Jenny Erpenbeck – Über Christine Lavant (Buch)


Jenny Erpenbeck hat mit ihrem biografischen Porträt über die österreichische Ausnahme-Lyrikerin Christine Lavant eine sehr persönliche Annäherung an eine Künstlerin geschrieben, deren Lebensgeschichte allein uns alle bereits staunen macht.

Als neuntes Kind eines Bergarbeiters und einer Flickschneiderin kommt sie 1915 in unvorstellbar ärmlichen Verhältnissen zur Welt. Die Familie lebt in einem einzigen Raum. Die kleine Christine ist von Geburt an so kränklich, dass sie mehrere Male fast stirbt und ein Leben lang unter ihrer fragilen Gesundheit leidet. Als Mädchen, in einer ländlichen Umgebung, ohne besondere Schulbildung, sind ihre Zukunftsaussichten extrem beschränkt. Ein Leben in Armut ist ihr nahezu vorbestimmt. Dass es der jungen Frau trotzdem gelingt zur Schriftstllerin zu werden, erscheint wie ein Wunder.

Immer wieder klingt in Erpenbecks Darstellung die persönliche Verbundenheit an, die die Autorin zu der berühmten Lyrikerin empfindet. Die erste Begegnung, so berichtet sie, geschah spät und eher zufällig.

_ Weil ich damals noch nicht weiß, wer Christine Lavant war, schenkt er [mein Mann] mir den Gedichtband „Spindel im Mond“. Und dann lese ich, dreißigjährig, zum ersten Mal, Gedichte der dreißigjährigen Christine Lavent. Seite 17

Ausgehend vom Werk beginnt Erpenbeck auch die Lebensgeschichte zu betrachten. Trotz aller Armut spielt in Christines Familie das Lesen eine große Rolle. Mutter und alle sechs Töchter lesen, was immer ihnen unter die Nase kommt. Das Lesen wird für Christine zunächst zum sicheren Zufluchtsort und später zum Ausgangspunkt eigenen Schreibens.

Man kann nur erahnen, welche enorme Willenskraft in der Heranwachsenden stecken muss, um sich über alle diese enormen Hindernisse hinweg eine eigene künstlerische Identität zu erschaffen.

Lavant literarische Anfänge liegen in der Prosa. Zwischen 1935 und 45 lässte sie das Schreiben aber plötzlich völlig sein, um sich nach dem Krieg mit Lyrik besonders wirkungsvoll zurückzumelden. Erpenbeck übergibt an dieser Stelle Lavant selbst das Wort und lässt sie beschreiben, welches besondere Leseerlebnis für sie, die inzwischen bereits 30-jährige, zum Ausgangspunkt wurde, nachdem ihr eine Bibliothekarin einen Rilke-Band zugesteckt hatte. Erpenbeck zitiert nach einem 1968 gegebenen Radio-Interview für den Österreichischen Rundfunk.

… und ich hab eh nicht wollen, aber ich hab mich geniert zu sagen, dass ich Gedichte nicht mag, aber weil sie ja so eine nette Frau war, na, dann hab ich sie halt mitgenommen. Dann hab ich nachher heinegeshaut. In dem Moment wars wie … wie wenn ein Brunnen geschlagen würde. Ich hab gedichtet Tag und Nacht.Seite 23

Von da an steigt Lavants Bekanntheit, Veröffentlichungen folgen, ebenso die Literaturpreise.

Erpenbeck verbindet Lebensgeschichte und Werk sehr behutsam. Immer wieder lässt sie durch Zitate die berühmte Kollegin und deren Zeitzeugen berichten. Zahlreiche Details, die sie sorgfältig recherchiert hat, runden das Porträt ab.

Lavant muss schon zu Lebzeiten ihrer Umgebung wie eine Exotin erschienen sein. Ihrem Erscheinungsbild und Lebensstil nach bleibt sie der einfachen regionalen Herkunft treu. Nur eine einzige Auslandsreise hat sie je gemacht. Trotzdem ist sie als Interlektuelle eine anerkannte Gesprächspartnerin, die regen Austausch mit berühmten Geistesgrößen ihrer Zeit pflegt.

Erpenbeck begegnet in ihrer differenzierten Darstellung der österreichischen Dichterin mit großer Ehrfurcht und viel Empathie. Es entsteht das Bild einer faszinierenden Frau, einer mutigen und kraftvollen Künstlerin, die im Privaten mit vielen Tragodien umgehen muss.

Mit ca. 140 Seiten inklusive Quellenangaben und biografischem Abriss gewährt die Autorin einen leichten Zugang ohne oberflächig zu sein. Dieses Buch ist eine ideale Einladung, um sich direkt mit dem Werk Christine Lavants zu beschäftigen. Klare Leseempfehlung!

  • Autorin: Jenny Erpenbeck
  • Titel: Über Christine Lavant
  • Verlag: Kiepenheuer&Witsch
  • Erschienen: August 2023
  • Einband: Gebundene Ausgabe
  • Seiten: 160 Seiten
  • ISBN: 978-3462004687

Wertung: 12/15 dpt


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