Kampf für Freiheit in einer kristallharten Welt
Aënahya ist eine von vielen Töchtern des Kerends, des tyrannischen Herrschers von Trurien. Sie erwartet ihre Initiation, die sie aus der Erziehung in das Leben einer erwachsenen Kerenda führt. An der Seite eines Manns, den sie nicht kennt, vielleicht eines Ritters. Aënahya verpatzt die Prüfung, in dem sie besteht. Sie erzeugt Licht in der Dunkelheit, beantwortet Fragen, die niemand außer ihr hört. Sie ist magisch begabt und daher dazu verdammt, eine „Unerwählte“ zu werden. Eine von jenen Frauen, die für den Kerend Magie wirken. In einer Zeremonie werden ihre Haare geschoren und seltsame Tattoos auf die Kopfhaut gemalt. Doch jemand unterbricht den Verwandlungsprozess.
Grauwärle, Werwesen und Pantherkrieger, sind in die Burg des Kerends eingedrungen und töten jeden und jede. Aënahya sucht im Chaos nach ihrer Erzieherin, doch die wurde verbrannt. Alles, was von ihr blieb, ist ein Kristall, in dem der Geist Krorwens eingeschlossen ist, dessen Rat Aënahya immer noch hören kann. Zusätzlich scheint der Geist einer anderen Person in dem Kristall zu stecken: Peredine, eine Magierin aus dem Händlervolk der Gopten.
Wenn Menschen, Werwesen und Panther sich verbünden
Weit kommt Aënahya nicht. Sie wird von den Werwesen und Panthern verschleppt und der Anführer der Wärle erklärt sie zu seiner Frau. Mithilfe des Kristalls und der Mondmagie flieht die ausgestoßene Tochter des Kerends erneut und versteckt sich bei einer Karawane der Gopten. Die wollen sie am liebsten gleich wieder loswerden.
Das magische Naturereignis einer Eklipse und der gemeinsame Kampf gegen den Kerend schmiedet eine seltsame Allianz aus Grauwärlen und Gopten. Die unerfahrene, ängstliche aber mit magischen Talenten ausgestattete Aënahya soll sie führen. Obschon sie nahezu chancenlos sind, ziehen die Verbündeten in einen Krieg gegen die Ritter und Unerwählten. Dabei bekommen sie es mit kosmischen Kräften zu tun, über die keines der einst freien Völker je Wissen erworben oder in ihrer Mythologie berichtet hat.
Können die Völker gegen einen gottgleichen Herrscher bestehen?
Ju Honisch erzählte mir auf dem BuCon im Oktober 2023, dass sie diese Fantasygeschichte schon vor vielen Jahren anfing zu schreiben. Dafür erschuf sie die archaische Welt Kreyhthuon, in dem das Land Trurien von einem allmächtigen Herrscher erobert wurde. Dieser etablierte fünf Königreiche, in denen je ein Kerend (eine Art Kaiser) einen Landstrich mit eiserner Hand beherrscht und unterdrückt. Selbst die Adeligen, die Kerendey, führen kein selbstbestimmtes Leben, sondern dienen ihrem Herrscher. Niedere leben in Armut und Knechtschaft. Ein wenig Freiheit konnten sich die Gopten bewahren, ein fahrendes Händlervolk. Ein weiteres Volk von Mensch-Panther Werwesen, die Grauwärle, waren einst Krieger und sind nun Gejagte. Sie verwandeln sich zum Teil in Panther und erzeugen kaum noch Nachkommen.
Über Monde, Macht und Magie
Der Kerend bekämpft jegliche Art von Magie unerbittlich. Heimlich praktizieren die Gopten eine sanfte Magie, assoziiert mit den beiden Monden Andrenaye und Serenaye. Ihre Anführerin Peredine empfing eine Vision, bevor sie verbrannte und ihr Geist in Krorwens Körper überging. Die Schamanen der Grauwärle praktizieren Erdmagie, die ihnen allerdings nicht ihren Fluch der Wandlung nimmt. Der Mensch Morr schloss sich ihnen an und brachte Wissen mit, dass ihnen vielleicht ein Überleben ermöglicht. Ein Mysterium ist die Magie der Unerwählten, Steinmagie von entsetzlicher Macht.
Ju Honisch hat sich hier mehr als nur ein Magiesystem ausgedacht, das sie in Gedichten und Gesängen zum Ausdruck bringt. Diese helfen in das jeweilige Konzept der Magie einzutauchen und dessen Stärken und Grenzen zu verstehen. Selten las ich so viel stimmungsvolle Lyrik in einem Fantasybuch.
Über das Anderssein und Akzeptanz
Die Grauwärle werden als Bestien verachtet, die Gopten als Lügner und Betrüger beschimpft. Aënahya stammt aus dem privilegierten Adel, ist jedoch eine junge Frau, die sich nur sehr schwer aus den fesselnden Ketten ihrer Erziehung befreien kann. Ju Honisch beschreibt die Entwicklung ihrer Figuren stets so, dass sie gemäß der Gegebenheiten ihrer Welt realistisch ist. In Aënahyas Fall bedeutet es, dass ein Aufwachsen in einem totalitären System die Protagonistin so nachhaltig einschränkt, dass man sie als Lesende bisweilen schütteln möchte. Was sie jedoch auszeichnet ist der Mut, sich der Magie und schließlich der Kultur der Grauwärle zu öffnen und die freien Völker anzuführen. Sie überrascht mit starken Auftritten, wie zum Beispiel diesem:
Als Identifikationsfigur ist am ehesten der Gopte Meriur geeignet, oder auch Morr, ein ehemaliger Kerendey, der sich den Grauwärlen anschloss. Graar, der Anführer der Wärlen-Krieger, durchläuft die beeindruckendste Entwicklung aller Figuren. Am Anfang wirkt er eher wenig sympathisch, mausert sich in der Geschichte allerdings zum Helden und Vermittler zwischen Menschen und Werwesen. Ju Honisch stellt sowohl die Charaktere als auch die Historie und Eigenarten der Völker ausführlich vor und verdeutlicht, wie unterschiedlich sie handeln und denken. Dass sie sich dennoch zum gemeinsamen Freiheitskampf vereinen, ist einer Ereigniskette aus Naturgewalten und magischen Prophezeiungen geschuldet. Und einem gemeinsamen Ziel: Freiheit.
Extrem kurze Kapitel – trotzdem Längen
„Gefangene des Panthers“ ist aufgeteilt in zwei Bücher mit den Titeln „Verräterinnen“ und „Monden-Feinde“. Die insgesamt fast 800 Seiten lange Geschichte wird in 113 kurzen Kapiteln erzählt. Einige umfassen nur wenige Seiten und enden mit Cliffhängern. Die personale Erzählperspektive wechselt, meistens erzählen Aënahya, Meridur, oder Morr, doch auch andere Figuren kommen zu Wort. Man könnte erwarten, dass eine solche Erzählstruktur das Tempo hochhält. Das ist teilweise der Fall, aber nicht immer. Denn bisweilen kommt das Tempo der Handlung nicht mit dem der Erzählstruktur mit. Manche inneren Monologe, manche Dialoge und manche Beschreibungen fallen allzu ausführlich aus und es bedarf mehrerer Kapitel aus einer bestimmten Perspektive, um die Handlung entscheidend voranzubringen. Die kurzen Kapitel und Cliffhänger stören stellenweise den Lesefluss und das Eintauchen in die Handlung.
Plädoyer für die Freiheit und Individualität
Die Entwicklung der Handlung und der Figuren ist jedoch äußerst spannend und stimmig beschrieben. Der aufopfernde Kampf um Freiheit, Individualität und Selbstbestimmung, geführt von Held:innen, die ständig zu scheitern drohen, lässt uns mitfiebern und mitleiden. Die Geschichte stellt ein überzeugendes Plädoyer dafür dar, dass jedes restriktive System Schwächen hat und mit Courage und Zusammenhalt bezwungen werden kann.
„Gefangene des Panthers“ ist darüber hinaus innovative Fantasy, abseits des Tolkien’schen Kosmos. Dafür vollgepackt mit interessanten Wesen, plausibel beschriebener Magie und einem Weltenbau, der ein wenig an Science-Fiction erinnert. Das System des Kerendats ähnelt dem der genetischen Dynastie des Emperor Cleon aus der Streaming-Adaption zur „Foundation“ Buchserie von Isaak Asimov. Einen ähnlich weltenübergreifenden Hintergrund gibt es ebenfalls in Ian Irvines „Drei Welten“-Saga, die ich vor über fünfzehn Jahren begeistert las. Fantasy wird durch solche Brücken zu anderen Genres nicht nur interessanter, sondern auch weniger vorhersehbar. In diesem Sinne punktet „Gefangene des Panthers“ mit einem überraschenden Finale, dass der Geschichte nicht nur einen würdigen, sondern einen aufregenden und stimmungsvollen Abschluss bietet.
- Autorin: Ju Honisch
- Titel: Gefangene des Panthers (Verräterinnen, Monden-Feinde)
- Teil/Band der Reihe: aufgeteilt in zwei Bände
- Verlag: KDP – Independently published
- Erschienen: 04/2023
- Einband: Taschenbuch
- Seiten: 378/428
- ISBN: 979-8-388220-44-8, 979-8-388369-71-4
- Sonstige Informationen:
- Produktseite
Wertung: 11/15 dpt