollt wie offensichtlich. Ein mehr als gelungener Serienstart, dessen weitere Folgen hoffentlich nicht allzu lange auf sich warten lassen.
- Autor: Tomasz Duszynski
- Titel: Glatz
- Originaltitel: Glatz Aus dem Polnischen übersetzt von Markus Schnabel
- Verlag: Jaron
- Umfang: 334 Seiten
- Einband: Taschenbuch
- Erschienen: März 2024
- ISBN: 978-3-89773-891-1
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Wertung: 12/15 dpt