2023: Ein Hoch auf die Unabhängigen! Vielfalt wird immer wichtiger
Gut sechzig Titel habe ich 2023 gelesen. So viele Bücher wie noch nie zuvor. Doch zufrieden macht mich weniger die Summe an sich als vielmehr die Auswahl, die ich getroffen habe. Denn es waren ausnahmslos Bücher, die mich alle, einige etwas mehr als andere, haben begeistern können.
Meine absoluten Herzenstitel waren drei Romane, wie sie im direkten Vergleich kaum unterschiedlicher sein könnten und die ich jahresrückblickgemäß noch einmal nennen möchte:
„Der unendliche Gipfel“ von Toine Heijmans, im März 2023 im mairisch Verlag erschienen, hat mich gleich zu Beginn des Jahres absolut mitgerissen. Auf den ersten Blick ist dieser Bergsteiger-Roman eine Abenteuer-Erzählung, geht es doch um den letzten Aufstieg des Protagonisten auf einen Himalaja-Gipfel. Aber schnell wird klar, dass es um mehr geht, um Freundschaft, Lebenssinn und die Beziehung zur Natur. Und so hat dieser besondere Roman absolut das Zeug zum Lebensbuch.
Um die Natur und unsere Beziehung zu ihr geht es auch in Sylvia Schmieders „Saling aus dem Wald“ aus dem Verlag edition federleicht. Diese nahezu unbekannte Literaturperle ist bereits im August 2021 erschienen und ihre Entdeckung war für mich ein riesiger Glücksfall. Ein richtiges Lieblingsbuch, thematisch top-aktuell und sprachlich einfach nur großartig.
Auf der Frankfurter Buchmesse geriet ich zufällig in eine Lesung der Autorin Ute Bales, die dort ihren im März 2023 im Rhein-Mosel-Verlag erschienenen Roman „Am Kornsand“ vorstellte. Nach der Lesung entwickelte sich ein freundliches Gespräch mit Autorin und Verleger, ich nahm den Roman zum Rezensieren mit nach Hause. Bales‘ Darstellung des als Kornsand-Verbrechen bekannt gewordenen Kriegsverbrechens hat mich vollkommen abgeholt. Fazit: Ein historischer Roman, der die Banalität des Bösen schmerzhaft zeitlos darstellt und den Leser:innen zeigt, dass Geschichte niemals wirklich vorbei ist.
Natur und Geschichte – das sind zwei der Themen, an denen ich aktuell nicht vorbei komme. Meine Top Drei ist sicher auch dieser Tatsache geschuldet.
Bei sechzig Titeln sind natürlich noch viel mehr als diese drei dabei, die ich uneingeschränkt empfehlen kann. Meine Rezensionen geben darüber beredt Aufschluss. Es hat mir nicht nur große Freude bereitet all diese vielen Titel zu lesen, es war mir auch ein Fest über all diese Bücher zu schreiben.
Wieder einmal hat sich in mir der Eindruck bestätigt, dass die spannendste und innovativste Literatur in genau jenen Verlagen entsteht, die sich abseits vom Mainstream bewegen. Auch wenn die Deutsche Buchpreis-Jury dieser Tatsache leider mal wieder nicht Rechnung getragen hat.
Meine größte Empfehlung lautet daher:
Seht euch bitte die Programme der Independent-Buchverlage an!
Es lohnt sich in der Buchhandlung Eures Vertrauens gezielt nach Titeln zu fragen, die nicht in den Bestseller-Listen auftauchen.
Wer Literatur sucht, die mutig und am Puls der Zeit ist, der wird bei den Indies genau die Texte finden, die sich nicht an Kommerz und Konventionen orientieren. Und genau das brauchen wir heutzutage mehr denn je im Sinne von freier Meinungsbildung und Vielfalt. Das Leben da draußen ist bunt, quer, unbequem, kantig, voller Ecken und Widersprüche. Es gibt keine Mainstream-Lösungen. Wir alle sind es, die diese Welt da draußen gestalten, jeden Tag, ob wir wollen oder nicht. Es gibt nichts, was uns von dieser Verantwortung befreit.
Und Bücher sind eines der besten Hilfsmittel, um uns genau darin zu trainieren. Nicht, weil sie uns fertige Antworten liefern, sondern indem sie uns ermutigen, die wichtigen Fragen zu stellen.
Leider kann ich meinen Rückblick nicht schließen ohne auch ein trauriges Fazit aufzunehmen. Es ist längst kein neues Phänomen: Unsere Gesellschaft ist im Wandel. In der Politik erleben wir inzwischen täglich, wie sich die Rechte mitten unter uns breit macht. Wie sie Themen okkupiert, Diskurse gezielt vereitelt, Krisen für ihre Zwecke instrumentalisiert.
Doch dass sie inzwischen auch die vermeintlich harmlose Unterhaltungsindustrie erreicht hat, aus der wir als Büchermenschen einen Großteil unserer Lektüre beziehen, ist wirklich besorgniserregend. Mit seinem Titel „Willkommen im falschen Film“ von Monika Gruber und Andreas Hock hat der Piper Verlag nicht nur zugelassen, dass eine Buchbloggerin mit Klarnamen namentlich genannt und rassistisch diffamiert wird, sondern auch in Kauf genommen, diese Person der rechten Szene auf dem Silbertablett zu servieren.
(Siehe zum Beispiel https://www.spiegel.de/kultur/wegen-neuem-buch-willkommen-im-falschen-film-verleumdungsvorwuerfe-gegen-monika-gruber-a-923ef931-3071-4c4f-8f9b-147e613cf4b8)
Man muss sich fragen, wie ein solcher Mangel an politischer Sensibilität mit einem Verlag zu vereinbaren ist, der nach eigener Aussage für Meinungsvielfalt und Toleranz steht. Werden solche Grenzüberschreitungen nun also auch in der Buchbranche üblich? Man muss dem Neuen Jahr mit Besorgnis entgegen sehen.
Trotzdem soll am Ende dieses Rückblicks etwas Gutes stehen. 2023 war ein herausforderndes schwieriges und in zahlreichen Belangen trauriges Jahr. Umso größer der Dank an alle Autor:innen und Verlage, die uns in diesen Zeiten Hoffnung und Trost und Perspektiven zeigen.
Liebe Britta, DANKE für Deinen gehaltvollen Rückblick. Dass wir in Sachen Indie-Verlag ähnliche Präferenzen haben, hatten wir ja schonmal festgestellt, daher unterschreibe ich Deinen Aufruf. DANKE auch für den Hinweis auf den Skandal um Monika Grubers Buch und die rassistische Diffamierung einer Bloggerin. Das hatte ich bisher nicht mitbekommen. Und das ist wirklich unglaublich. Es ist eine Sache, Monika Gruber überhaupt eine Plattform zu bieten. Aber in der Art und Weise eine Bloggerin zu bashen und dies auch noch zu veröffentlichen lässt mich wirklich fassungslos zurück. Da hätte ich doch vom Piper Verlag mehr Professionalität und Sensibilität erwartet. Du hast völlig recht, die rechte Gesinnung greift immer mehr um sich. Ich wünsche dir trotzdem ein schönes neues Jahr! Liebe Grüße, Eva