Dieses Buch lässt sich nicht gut in eine Schublade stecken: Mutet es dem Klappentext nach erstmal wie dystopische Urban Fantasy an, spart es aber trotzdem nicht an gemütlicher Wohlfühl-Atmosphäre.
Verstärkt wurde diese Atmosphäre z. B. dadurch, dass die ersten Szenen in einem Cottage in Dorset, an der englischen Südwestküste spielen, die für mich der Inbegriff von heimeliger und u. U. schauriger Stimmung ist. Die Handlung wechselt jedoch sehr schnell nach London, wo wir auf die eigentlichen Protagonist*innen Nyx und James treffen. Die beiden sind als sogenannte Nachtboten zur Welt gekommen und stehen in direktem Gegensatz zu den Tagboten, die sich z. B. im Orden des ersten Tages organisieren. Durch eine Verkettung von Umständen stoßen noch Sami, Erin und Birdie zu ihnen. Birdie bringt durch ihre ganz eigene Magie, die sich daraus ergibt, dass sie in Wolkenkonstellationen und Vögelflügen Omen erkennen kann und sich ansonsten eher heilpraktischen Methoden bedient, eine weitere Komponente in die Geschichte ein. Konträr dazu stehen die Tätigkeiten des Ordens des ersten Tages, die sich fast schon wie low Science-Fiction lesen.
Die Handlung des Buches hangelt sich an den unterschiedlichen Fähigkeiten der einzelnen Protagonist*innen entlang, denen sie teilweise selbst erst auf die Spur kommen, und die sie einsetzen müssen, um die drohende Katastrophe, die sich bereits andeutet, abzuwenden.
“Unter dem Deckmantel der Nacht bricht eine schleichende Welle der Zerstörung über London herein. Vögel fallen vom Himmel, Straßen zerbröckeln in bodenlose Abgründe und Menschen lösen sich in Sternenstaub auf.”
Um nicht zu spoilern, wird an dieser Stelle nicht mehr über die Handlung verraten.
Immer wiederkehrendes Motiv in der Geschichte ist das “Found Family”-Trope. Unterscheidungen zwischen Freund und Feind fallen zumindest den Leser*innen nicht schwer und sind recht offensichtlich, auch wenn es dein ein oder anderen Charakter gibt, der deutlich zwischen den Stühlen sitzt und seine Position wählen muss – oder für den es zu spät dafür ist und der die Quittung für seine Handlung erhält. Queerness, Diversität und grundsätzlich Zugehörigkeit werden casual und teilweise auch humorvoll ins Buch eingebunden. Aber auch die Trauer um geliebte Menschen und was Schuldzuweisungen ausmachen können, spielte eine große Rolle.
“Menschen aufgrund eines Identitätsmerkmals über einen Kamm zu scheren ist nicht gerade fortschrittlich, Professor.”
Das sehr ausdifferenzierte und teils gegensätzlich wirkende Magiesystem wurde oben bereits erwähnt. Im Buch kommt die Autorin ohne allzu großen Info-Dump diesbezüglich aus und die Vermischung bekannter Elemente fand ich persönlich auch nicht störend.
Obwohl ich also nicht wirklich was am Buch zu meckern habe, fehlte mir das gewisse Etwas.
“Night Owls” ist ein Einzelband und ich wünschte, es gäbe mehrere Bände. Dementsprechend hätte man sich dann mehr Zeit nehmen können, die Atmosphäre in Dorset und im Cottage noch besser wirken lassen zu können, “Found Family” nicht nur auf die Schlussszene und Rückblenden zu beziehen, Birdie als Charakter mehr Raum zu geben und mich noch mehr mit Nyx mitfühlen zu lassen, als ich es sowieso schon habe. Vielleicht hätte ich dann auch die permanenten Anspielungen auf Vögel (“Night Owls” als Titel, Birdie als Name einer Protagonistin, Jay Bird und Eulchen als Spitznamen für James und Nyx) verstanden – außer dass diese nämlich der Katastrophe zuerst zum Opfer fallen, konnte ich da leider nicht wirklich einen Bezug herstellen. Und vielleicht würde man dann auch dem werbeträchtigen Vergleich mit Leigh Bardugo gerecht – die hat ihr bekanntes Grishaverse nämlich direkt in eine Trilogie und zwei Dilogien “verpackt”.
Insgesamt also ein Buch, das ich sehr genossen habe, das aber meiner Meinung nach, mehr Potential hätte entfalten können.
- Autor: Kathrin Tordasi
- Titel: Night Owls. Boten der Dämmerung
- Verlag: Fischer Tor
- Erschienen: 2024
- Einband: Taschenbuch
- Seiten: 464
- ISBN: 978-3-59670753-9
- Sonstige Informationen:
- Erwerbsmöglichkeiten
Wertung: 10/15 dpt
