Toxische Männerwelt trifft weiblichen Sheriff
Es war die Nachricht in Bad Axe County. Der langjährige Sheriff Raymond Gibbs ist verstorben und sein Vertreter Elvin „Boog“ Lund wird nicht sein Nachfolger. Jedenfalls vorerst nicht, denn der Stadtrat bestimmte Heidi Kick im April zum ersten weiblichen Sheriff von Wisconsin überhaupt. Allerdings nur als Interim-Sheriff, denn die eigentliche Wahl soll im Juli stattfinden. Wirtschaftlich sieht es düster aus, man lebt überwiegend von der Landwirtschaft, Abwechslung oder Unterhaltung gibt es kaum, vom örtlichen Baseballverein abgesehen. Es sei denn, man ist ein Mann aus den vermeintlich besseren Kreisen, dann kann man schon mal an Männerpartys teilnehmen, bei denen sich minderjährige Mädchen als Stripperinnen versuchen.
Vor einer solchen Party mit unklarem Ausgang will Heidi Kick eine Jugendliche bewahren, doch eine Bombendrohung gegen das örtliche Krankenhaus fordert die Einsatzkräfte. Ein gelungener Versuch des Veranstalters, um wertvolle Zeit zu gewinnen. Wenig später ist das Mädchen spurlos verschwunden, ein Ex-Knacki auf der Flucht, der Manager des Baseballteams schwer verletzt und Kick landet bei dem Versuch den Täter zu stellen im reißenden Fluss.
Offenbar werden hier alte Rechnungen beglichen, denn nach einem denkwürdigen Baseballspiel vor vier Jahren, gab es eine große Schlägerei in dessen Folge ein junges Mädchen vermutlich ermordet wurde. Ihre Leiche wurde indes nie gefunden. Dies soll sich nun ändern, die Täter sollen zur Rechenschaft gezogen werden, während sich die Polizei in zwei Lager spaltet. Jene, die dem alten, korrupten System von Gibbs nachhängen und daher Boog Lund als ihren Chef ansehen und jenen, die versuchen, in dem moralischen Sumpf von Bad Axe County, wenigstens etwas zu retten; beispielsweise das vermisste Mädchen. Kick gerät zwischen die Fronten in einer toxischen Männerwelt, die zu allem bereit ist. Gewalt gegenüber Frauen in jeder Form gehört zum Alltag, wurde bislang von der Polizei – sagen wir wohlwollend – ignoriert und nicht selten von anderen durch Wegsehen ermöglicht.
Kick riskiert viel, sehr zum Ärger ihres Ehemanns, einem lokalen Baseballstar, der selber unter Verdacht gerät. Was wusste er von den Männerpartys, nahm er womöglich daran teil? Zu allem Überfluss naht ein schweres Unwetter, schnell stehen Straßen unter Wasser, treten Flüsse über ihre Ufer. Und dann wäre da noch ein Vorfall, der sich zwölf Jahre zuvor ereignete und Kick bis heute umtreibt. Damals soll ihr Vater seine Frau und anschließend sich selber erschossen haben. Die Polizei stellte die Ermittlungen ein und präsentierte der damals erst siebzehnjährigen Heidi die Tatwaffe. Eine Pistole, die nicht die ihres Vaters war.
Den Bann durchbrechen
In dem fiktiven Bad Axe County möchte man nicht leben. Trostlos geht es zu, einige teilen die Macht in der Stadt unter sich auf, während der Rest vor sich hindämmert. Willkommen einmal mehr beim White Trash, dem Bodensatz der amerikanischen Gesellschaft. Zumindest auf zahlreiche der mitwirkenden Figuren trifft dies zu. Oder wie Heidi Kick sagt: „Zombie-Abschaum.“ Dementsprechend sind Verhalten und Ausdrucksweisen, deren Opfer vor allem die Frauen sind. Ausgehend vom örtlichen Baseballclub, wo sich minderjährige Mädchen einem entwürdigenden Ritual unterziehen müssen, um dazuzugehören. Doch darum geht es ja. Man will dabei sein und macht daher mit oder schaut zu oder bewusst weg. In allen Fällen ermöglicht man den daraus erfolgenden Missbrauch, die Erniedrigung und Ablehnung von Frauen, die vor allem als Fleisch angesehen werden. Niemand stört sich an dieser Denkweise, ein immerwährender Kreislauf folgt seinem Gang. Es lebe die toxische Gruppendynamik. Das zentrale Thema der Me Too-Bewegung wird facettenreich aufgenommen.
„Bad Axe County“ ist ein interessant geplotteter Roman, der sich zunächst etwas sperrig entwickelt, da man nicht alle handelnden Figuren sofort einzuordnen vermag. Erst nach und nach wird der Blick für Sheriff Kick und die Leser klarer, während gleichzeitig die Gewaltspirale an Fahrt aufnimmt. Immer tiefer werden die Einblicke in den eingangs beschriebenen Sumpf. Wo Langeweile, Korruption, Alkohol und Drogen herrschen, löst man die Probleme selbst. Auf dem Land ohnehin, wozu gibt es schließlich Waffen? Oder Baseballschläger.
Der Roman ist ebenso actionreich wie anspruchsvoll, spielt aber – wie erwähnt – am unteren Rand der Gesellschaft, womit klar ist, welches Bildungs- und vor allem Sprachniveau zu erwarten ist. Rohe Gewalt und eine ebensolche Sprache, nicht nur, aber vor allem gegenüber Frauen, sind von den Betroffenen ebenso wie vom Leser auszuhalten. Aber vielleicht gelingt es Heidi Kick ja, den Kreislauf zu durchbrechen. Wie heißt es doch so schön: Die Hoffnung stirbt zuletzt.
- Autor: John Galligan
- Titel: Bad Axe County
- Originaltitel: Bad Axe County. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Kathrin Bielfeldt. Mit einem Nachwort von Sonja Hartl.
- Verlag: Polar
- Umfang: 432 Seiten
- Einband: Taschenbuch
- Erschienen: März 2024
- ISBN: 978-3-948392-94-9
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Wertung: 12/15 dpt