Margaret Atwood wurde „mal wieder für tot erklärt“, da kurz vorher die Nachricht umging, dass sie in ein Hospital eingeliefert wurde. Das lag aber daran, dass sie einen Herzschrittmacher bekommen habe, erklärt sie später in ihrem Blog. Jüngst feierte die in Ottawa geborene Schriftstellerin, im November ihren 84. Geburtstag und erfreut sich bester Gesundheit. Nun, Totgesagte leben länger, dafür ist Atwood der beste Beweis. Schon 2015 schrieb sie, dass viele Menschen überrascht seien, dass sie noch da sei. Dass sie immer noch da und wacher denn je ist, beweist ihr dritter Essay-Band „Brennende Fragen“ der in diesem Jahr im Berlin-Verlag erschien.
Ihr Roman „Der Report der Magd“ (engl. The Handmaid’s Tale), der 1985 erschien und welchen sie im damaligen Westberlin schrieb, verhalf ihr zu weltweiter Bekanntheit. Seitdem ist die Autorin aus der Literaturlandschaft nicht mehr wegzudenken, die sie seitdem gekonnt und auf vielen literarischen Ebenen durchstreift. In ihrem Heimatland Kanada erlangte sie bereits Anfang der 70er Jahre mit literatur- und kulturkritischen Werken wie „Survival: A Guide to Canadian Literature“ große Bekanntheit. Mit über 70 Büchern, die in mehr als 30 Sprachen übersetzt wurden, gilt Margaret Atwood heute als wichtigste und erfolgreichste Autorin Kanadas.
Mit „Brennende Fragen“ legt die Autorin, die schon oft für den Literaturnobelpreis gehandelt wurde, ihren dritten Essay-Band vor, der rund 700 Seiten umfasst und in dem sich mehr als 50 Essays, Rezensionen, Vorworte und Reden finden lassen, die zwischen 2004 und 2021 erschienen sind. Atwoods erster Band setzt im Jahr 1960 ein, während der zweite im Jahr 1983 beginnt und sich direkt an den Vorgänger anschließt, der 1982 endet. Das aktuelle Werk setzt die Reihe fort und besteht aus fünf Teilen, die jeweils von einem geschichtlichen Ereignis oder Wendepunkt handeln. Der Titel „Brennende Fragen“ kann dabei bildlich verstanden werden, da er die Dringlichkeit vieler Themen zusammenfasst, auf die Atwood in ihren Texten eingeht. Direkt im Klappentext beschreibt sie, wo es in der Welt lodert. Dabei nennt sie unter anderem die Ungleichverteilung von Reichtum, den Einfluss der sozialen Medien, sowie allen voran den Klimawandel und eruiert warum es notwendig ist diese Feuer zu löschen. Sie stellt Fragen nach der Definition von Begriffen wie Demokratie, Freiheit und Schönheit und widmet sich so auch philosophischen und gesellschaftlichen Bereichen, die immer wieder diskutiert werden.
Der subtile Humor, ihre weitreichende Menschenkenntnis, sowie ihr tiefgründiges Literatur- und Geschichtswissen sind eine fulminante Mischung, die nicht nur ihren Romanen anzumerken ist, sondern sich auch in ihren Essays widerspiegelt. Atwood hebt nie den Zeigefinger oder kommt jovial daher, vielmehr schafft sie es durch ihre scharfsinnige Beobachtungsgabe stets die richtigen Worte für ihre Vergleiche und Erklärungen zu finden. Gerade, wenn es um Themen wie den Klimawandel geht wird sie sehr deutlich und äußert sich dazu auf einer Konferenz im Jahr 2013 in ihrer Rede „Wie kann man die Welt verändern“ wie folgt:
„Aufs Große und Ganze gesehen: Braucht die Natur uns? Nein. Wir werden unsere eigene Lebensgrundlage schneller zerstört haben als die Grundlagen allen Lebens. Wieviel wir auch kaputt machen, irgendein Insekt oder Tiefseekalmar, irgendeine Kieselalge oder anaerobe Mikrobe wird länger durchhalten als wir.“
Dass Margaret Atwood beim Thema Umwelt auf ein fundiertes Wissen zurückgreifen kann, hat sich schon in ihrer frühen Kindheit abgezeichnet, worauf sie auch an mehreren Stellen von „Brennende Fragen“ eingeht. Ihr Vater war Entomologe und die Mutter als Ernährungsberaterin tätig, die die Kinder zu Hause unterrichtete. Einen großen Teil ihrer Kindheit verbrachte die Autorin in den Wäldern im Norden von Québec, wo der Vater von Frühjahr bis Herbst seinen Insektenforschungen nachging. Atwoods Ehemann war Ornithologe, Schriftsteller und Naturschützer. Sie selbst begeistert sich ebenfalls für die Ornithologie und besitzt auch heute noch ein Haus in der Natur, das weder mit Strom noch fließendem Wasser ausgestattet ist.
Klar, deutlich und mit charmantem Witz weist sie auf die Bedrohungen hin, die sich durch den Klimawandel ergeben. Ebenso markant, aber auch liebevoll äußert sie sich in ihren Laudationen und Texten über ihre Kolleginnen und Kollegen aus dem schreibenden Umfeld. Die Nobelpreisträgerin Doris Lessing wird von ihr liebevoll mit Glinda, der guten Hexe, aus „Der Zauberer von Oz“ verglichen und von Atwood als Mensch beschrieben, der „Mit Talent, Mut, Ausdauer in harten Zeiten und einem Quäntchen Glück höchste erzählerische Höhen“ erklimmen kann. Die Schriftstellerin Alice Munroe wird gleich mit zwei Texten, im ersten und zweiten Teil von „Brennende Fragen“, bedacht und wird von Atwood „eine der wichtigsten englischsprachigen Schriftstellerinnen unserer Zeit“ genannt.
Selbstkritisch und natürlich nicht ohne Humor geht Atwood auch auf ihr eigenes Wirken nach Außen und ihre Erfahrungen als Autorin ein. In den 1960-er Jahren wird sie gefragt, wann sie sich denn umbringen wolle. Die Frage erklärt sie sich damit, dass sie zu der Zeit Dichterin war und in jenen „Sylvia-Plath-Zeiten“ Selbstmord wohl eben dazugehörte. Sie gilt als Feministin und wird Anfang der 80er Jahre gefragt, ob sie Männer hasse und wird wiederum im Jahr 2014 mit der Frage konfrontiert, ob sie eine schlechte Feministin sei. Man merkt den Texten an, wie oft Atwood sich selbst und ihre Wahrnehmung der Gesellschaft hinterfragt, da vor allem Themen, wie Umwelt und auch die Gleichbestimmung der Frauen, von ihr stark in ihren Werken diskutiert werden und wie sie immer wieder auf der Suche nach Antworten ist. Dass sie diese Suche mit Essays, Rezensionen und Reden genauso gekonnt angeht, wie in ihren Romanen, indem sie diese humorvoll, fundiert und mit einer ordentlichen Portion Esprit lanciert, macht „Brennende Fragen“ zu einem unterhaltsamen und lehrreichen Leseerlebnis, das man bis zur letzten Seite genießt.
- Autor: Margaret Atwood
- Titel: Brennende Fragen
- Originaltitel: Burning Questions
- Übersetzende: Eva Regul, Jan Schönherr, Martina Tichy
- Verlag: Berlin Verlag
- Erschienen: 2023
- Einband: Hardcover mit Schutzumschlag
- Seiten: 704
- ISBN:978-3-8270-1473-3
- Sonstige Informationen:
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Wertung: 15/15 dpt