Die italienische Schriftstellerin Michela Murgia verfasste ihren satirischen Prosatext „Faschist werden“ (Istruzioni per diventare fascisti), im Jahr 2018 als Reaktion auf das Erstarken der Rechtsextremen in ihrem Heimatland.
Murgia schlüpft dabei in die Rolle der Faschismus-Befürworterin.
Ich schreibe gegen die Demokratie an, weil sie ein seit ihren Anfängen heillos fehlerhaftes Regierungssystem ist.
Seite 5Kapitelweise listet sie die Stärken eines Faschistischen Systems gegenüber der Demokratie auf. Sie zeigt, wie leicht all das, wodurch sich Demokratie definiert, vom Faschismus in eine Schwachstelle verwandelt werden kann.
So steht dem System ständig wechselnder Regierungsvertreter in der Demokratie die Idee einer verlässlich stabilen Führerfigur im Faschismus gegenüber.
Das durch die Verfassung legitimierte Recht der Meinungsfreiheit impliziert die Gefahr der Manipulierbarkeit der öffentlichen Meinung inklusive dem Diskreditieren politischer Gegner.
Gegenseitige Toleranz, die es braucht, um ein freies gesellschaftliches Miteinander zu gewährleisten, ist für die Menschen weitaus schwerer zu leisten als der Glaube an feste Feindbilder, die das Gemeinschaftsgefühl stärken.
Der Faschismus instrumentalisiert die Angst, die bei der sachlichen Darstellung von Fakten entsteht, um die bereits vorhandenen Ängste in einer sich ständig verändernden Welt zu verstärken. Hinzu kommt das systematische Ausspielen unterschiedlicher Schichten, um die demokratische Einheit zu schwächen.
Sehr ausführlich geht sie auf die populistische Vereinnahmung der Sprache ein und mahnt vor dem Verlust des kollektiven Gedächtnisses. Faschisten wehren sich gegen jede Form der Erinnerungskultur und deuten Geschichte in ihrem Sinne um. Auch hier ist die Demokratie im Nachteil, denn Zeitzeugen sterben leider aus.
Murgia zeigt: Der Faschismus ist gerade deshalb so erfolgreich, weil er in seinem Kern zutiefst menschlich ist. Er nutzt die Schwächen der Menschen zu seinem eigenen Vorteil. Demokratie hingegen erfordert Arbeit. Demokratie kostet Mühe und Überwindung. Doch Menschen bewegen sich am liebsten innerhalb ihrer Komfortzonen.
Obwohl Murgia ihren Humor als Waffe einsetzt, macht sie sich nie über den politischen Gegner lustig. Mit keinem Wort zieht sie faschistisches Verhalten ins Lächerliche. Die Gefahr, die sie scheinbar, humorvoll beschreibt, ist konkret und omnipräsent. Es gibt keinen Zweifel, dass die von ihr geschilderte Bedrohung der Demokratie eine sehr reale ist. Sie orientiert sich ganz konkret an alltäglichen Beispielen und aktuellen Begebenheiten. Kritisch betrachtet sie die Entwicklung der Sozialen Medien, deren zentrale Rolle ein besonderes Augenmerk verdient.
Im Augenblick steht uns eine solche Überfülle an Möglichkeiten zur Kontrolle der Masse zur Verfügung, wie sie kein Faschismus des vergangenen Jahrhunderts besessen hat …
Seite 7Auf nur 112 Seiten entlarvt Murgia die Vorgehensweisen des modernen Faschismus und stellt zugleich die erschreckende Zerbrechlichkeit der Demokratie dar.
Der Wagenbach Verlag hat das von Julika Brandestini ins Deutsche übersetzte Buch bereits 2019 herausgegeben. Ein Weckruf, wie er 2024 kaum eindringlicher sein könnte.
Dafür gibt es eine hundertprozentige Leseempfehlung.
- Autorin: Michela Murgia
- Titel: Faschist werden. Eine Anleitung
- Originaltitel: Istruzioni per diventare fascisti
- Übersetzerin: Julika Brandestini
- Verlag: Verlag Klaus Wagenbach
- Erschienen: April 2019
- Einband: Taschenbuch
- Seiten: 112 Seiten
- ISBN: 978-3803136862
Wertung: 15/15 dpt