Stefan Cernohuby, Melanie Vogltanz – Im Auge der Leere (Buch)


Über die Moral der Mittel und die vielen Gesichter des Seins

Im Auge der Leere © Plan9

Das Weltall ist besiedelt, die Menschheit hat sich über die Sternensysteme verteilt und interagiert mit nicht menschlichen Spezies. Die Geheimorganisation Oculus setzt sich dafür ein, dass Welten und Kontakte ihrem moralischen Codex folgen. Mit nicht immer moralisch einwandfreien Mitteln. Das inoffizielle Oberhaupt von Oculus ist ein langlebiger Humanoid namens Aelianus. Er ruft das Führungsgremium zusammen und berichtet von einem ungeheuerlichen Verdacht: Das Volk der Technokraten hat angeblich eine Waffe gebaut, mit der sie unzählige Welten auf den einfachsten technologischen Stand zurückwerfen können. Sie selbst verfolgen die technologische Rückstufung ihrer Welt nach einer bestimmten Anzahl von Generationen als ideologisches Prinzip. Nun droht dieses Schicksal auch anderen Planeten.

Aelianus und seine Crew befreien den schlimmsten Verbrecher der Galaxie aus seiner Hochsicherheitszelle auf einem Gefängnisplaneten. Der Ausbruch gelingt, ebenso leicht lässt sich der Formwandler vom Volk der Vinsha zu einem Auftrag überreden. Denn er benötigt eine seltene Energie als Nahrung, die ihm Aelianus geben oder vorenthalten kann. Die größere Herausforderung ist: Wie kann sich ein Soziopath wie Void in eine bestehende Crew integrieren?

Wer steckt hinter der Fassade?

„Im Auge der Leere“ erzählt zum einen eine spannende Jagd durch das All, in der eine Crew aus unterschiedlichen Typen versucht, das Schicksal von Kollegin Stealth aufzuklären. Und jene fürchterliche Waffe zu zerstören, der sie auf der Spur war. Des Weiteren geht es in dem Roman um die Interaktionen und Konflikte dieser Crew, insbesondere ihr Verhältnis zu Void, dem Alien.

»Wollen wir eigentlich daran festhalten, Void als männliches Individuum zu behandeln? Ich weiß so gut wie gar nichts über seine Spezies, habe aber den Eindruck, dass wir seine Identität damit verkennen.«

Melanie Vogltanz und Stefan Cernohuby stellten ein Ensemble zusammen, dass wir in ähnlicher Art und Weise aus vielen Gangster-Geschichten und Thrillern kennen. Vielleicht haben sie sich dabei etwas zu sehr an bekannten Stereotypen orientiert: Aelianus – der geheimnisvolle Boss, der befiehlt und sich nie in die Karten gucken lässt. Jake Roberts –  Spieler, Gentlemen-Gauner, kriminelles Mastermind und Anführer der operativen Einheit. Muharib – Ex-Gladiator und als Nahkämpfer der typische Mann fürs Grobe. Snayper – überlebte als Körperbehinderte die Apokalypse durch geübten und ausgiebigen Gebrauch von Schusswaffen. Sie tötet präzise als Hochleistungsscharfschützin, verletzt sich selbst mit exzessivem Alkoholgenuss und andere mit ätzendem Zynismus.

Das neue Crewmitglied Void ist ein Formwandler und verurteilter Massenmörder. Mit seinen Mitteln versucht er sich der Crew anzunähern und scheitert zunächst auf ganzer Linie. Odo aus „Star Trek Deep Space Nine“ lässt grüßen. Doch der Formwandler im Dienst der Sternenflotte galt als einer der Guten und hatte zumindest eine Vertraute im Führungsstab. Void erfährt vom Oculus-Team anfangs nichts als Misstrauen, Ablehnung und Furcht.

Zu den positiven Aspekten der Figurenzeichnungen gehören Rückblenden in die Leben der humanoiden Figuren. Sie sorgen für ein wenig Tiefe. Zumindest Muharib verlässt das Stereotypenkorsett und bricht mit den ihm angehefteten Klischees, denn er entpuppt sich im Lauf der Handlung als fürsorglich und liebevoll. Als homosexueller Mann hat er mit Konflikten der Vergangenheit und Gegenwart zu kämpfen. Auch Snayper sind ein paar menschliche Momente vergönnt. Die wesentlichste Persönlichkeitsentwicklung durchläuft jedoch Void auf die, aufgrund von Spoilergefahr, nicht näher eingegangen wird.  

Spannende Space Fiction mit kulturellen Konflikten

»Das sind keine Technologien und Konzepte, die den Anschein des Organischen erwecken. Da wo ich herkomme, sind Technologie und organische Konzepte kein Widerspruch, sondern ein- und dasselbe.« […]
»Sag mir eines. Sollte sich herausstellen, dass die Waffe aus der gleichen Raumregion stammt, wie Du, haben wir dann ein Problem?«
»Nein« entgegnete Void erneut »Probleme haben Lösungen. Wenn sich das bestätigen sollte, dann seid ihr so gut wie verloren.«.

Melanie Vogltanz und Stefan Cernohuby dachten sich für „Im Auge der Leere“ eine mitreißende Space-Quest mit geheimnisvollen Rätseln und einer turbulenten Jagd durch die Galaxie aus. Zwischen die Kapitel mit aktionsreicher Handlung sind Szenen aus dem Alltag der Oculus Crew eingestreut. Je tiefer man in den Roman eintaucht, desto mehr drängen sich diese Geschichten in den Vordergrund. In dieser Hinsicht erinnert „Im Auge der Leere“ ein wenig an „Die lange Reise zu einem kleinen zornigen Planeten“ von Becky Chambers. Atmosphärisch kommt dieser Roman jedoch deutlich düsterer daher.  

Jede der Handlungsebenen überrascht mit Unerwartetem, was jedoch fehlt, ist eine ausgewogene Zusammenführung. Bisweilen erfahren wir ein faszinierendes Detail, wie das aus dem Zitat, welches aber anschließend nicht vertieft wird und wieder in der Versenkung verschwindet. Manche Auflösung eines Rätsels lässt Entwicklungschancen ungenutzt liegen und kommt dadurch arg gewollt daher. Insgesamt lernen wir nur wenig über Weltenbau der Planeten und Kultur der Völker. Insbesondere über die Technokraten und Vinsha wäre interessant gewesen, mehr zu erfahren.

Kleiner, aber feiner Love Interest

Über die einfühlsame Beziehungsgeschichte, mit der die Autor:innen die sonst eher düstere Handlung einrahmen, sollte inhaltlich nichts verraten werden, sie sollte allerdings nicht unerwähnt bleiben. Denn dieser Teil der Geschichte berührt nicht nur und sorgt für positive Vibes, sondern auch für dramatische Überraschungen.

Fazit:

„Im Auge der Leere“ wird aus wechselnden Perspektiven der Crew-Mitglieder erzählt, überwiegend personal und vereinzelt aus Voids distanzierter Beobachterperspektive. Die Übergänge zwischen den Perspektivwechseln sind nicht immer klar abgegrenzt, was in einigen Szenen inhaltlich zu erklären ist und sicherlich gewollt war. Geheimnisvoll, aber auch abwechslungsreich wirkt dieser Erzählstil, der zum Mit- und Nachdenken einlädt und manchen Aha-Effekt offenbart. Ich weiß nicht, ob Melanie Vogltanz und Stefan Cernohuby schon einmal zuvor zusammengearbeitet haben, oder in diesem Buch zu ersten Mal. Vereinzelt sind stilistische Unterschiede zu bemerken, der überwiegende Teil des Romans kommt jedoch homogen und wie aus einem Guss herüber. Insgesamt ist „Im Auge der Leere“ ein ideenreicher Science-Fiction Roman mit einem spektakulären Ende und in jedem Fall lesenswert.

  • Autor: innen: Melanie Vogltanz und Stefan Cernohuby
  • Titel: Im Auge der Leere
  • Verlag: Plan9
  • Erschienen: 07/2023
  • Einband: Taschenbuch
  • Seiten: 344
  • ISBN: 978-3-948700-70-6
  • Produktseite

Wertung: 11/15 dpt


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