Spurensuche in Russland
Vor rund zwei Monaten wurde Michael Sanders von Pawel Danilow nach Russland entführt, wo er seit einiger Zeit unter dem Namen Dr. Wilson in Pawels Firma KryoZhit in Selenograd, dem russischen Silicon Valley, arbeitet. Pawel hat sich ganz der Kryonik respektive dem Transhumanismus verschrieben, weswegen die in Dewar genannten Behältern aufbewahrten Leichen für ihn keine toten Menschen sind. Sie machen nur „Pause“ bis es eines Tages möglich sein wird, ihr Gehirn auf ein externes Medium zu übertragen. Menschliches Bewusstsein wird quasi digitalisiert, wodurch der Mensch künstlich weiterlebt.
Michael arbeitet mit Dr. Radu zusammen, der eines Tages mit durchgeschnittener Kehle aufgefunden wird. Zuvor hatte man ihm mehrere Finger gebrochen, was für Pawel bedeutet, dass jemand Informationen haben wollte: über Michael. Dieser ahnt nicht, dass er der Sohn von Andrej, Pawels Bruder, ist, der sich, nachdem vor einiger Zeit auf ihn geschossen wurde, rettend ins Meer stürzte. Seitdem gilt er als tot, doch seine Leiche wurde nie gefunden. Vor seinem vermeintlichen Tod lebte Andrej sieben Jahre in einem russisch-orthodoxen Kloster, was erklärt, warum sich Bruder Kyrill für dessen Verbleib interessiert.
KryoZhit gehört zu gleichen Anteilen Pawel und Andrej, doch wer erbt im Falle seines Todes? Hat er ein Testament gemacht? Zugunsten der von Pawel verachteten Kirche? Oder ist Michael, der von seinem Vater nichts ahnt, dessen Erbe und deswegen in Gefahr? Julia, Michaels leibliche Mutter, ist nach Russland zurückgekehrt, um Michael zu finden. Hier traf sie 1991 ihren Andrej wieder, der sich zuvor bei einem Studienaufenthalt in Amerika aufgehalten hatte. Hängen die Ereignisse von damals mit den Geschehen von heute zusammen? Steckt hinter dem Mord an Dr. Radu der schwerreiche Oligarch Oleg Wolkow und welches Geheimnis umgibt Michaels Kollegin Dr. Kat, zu der er sich hingezogen fühlt?
Zweiter Teil der Kryo-Trilogie
Petra Ivanov startete mit „Die Verheißung“ die Kryo-Trilogie, welche nun mit dem Mittelteil „Die Versuchung“ fortgesetzt wird, bevor mit „Die Verfehlung“ im August 2024 das Finale eingeläutet wird. Zum besseren Verständnis der Handlung sollte man den ersten Band unbedingt lesen, wenngleich der zweite Teil natürlich einige erklärende „Rückblenden“ enthält. Und, ja, wie schon beim Vorgänger gibt es ein akzeptables „Ende“, bei dem Julia und Michael erfahren, ob Andrej noch am Leben ist. Gleichwohl bleiben verständlicherweise Fragen offen.
Petra Ivanov, ihres Zeichens meistgelesene Spannungsautorin der Schweiz, sorgt mit ihrem treibenden Schreibstil dafür, dass das Leseerlebnis leider viel zu schnell vorbei ist. Kurze Kapitel, 54 auf 315 Seiten, sorgen für hohes Lesetempo, bei dem nie Langeweile aufkommt. Abwechselnd wird aus den Perspektiven mehrerer Figuren erzählt, zudem gibt es Rückblenden, die die Geschehnisse aus dem Jahr 1991 aufklären. Damals wurde Julia in Russland zu Unrecht wegen Mordes an Andrej verhaftet.
Neben dem kriminellen Plot gibt es weitere Einblicke in die Arbeit der Kryoniker und deren Sichtweisen, wie das menschliche Leben künstlich verlängert oder klarer gesagt, wie das menschliche Gehirn digitalisiert werden kann. Eine gruselige Vorstellung, ganz losgelöst von möglichen religiösen Empfindungen. Insofern ist der Dreikampf zwischen Pawel, orthodoxer Kirche und Oligarch Wolkow durchaus packend, wenngleich Wolkow selbst im vorliegenden Mittelband persönlich gar nicht in Erscheinung tritt.
Gelungene Fortsetzung. Auf den dritten Teil darf man gespannt sein.
- Autorin: Petra Ivanov
- Titel: Kryo: Die Versuchung
- Verlag: Unionsverlag
- Umfang: 320 Seiten
- Einband: Taschenbuch
- Erschienen: Februar 2024
- ISBN: 978-3-293-00597-6
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Wertung: 12/15 dpt