Leonie Schöler – Beklaute Frauen


Die Historikerin und Journalistin Leonie Schöler präsentiert mit “Beklaute Frauen” ein Debut, dass durch fundierte und detaillierte Recherche besticht. Respektvoll setzt sie den Frauen, die u.a. als Forscherinnen, Künstlerinnen und Autorinnen tätig waren, ein Denkmal. Vergessene Frauen holt sie aus dem Schatten der Männer, die sie ihrer Ideen beklauten oder dafür sorgten, dass ihre Namen nirgendwo erschienen, nachdem sie jahrelang zusammen geforscht und gearbeitet hatten. Schöler verleiht diesen Frauen mit ihren Worten wenigstens ein wenig von dem Glanz, der ihnen gebührt und holt sie zurück ins Licht, denn es wird Zeit sich ein Bild von jenen Frauen zu machen, die maßgeblich an der künstlerischen und wissenschaftlichen Entwicklung unserer Gesellschaft, wie wir sie heute kennen, beteiligt waren und sind.

Weiß, Männlich, Nobelpreis

Es ist ein geschichtsträchtiger Moment. So wie jedes Jahr werden auch im Jahr 1962 die Nobelpreise in den fünf Kategorien Chemie, Physik, Medizin, Literatur und Frieden verliehen. In Chemie geht er James Watson und Francis Crick für ihre Untersuchungen an der Doppelhelix-Struktur der DNA. Dass diese auf den Analysen ihrer Kollegin Rosalind Franklin beruhen, verschweigen sie geflissentlich. Vielmehr noch hält es James Watson für notwendig, sich in seinem Buch „Die Doppelhelix“ darüber lustig zu machen, wie wenig „Rosy“ dafür tat, um „ihre weiblichen Eigenschaften“ zu unterstreichen.

Es ist nur ein Beispiel von vielen, welches Schöler in ihrem Sachbuch anführt, um zu belegen, wie Frauen über Jahrhunderte systematisch vom vorherrschenden Patriachart dazu gezwungen wurden sich in ihrer vermeintlichen Rolle als Ehe- und Hausfrau zu fügen. So hielt es auch ein weiterer Nobelpreisträger mit dem Namen Albert Einstein nicht für notwendig seine Kollegin und spätere (Ex-) Frau Mileva Marić, die ihm half seine Theorien mathematisch umzusetzen, beim Empfang des Nobelpreises, mit auch nur einem Wort zu erwähnen. Er zog es vor, sie nach der gescheiterten Ehe zu denunzieren, als sie versuchte ihre Memoiren zu veröffentlichen:

(…) Überlegst du dir denn gar nicht, dass keine Katze sich um ein solches Geschreibsel kümmern würde, wenn der Mann mit dem du es zu thun (sic!) hast, nicht zufällig etwas Besonderes geleistet hätte? Wenn man eine Null ist, so ist nichts dagegen einzuwenden, aber man soll schön bescheiden sein und das Maul halten.

Dass dieses Zitat von dem Mann kommt, der uns heute vom Poster bis hin zum Mousepad frech und keck seine Zunge entgegenstreckt, ist im ersten Moment schwer zu glauben. Doch durch Schölers umfangreiche Recherche lässt sich auch diese Aussage gut nachvollziehen. Die Historikerin kommt hier klar zum Vorschein, denn ihrem über 400 Seiten starkem Werk widmet sie nicht zuletzt über 80 Seiten den zahlreichen Anmerkungen, sowie dem Literatur- und Quellenverzeichnis.

Bereits beim Einstieg in Schölers Werk wird klar, wie wichtig ihr eine fundierte Darlegung, der besprochenen Themen, ihres Werkes ist, um ihre Intension, die Sichtbarmachung der Frauen, zu unterstreichen und aufzuzeigen, dass auch unsere Geschichtsschreibung auf einem patriarchalem System fußt, welches bis heute stark in unserer Gesellschaft verankert ist.

(…) Diese Rolle haben sich jedoch die wenigsten Frauen ausgesucht, und viele von ihnen sind daran zerbrochen, sich von ihrem Schattendasein nicht befreien zu können. Ich hoffe deshalb sehr, dass ich ihnen mit diesem Buch zumindest einen Teil ihrer Stimme zurückgeben kann und dazu beitrage, dass sie rückwirkend die Aufmerksamkeit erhalten, die sie zu Lebzeiten verdient hätten.

Ein Harem an Inspiration

Auch in der Literatur wurde die Arbeit von Frauen untergraben und totgeschwiegen. Dass Bertold Brecht nicht allein tätig war ist bekannt. Dass er bei seinen Arbeiten an der Dreigroschenoper, sowie deren Übersetzung maßgeblich Unterstützung durch seine Assistentin Elisabeth Hauptmann erfuhr, ist vielen wenig bis gar nicht bewusst. Auch Ruth Berlau oder Margarete Steffin haben für ihn gearbeitet und ihn in seinem Schreiben unterstützt. Brecht, der mit Helene Weigel, verheiratet war unterhielt zu jeder der Frauen zudem auch amouröse Beziehungen, mit welcher er diese auch emotional an sich band. Keine von ihnen wird in den Werken Brechts klar benannt. Ihnen bleibt, wenn überhaupt, die Benennung als Fußnote.

Die Lebensrealität von Frauen kritisch belegt und beleuchtet

In sechs Kapiteln geht Schöler nuanciert darauf ein, wie Frauen ihrer Rechte beraubt wurden und immer noch werden. Sie hinterfragt dabei auch das Verständnis der Frauen selbst, was Freiheit für wen bedeutet. So lässt sie nicht außer Acht, dass sich die Suffragetten-Bewegung zwar stark für das (Wahl-) Recht der Frauen einsetzte, dies aber nicht in der gleichen Form für die Frauen tat, die den POC angehörten. Schölers Analysen beruht auf einer breiten Palette von Quellen, von historischen Dokumenten bis hin zu ausgewählter Sekundärliteratur, was dem Buch eine solide Grundlage verleiht und es von oberflächlichen Betrachtungen abhebt.

Die Historikerin und Journalistin gewährt mit „Beklaute Frauen“ kritische Einblicke in die Positionen von historischen Persönlichkeiten wie Picasso und Bertold Brecht aber lässt auch Persönlichkeiten der sogenannten zweiten Welle des Feminismus, wie Alice Schwarzer nicht außer Acht und beleuchtet deren Standpunkte vor dem jeweiligen geschichtlichen Hintergrund.

Der Feminismus in Wellen

Während Schwarzer sicher eine führende Figur im Kampf für Frauenrechte innerhalb ihrer Generation war, hinterfragt Schöler ihre Ansichten und Methoden aus heutiger Sicht. Insbesondere beleuchtet sie Schwarzers Umgang mit aktuellen Themen wie Sexualität und Diversität und stellt die Frage nach der Inklusivität und Repräsentativität ihrer feministischen Bewegung, derer sie sich vor allem im letzte Kapitel ihres Buches zuwendet.

Indem Schöler mit “Beklaute Frauen” bekannte Narrative hinterfragt und neue Perspektiven aufzeigt, lädt sie ihre Leser*innen dazu ein, sich mit der Komplexität der Lebensrealität der Frau aber auch der von Personen jedweden Geschlechts, sowie deren Orientierung und jedweder Hautfarbe auseinanderzusetzen. Die Autorin regt zum Nachdenken und Hinterfragen an, inwiefern das eigene Erleben von der patriarchalen Geschichtsschreibung geprägt ist. Eine Frage könnte zum Beispiel sein: Wieso erfahre ich zum ersten Mal, in Zeiten von immenser Informationsflut, die uns das Internet beschert, von einer Rosalind Franklin, die maßgeblich an der Erforschung der Doppelhelix beteiligt war?

  • Autorin: Leonie Schöler
  • Titel: Beklaute Frauen
  • Verlag: Penguin Verlag
  • Erschienen: 2024
  • Einband: Hardcover
  • Seiten: 416
  • ISBN: 978-3-328-60323-8
  • Sonstige Informationen:
  • Produktseite 
  • Erwerbsmöglichkeiten


Wertung: 15/15 dpt


2 Kommentare
  1. Sorry, aber sehr viel über zu unrecht vergessene Frauen habe ich durch die “Emma” von Alice Schwarzer’ erfahren. Sie hatte sich mit der Biografie vieler dieser Frauen beschäftigt und public gemacht. Allerdings hatte ich auch schon durch meine Schulbildung von solchen Frauen gehört, hier ausser in Wissenschaft und Forschung über Widerständlerinnen, jugoslawischen Partisaninnen, sowjetische Frauenkommandos, es gab auch Bücher dazu. Ich könnte noch mehr dazu sagen. Aber ich lass das lieber. Mit freundlichen Grüßen Marga

    1. Vielen Dank für Ihren Kommentar. Frau Schöler ist nicht die Erste bzw. Einzige, die sich mit der Thematik beschäftigt. Die Frage am Ende ist eine rhetorische und damit nicht allgemeingültig. Leonie Schöler liefert mit ihrem Buch, m.E. ein Werk, das über das Schaffen der genannten Frauen auf fundierte und unterhaltsame Weise informiert. Dass diese Frauen auch in anderen Veröffentlichungen, wie der “Emma” Erwähnung fanden ist natürlich toll und ein wertvoller Hinweis. Auch dass Sie über diese schon in Ihrer Schulzeit gehört haben ist inspirierend zu lesen. Meine Erfahrung in der Schulzeit ist da eine andere. Ich danke Ihnen sehr für die Anregungen. Nun bin ich neugierig und freue mich, falls Sie noch eine Buch-Empfehlung haben sollten, die Sie am meisten zu der Thematik bewegt hat. Mit vielen herzlichen Grüßen Mariann Gáborfi

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