Der booknerds Jahresrückblick 2023 von Eva


2023 – ein Jahr der Veränderungen

Schließt sich eine Tür, öffnen sich neue. Dieser Satz könnte rückblickend mein persönliches Motto für das Jahr 2023 sein. Im Juni 2023 habe ich den Blog phantastisch-lesen.com geschlossen, mein Herzensprojekt. Für den Blog habe ich WordPress gelernt, Design und Struktur ersonnen, ihn mit Inhalt gefüllt, ein kleines Team aufgebaut, ihn durch die Umsetzung der DSGVO gebracht und neun Jahre lang betrieben. Geliebt habe ich nicht nur das Schreiben und Gestalten mit dem Team, sondern verschiedenste Buch-Events und die damit verbundenen Kontakte zu anderen Blogger:innen, Schreibenden und Gleichgesinnten aus der Branche. Corona kam und puschte ein neues Medienformat: den Podcast. Ob dies allein der Grund für stetig fallende Zugriffszahlen waren? Ging dadurch mir und dem Team die Motivation verloren? Ich weiß nicht genau warum, aber so war es. Nach neun Jahren beendete ich das Projekt phantastisch-lesen und das war rückblickend gut so. Schließt sich eine Tür, öffnen sich neue.

Eine Tür, die mir immer offenstand, war die zum booknerds-Magazin, für das ich in unterschiedlicher Frequenz schon seit zehn Jahren schreibe. Seit Mitte Juni 2023 schreibe ich wieder mehr Beiträge und immer lieber. Der nerdige Spirit aus Dynamik, Ideenvielfalt und Kreativität hat mich eingefangen und spornt mich zum Schreiben von Rezensionen und anderen Projekten rund um das Thema Buch und Literatur an.  Apropos Buch und Literatur…

Bücher, die mir 2023 besonders gut gefallen haben

»Der Leuchtturm an der Schwelle der Zeit« von Natasha Pulley

Der Leuchtturm an der Schwelle der Zeit © Hobbit Presse

Natasha Pulleys Roman »Der Uhrmacher in der Filigree Street« ging bisher an mir vorbei (Nachholen bereits eingeplant), doch dafür hinterließ die nachfolgende Veröffentlichung »Der Leuchtturm an der Schwelle der Zeit« umso mehr Eindruck. Was für eine verrückte Geschichte, was für eine tolle Schreibe. »Der Leuchtturm« lässt uns mit dem Protagonisten Joe in die napoleonische Ära eintauchen. Oder vielmehr in gleich mehrere alternative Versionen dieser Zeit und ihrer historischen Ereignisse. Obwohl hier ein Alternativzeitszenario gewählt wurde, in dem Handlungen der Vergangenheit Konsequenzen in der Zukunft haben, verknüpft die Autorin die Komplexität der Abläufe mit leichter Hand. Und lässt uns mitfiebern mit Joe und Kite im Strudel der Zeiten. Garniert wird der Lesegenuss von Pulleys ausnehmend schöner Sprache, mal poetisch, mal bildreich und immer konkret auf den Punkt.

»Die Wächterinnen von New York« von N. K. Jemisin

Die Wächterinnen von New York © Tropen Verlag

Der Roman beginnt mit der Geburt der Stadt New York in der Gestalt eines schlaksigen Schwarzen als Avatar. Obwohl die Romanidee, Städte als lebende Wesen mit typischen Charaktereigenschaften zu beschreiben, irgendwie nahe liegt, las ich noch nie eine Geschichte darüber. Bis mir »Die Wächterinnen von New York« begegnete. N.K Jemisin macht es Lesenden nicht gerade einfach, in diese bizarre Szenerie einzutauschen. Ein weißes Cthulhu-Monster greift sowohl New York, als auch die Bezirke Manhattan, Bronx, Brooklyn und Queens an. Dem republikanischen Staten Island ist es willkommen. Pun intended – denn es geht in der Geschichte nicht nur um Diskriminierung, Queer-Feindlichkeit und Gentrifizierung. Sondern in erster Linie um strukturellen Rassismus. Das Ungewöhnliche und Originäre dieses Romans spiegelt sich auch in der Sprache wider: hart, konkret – typisch New Yorker Slang.

»Der Untergang von Númenor« von J.R.R. Tolkien, Brian Sibley

Der Untergang von Númenor © Hobbit Presse

Zu den positiven Überraschungen des Buchjahres 2023 zählt eindeutig »Der Untergang von Númenor« von J.R.R. Tolkien, herausgegeben von Brian Sibley. Was erwarten wir, wenn auf einem Buchcover der Name des hochgeschätzten Mittelerde-Erfinders J.R.R. Tolkien steht? Der Todestag des Schriftstellers jährte sich im Jahr 2023 zum 50ten Mal. Dessen Sohn, Christopher Tolkien, der es sich zur Lebensaufgabe machte, den literarischen Nachlass seines Vaters seinen Fans zugänglich zu machen, verstarb 2020. Mittlerweile dürften jedes Schreibheft, jede Zettelsammlung und jede Notiz seines Vaters zur Genüge ausgewertet sein. Was kann »Der Untergang von Númenor« also bieten, was Tolkien-Fans nicht schon längst kennen? Tatsächlich befinden sich in diesem Buch keine vorher noch nie veröffentlichten Texte von J.R.R. Tolkien und trotzdem lohnt es sich, das Buch zu lesen. Denn es ist Brian Sibley gelungen, die Texte so geschickt zu verbinden, dass der Eindruck einer runden Geschichte über das tragische Schicksal Númenors zurückbleibt, obwohl es sich eigentlich nur um eine Sammlung von Textpassagen in chronologischer Abfolge handelt. Und so erzählt »Der Untergang von Númenor« eine dramatisch spannende Doomsday-Geschichte über ein Volk, das dem Paradies überdrüssig wurde, als es das Böse korrumpierte.

»Die Alchemie des Träumens« von Iva Moor

© Grit Richter/Art Skript Phantastik

Gern werfe ich einen Blick in die Verlagsprogramme der sogenannten Kleinverlage. Und der Art Skript Phantastik Verlag ist so ein Verlag, der mit viel Fachwissen und Frauenpower schöne Phantastische Literatur herausbringt. »Die Alchemie des Träumens« von Iva Moor lernte ich auf dem Kölner Fantasy Lesefestival kennen und war von der Buchvorstellung der Autorin und dem Cover sofort angetan. Der positive Eindruck wurde noch übertroffen, denn der Roman entpuppte sich als historische Urban-Fantasy mit einem Feuerwerk an ungewöhnlichen und unverbrauchten Ideen. Und mit zwei Protagonist:innen, die sich herrlich schlagfertige Dialoge liefern und  – entgegen der Erwartungshaltung – keine Beziehung miteinander eingehen. Wer eine aufregende Mischung aus Crime Noir und Dark-Fantasy liebt, kommt in »Die Alchemie des Träumens« voll auf seine Kosten.

»J.R.R. Tolkien – Eine Biografie« von Humphrey Carpenter

© Hobbit Presse

Nicht neu, aber neu entdeckt habe ich die Tolkien-Biographie von Humphrey Carpenter, die ich geschenkt bekam. Irgendwie wurde 2023 unter anderem zu einem Tolkien-Jahr für mich. Vielleicht nicht zufällig, denn natürlich gab es zum 50. Todestag Tolkiens Aktionen, die an diesen einzigartigen Erzähler und Sprachwissenschaftler erinnerten. Und darum geht es auch in Carpenters Biografie, für die der Biograf Tolkien sogar in Oxford besuchte. Im Wesentlichen beruht sie jedoch auf Tagebüchern und Erinnerungen der Familie und Freunde. Was diese Biografie so besonders macht, ist, dass sie den Menschen Tolkien in den Mittelpunkt stellt. Einen Menschen, den ein schwerer Lebensweg prägte und der stets Melancholie, aber auch Geselligkeit und Freude ausstrahlte. All das beeinflusste eine einzigartige Literatur, die 100 Jahre nach ihrer Entstehung immer noch Lesende begeistert und inspiriert.

Buch für die Stadt – Gemeinschaft und Kreativität für eine gute Sache

Eine Tür, die sich öffnete, war mein Mitwirken an der Kölner „Buch für die Stadt“ Aktion, die schon seit 20 Jahren stattfindet. In diesem Jahr berief die Jury aus der Redaktion des Kölner Stadtanzeigers und der Leitung des Literaturhauses Volker Kutschers Auftakt zur „Gereon Rath“ Krimiserie „Der nasse Fisch“ zum Buch für die Stadt. Viele kennen den spannenden Stoff, der zeitgeschichtlich am Ende der Weimarer Republik angesiedelt ist, aus der TV-Serie „Babylon Berlin“. Ich schloss mich 2023 einer „Buch für die Stadt“- Gruppe in Köln-Ostheim an und es sollte mein Jahreshighlight werden. Wir entwarfen selbst Szenen zu einem Stück, dass wir mit „Intrigen und Seilschaften – Die vielen Gesichter der Wahrheit“ betitelten. Und ließen einige Charaktere aus dem Buch sich selbst in mitreißenden Monologen vorstellen und in fetzigen Dialogen aufeinandertreffen. Dazu erzählten wir vom geschichtlichen Rahmen und vom Zeitgeist im Jahr 1928. Zwei Aufführungen durften wir auf die Bühne bringen und fast 400 Euro an Spenden für die Gesellschaft im Wandel gUG sammeln. Die Spenden unterstützen ein Projekt, in dem eine Deutsch-Palästinenserin und ein Deutschjude mit israelischen Wurzeln Workshops zum Thema Israel und Palästina an Schulen anbieten.

Der booknerds-Adventskalender

Und dann gab es da noch eine Tür, die zu einem bekannten Ziel an einen anderen Ort führte: der booknerds-Adventskalender. Vom ersten Jahr an gab es auf phantastisch-lesen ein Adventsgewinnspiel, dass nicht nur mir viel Freude machte, sondern auch den Besucher:innen des Blogs. Dadurch sind nachhaltige freundschaftliche Verbindungen entstanden, die bis heute bestehen. Ich wünschte mir so sehr, dass wir im booknerds-Magazin etwas Ähnliches veranstalten. Dank des großartig nerdigen Teams wurde das Gemeinschaftsprojekt weiter, reicher, schöner, bunter und prallvoll gepackt. Vom 1. bis zum 24. Dezember öffnete sich an jeden Tag ein Türchen des booknerds-Adventskalenders und wir präsentierten wunderbar unterschiedliche und persönlich empfohlene Bücher, die von den Glückspilzen unter den Teilnehmenden gewonnen wurden.

Ausblick nach 2024

Nicht gänzlich auslassen kann ich in meinem Rückblick die weltpolitische Lage, die ich als so bedrückend empfinde, wie noch nie in meinem Leben. Was sich in diesem Jahr an Krieg, Leid und Töten unschuldiger Menschen zugetragen hat, ist schwer zu verarbeiten. Auch wenn es auch in den vorherigen Jahren Kriege gab und in den folgenden ebenfalls geben wird. Dazu kommen politische Strömungen, die sich in Deutschland, in Europa und in der Welt offen demokratiefeindlich zeigen. Auch auf diese Entwicklung blicke ich fassungslos und sie lässt mich an den Grundfesten unserer Gesellschaft zweifeln. Ein wenig Hoffnung schöpfe ich aus der Kunst und Literatur.

Die Phantastische Literatur entwickelt sich zu einer progressiven Literatur, die den Finger auf die Wunden gesellschaftlicher Missstände legt, sie spiegelt und weiterdenkt. Dabei überspringt sie zunehmend und leichtfüßig Genregrenzen und erzählt spannende und gehaltvolle Geschichten, die Spaß machen und zugleich zum Nachdenken animieren. In diesem Sinne war mein Bücherjahr 2023 erfreulich positiv. Beim booknerds-Magazin möchte ich die Möglichkeit nutzen, mich wieder mehr an andere Genres oder Sachbücher heranzuwagen. Sicherlich treffe ich auch hier auf Geschichten und Geschehnisse, die Konflikte in einem toleranten Miteinander angehen, anstatt im toxischen Gegeneinander. So öffnen sich eine ganze Reihe von Türen und es liegt bei mir zu entscheiden, durch welche ich im Jahr 2024 gehen möchte.

In diesem Sinne wünsche ich Euch für 2024 offene Türen, gehaltvolle Bücher und viele schöne Momente.

Eure

Eva aus dem booknerds-Team


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