Adam LeBor – Zwischen den Korridoren (Buch)     


Ein Mord im Luxusbordell und ein Land vor dem Kollaps

Kommissar Baltazár Kovács wird am frühen Morgen des 10. September 2015 um Hilfe gebeten. Ein Notfall besonderer Art, denn im Luxusbordell seines Bruders Gáspár liegt ein toter Ausländer. Ein Herzinfarkt oder Schlaganfall in Folge des vorausgegangenen Treibens? Die junge Prostituierte Kinga verwickelt sich zunächst in Widersprüche. Dann stellt sich heraus, dass der Tote ein Staatsbürger Katars ist. Abdullah al-Nuri sollte mit der neuen Ministerpräsidentin Réka Bárdossy über ein großes Investitionspaket mit den Golfstaaten verhandeln. Nuris Tod hilft vor allem Pál Pálkovics, der erst drei Tage zuvor als Ministerpräsident zurücktreten musste. Eine meisterhafte Intrige seiner Nachfolgerin zwang ihn zu diesem Schritt. Es geht um gefälschte Pässe für Islamisten, die als Ungarn getarnt über Österreich in den Westen einreisen wollen. Doch Bárdossy war als vorherige Justizministerin selbst in die äußerst gewinnträchtigen Geschäfte verwickelt.

Es wird richtig, richtig schmutzig, Baltazár. Und es ist noch nicht ausgemacht, wer gewinnt.

Es droht eine politische Schlammschlacht, die in einen Putschversuch ausartet. Ohne Rücksicht auf Verluste und mittendrin Baltazár, Gáspár und Enikö Szalay, die noch bis vor wenigen Tagen Baltazárs Freundin war. Jetzt wechselt die Starjournalistin die Seiten und arbeitet als Sprecherin für Bárdossy. Doch wie lange wird sich die Ministerpräsidentin überhaupt im Amt halten können?

Flüchtlingskrise 2015 und ein Roma-Kommissar als Protagonist

„Zwischen den Korridoren“ ist der zweite Band der Danube-Reihe von Adam LeBor, der noch ein dritter Teil folgen wird. Der vorliegende Roman spielt nur wenige Tage nach „District VIII“, so dass es sich aufdrängt, den Auftakt vorab zu lesen. Allerdings kann man „Zwischen den Korridoren“ auch ohne dessen Vorkenntnis lesen, der Einstieg ist dann aber naturgemäß etwas schwerer. LeBor wechselt vom Kriminalroman („District VIII“) zum Polit-Thriller und bietet dabei reichlich Action. Querverweise auf Tom Cruise oder James Bond im Nachwort von Günther Grosser drängen sich auf, nicht nur im Hinblick auf das Finale. Nicht alles kann und muss hier penibel hinterfragt werden, in turbulenten Zeiten geht es halt drunter und drüber. LeBor erzählt seine Geschichte in „Echtzeit“, so dass man gleich mittendrin ist. Das Tempo ist hoch, wenngleich sich der Autor viel Zeit für Details nimmt.

Es war eine andere Welt, damals in den frühen Neunzigern. Wir waren alle so voller Hoffnungen, waren alle high von der Freiheit.

Die – nun ja – Ermittlungen des eingangs erwähnten Todesfalles geraten schnell in den Hintergrund, da sich die aktuellen Ereignisse überschlagen. Die politischen Intrigen und Machenschaften sind – ähnlich einem Agentenroman – nicht immer klar durchschaubar. Ungarn war Jahrzehntelang ein kommunistischer Staat. Längst ist man vermeintlich in einer Demokratie angekommen, doch diese hat ihre Schattenseiten. Dynastien denken nicht daran, ihre Machtbefugnisse abzugeben, ebenso wenig wie die alten kommunistischen Parteikader, die es vereinzelt immer noch gibt. Zudem tobt ein unerbittlicher Krieg zwischen Bárdossy und Pálkovics, die seit ihrer Jugend befreundet sind und lange ein Paar waren.

Es sind inzwischen fünfundzwanzig Jahre seit dem Systemwechsel!“
„Wer hat die letzte Wahl gewonnen und die davor?“
„Die Sozialdemokraten.“
„Nachfolger von?“
„Den Kommunisten.

Vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise des Jahres 2015 erzählt LeBor eine vielschichtige Story. Zehntausende Menschen strömen über die serbische Grenze zum Bahnhof Keleti, von wo aus es nach Österreich weitergehen soll. Auch für islamistische Terroristen, mit denen sich dank gefälschter Pässe sehr viel Geld verdienen lässt. Gleichzeitig lässt sich eine Stimmung gegen die Flüchtlinge leicht politisch ausnutzen.

Neben den politischen Zerwürfnissen prägen noch zwei weitere Faktoren maßgeblich den Plot. Die Besonderheit des Protagonisten, denn Baltazár Kovács ist ein Roma, dessen Vater und Großvater schon – wie jetzt Gáspár – als Zuhälter arbeiteten. Seit sich Baltazár entschied Polizist zu werden, brach sein Vater jeglichen Kontakt ab. Einblicke in das Leben und die Kultur der Roma sind interessant, was ebenso für die detailverliebte Darstellung der Stadt als bildgewaltige Hintergrundkulisse gilt. LeBor lebte dort lange als Auslandskorrespondent, kennt Budapest ausgezeichnet. Das urbane Pest trifft auf das grüne Buda, dazwischen die Donau (Danube). Bezirke, Straßen, Plätze bis hin zu einzelnen Häusern werden ausführlich vorgestellt. Man ist auch in dieser Hinsicht „mittendrin“, steht quasi selbst auf dem Kossuth Lajos tér, jenem bekannten und nach dem ungarischen Nationalhelden Lajos Kossuth benannten Platz.

Wer sich für Politthriller interessiert, einen ungewöhnlichen Protagonisten begleiten möchte und sich womöglich in die jüngere Geschichte Ungarns und speziell die von Budapest einlesen möchte, findet hier einen actionreichen Kriminalroman. Wie erwähnt, die vorhergehende Lektüre von „District VIII“ ist zu empfehlen.

  • Autor: Adam LeBor
  • Titel: Zwischen den Korridoren
  • Originaltitel: Kossuth Square Aus dem Englischen übersetzt von Jürgen Bürger
  • Verlag: Polar
  • Umfang: 464 Seiten
  • Einband: Hardcover
  • Erschienen: April 2024
  • ISBN: 978-3-948392-90-1
  • Produktseite

Wertung: 13/15 dpt


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