J. G. Ballard – Die Flut (Buch)


Aufgrund der zerstörten Ionosphäre der Sonne steigen die Temperaturen auf der Erde an, die Pole schmelzen, Europa wird überflutet. In den zerstörten Städten und Landschaften machen sich Alligatoren, Leguane, riesige Anophelesmücken und Sumpfpflanzen breit. Die wenigen, verbliebenen Mensch flüchten vor den Wassermassen in halbwegs bewohnbare Gebiete. In London steht für die Wissenschaftler Kerans und Bodkin sowie die einzige weibliche Figur des Romans Beatrice Dahl die Evakuierung bevor. Angeleitet von Colonel Riggs und seiner Militäreinheit wird die Räumung vorbereitet.

Doch die Menschen verändern sich. Beatrice möchte bleiben, der Soldat Hardman ergibt sich seinen Halluzinationen und desertiert, während Bodkin und Kerans sich in Träumen verlieren, die periodisch die Realität in Frage stellen, beziehungsweise ersetzen.

Kerans, Bodkin und Dahl gelingt es die Abreise zu vermeiden, während Hardman im Dschungel verschwindet. Ob verwundet oder tot bleibt lange unklar.
Später taucht der sinistre Strangman mit seiner marodierenden Crew auf, einer Mischung aus postapokalyptischer Sekte und Piratenbande. Die aus dem Untergang Profit schlagen wollen – warum oder wofür auch immer – und dafür über Leichen gehen.

Mit “The Drowned World” (dt. “Die Flut”) entwarf James Graham Ballard ein dystopisches Szenario, das aktueller scheint denn je. Das Verschwinden der Ionosphäre, die Ursachen dafür bleiben außen vor, sorgt für extreme Hitzewellen und mit dem Verschwinden der Polkappen für ansteigende Wassermaßen, die die wenigen verbliebenen Menschen zu Getriebenen macht, die unterschiedlich mit den feindlichen Bedingungen umgehen. Colonel Riggs, seine Vorgesetzten und das Militär versuchen die Situation zweckmäßig zu bewältigen, reagieren aber nur auf die Konditionen, die ihnen die Natur vorgibt. Beatrice Dahl verharrt fatalistisch, während sich die Wissenschaftler Kerans und Bodkin ihren Phantasmagorien hingeben, ebenso wie der abtrünnige Soldat Hardman. Er wird im Verlauf der Handlung zum blinden Seher, vermag aber keine Erkenntnisse zu vermitteln, sondern entschwindet in der Flut, der Sonne und dem Dschungel.

Einzig der Tatmensch Strangman lehnt sich gegen die Natur auf, doch nicht, weil er einen lebenswerteren Raum schaffen will, sondern um zu plündern und sich zu bereichern. Damit weckt er Kerans Widerstand, der sich mit der Flut arrangieren möchte, nicht aus rationalen Gründen, sondern als Teil einer Vision, die konsequent zu Ende gedacht, eine Welt ohne Menschen bewirkt.

Ballard stellt seinen Handlungsträgern und der einzigen -trägerin kein Zeugnis aus, dass eine Versetzung rechtfertigen würde. Solidarität, gemeinsame Anstrengungen finden kaum statt, lediglich Kerans individuelle Empathie sorgt für Momente der Verbundenheit, ist aber ohne Nachdruck, Plan und Ratio folgenlos.

Obwohl der Roman weitgehend im überfluteten London spielt und Kerans erst am Ende ins Ungewisse zieht (oder flieht), findet “Die Flut” ganz in der Nähe von Joseph Conrads “Heart Of Darkness” (“Herz der Finsternis”) statt. Eine der zentralen Aussagen von Conrads Roman spielt eine wichtige, vielleicht sogar die wichtigste Rolle in Ballards Text: “We live as we dream – alone. While the dream disappears, the life continues painfully. The mind of man is capable of anything.” (“Wir leben wie wir träumen – allein. Während der Traum verschwindet, geht das Leben schmerzhaft weiter. Der Geist des Menschen ist zu allem fähig”).

Bei J. G. Ballard entwickelt sich der Horror meist aus dem, was nicht vorhanden ist. Kein Land, keine tiefergehenden Beziehungen, keine Aussichten auf Veränderung, nicht einmal auf eine Verbesserung. Und wenn sich doch etwas, und sei es aus den falschen Gründen ändert, ist ein Rücksturz in bekannte Muster und Gegebenheiten eine Option.

Zwar stellen Alligatoren, Echsen und Riesenmücken eine Bedrohung dar, aber keine, die usnere Protagonisten allzu sehr ängstigt. Da ist ein zwielichtiger Charakter wie Strangman beängstigender. Und Ballard gönnt ihm ein wahnwitziges, überbordendes Entree. Strangman und seine zusammengewürfelte Mannschaft rauschen mit Macht in die Zuflucht des Trios, Kerans, Dahl und Bodkin, eine Armada wild paddelnder Alligatoren im Schlepptau. Es ist offensichtlich, dass mit Strangman das menschliche Antlitz der globalen Zerstörung die Szenerie betritt.


Die Welt ist ein einsamer Ort und das wird angesichts einer andauernden Katastrophe immer offensichtlicher. Der Mensch wird zum Fremdkörper in einer feindlich gestimmten Welt, in der Flucht nur einen Aufschub bedeutet und Akzeptanz schwer möglich scheint. Die Beziehungen untereinander sind vage und destruktive Ausbeuter verschlimmern die Lage zusätzlich. Wenn man bedenkt, dass James Graham Ballard seine auf Klimaveränderungen Bezug nehmenden Anti-Utopien Anfang der Sechziger veröffentlicht hat – man könnte ihn glatt für einen Visionär halten. Ein exzellenter Beobachter und fantasievoller Autor ist er in jedem Fall.
Cover © Diaphanes


2 Kommentare
  1. Hm, kleiner Nachtrag/richtig Gestellung…..Autor des Romanes ist natürlich J. G. Ballard..Entschuldigung kleine Verwechslung meinerseits
    LG..Karin…

  2. Hallo und guten Tag,

    erst einmal noch ein, gutes neues Jahr für alle vom Bloggeteam.
    Hm, was für eine Geschichte….und das auf nur 224 Seiten..alle Achtung hier für den Autoren Jochen König.
    Was für eine Depri-Geschichte…also da möchte ich auf keinen Fall leben…augenrollen…

    LG..Karin..

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