Die gesellschaftspolitischen Debatten um den weiblichen Busen sorgen auch heute noch regelmäßig für erhitzte Gemüter. Immer geht es dabei um die Frage der Sichtbarkeit. Mal wird ein Busenverbot gefordert, mal wird der gleichberechtigte Wunsch nach mehr Freiheit für die Brust reklamiert. Die Schlagzeilen, die die Boulvardmedien verbreiten, sind dabei meist widersprüchlich und spiegeln eine Kontroverse, die seit Jahrhunderten andauert.
Anja Zimmermann liefert nun mit ihrem Sachbuch „Brust. Geschichte eines politischen Körperteils“ eine fundierte kulturgeschichtliche Gesamtdarstellung. Sie zeigt, wie die weibliche Brust bis in unsere Zeit hinein regelmäßig instrumentalisiert wurde und wird, um den Begriff der Weiblichkeit generell zu definieren.
Zimmermann geht dabei sehr systematisch vor, um die Fülle der Fakten zunächst chronologisch dann aber auch ideologisch zu sortieren.
Ausgehend von der Frage, woher die Narrative eigentlich stammen, die bis heute die Debatten bestimmen, widmet sie sich sehr ausführlich zahlreichen historischen Quellen. Schon früh wird die Widersprüchlichkeit sichtbar, mit der die weibliche Brust bewertet wurde. Die Religion instrumentalisierte die Darstellung der weiblichen Brust, um ihr Werteverständnis von Tugend und Sünde zu verbildlichen. Die Kunst nahm diese Narrative auf und tradierte sie weiter. Zimmermann zeigt, wie diese Stereotypen tatsächlich bis heute wirken. Mit Hilfe umfangreicher Quellen macht Zimmermann Zusammenhänge zwischen Bild und Machtpolitik sichtbar, legt komplexe Verflechtungen offen und präsentiert uns jahrhundertalte Missverständnisse.
Dem Lauf der Geschichte folgend zeigt sie wie der Kampf um die Deutungshoheit mit dem Feminismus eine neue Wendung erfuhr. Anhand zahlreicher Beispiele führt sie vor, wie gerade Künstlerinnen aber auch Aktivistinnen mit ihrer Darstellung weiblicher Brüste das Thema für ihre Ziele nutzen. So wird die Brust bzw. ihre Darstellung auch unter wechselnden Vorzeichen immer wieder aufs Neue politisch vereinnahmt.
Zimmerman hat eine beeindruckende Fülle an Fakten zusammengetragen, die sie sehr strukturiert präsentiert. Trotz der Bannbreite an Themen und Fragen sind die von ihr gezeigten Zusammenhänge immer gut nachvollziehbar dargestellt. Sie erschließt ihrer Leserschaft spannende neue Einblicke, wobei sie immer wissenschaftlich neutral in ihrer Sprache und sachlich in ihrer Darstellung bleibt.
Fazit: Selten habe ich so ein spannendes Sachbuch gelesen. Große Empfehlung!
- Autorin: Anja Zimmermann
- Titel: Brust. Geschichte eines politischen Körperteils
- Verlag: Verlag Klaus Wagenbach
- Erschienen: September 2023
- Einband: Gebundene Ausgabe
- Seiten: 240 Seiten
- ISBN: 978-3803137326
Wertung: 13/15 dpt