Beziehungen in Büchern und Filmen unterscheiden sich stark von der Realität.
Konflikte sind dramatischer, Sex leidenschaftlicher, es gibt niemanden außer den Love-Interest und die größten Beziehungsprobleme könnten durch Kommunikation gelöst werden – sofern es davor aber erst unnötige Probleme und heißen Wut-Sex gab. Dann gibt’s ein Happy End und alle leben glücklich und zufrieden entsprechend ihrer Geschlechterstereotypen. Und das finde ich furchtbar langweilig, vorhersehbar und sogar gefährlich, wenn toxische Ideale (Colleen Hoover, *hust hust*) idealisiert werden. Wieso aber habe ich mir dann überhaupt “Normal People” angesehen – eine Serie, die eindeutig als Romanze beworben wurde? Weiß ich nicht, aber ich bereue es nicht. “Normal People” ist eine Adaption des Romans “Normal People” von Sally Rooney – einer irischen Autorin.
Marianne und Connell gehen gemeinsam zur Schule – während Marianne von ihren Schulkamerad*innen rücksichtslos gemobbt wird, ist Connell der Fußballstar seiner Schule. Im letzten Schuljahr fangen sie eine geheime Affäre an, nachdem Connell seine Mutter abholt, die im Anwesen Mariannes Familie putzt. Beide hatten schon seit langer Zeit einen Crush aufeinander und schnell fangen sie an, miteinander zu schlafen. Connell aber möchte sein Verhältnis zu Marianne geheim halten – zu groß ist seine Angst vor Sticheleien und Ausgrenzung, weswegen er Marianne auch nicht vor Mobbing-Attacken schützt. Marianne gibt sich mit dieser Situation zufrieden – sie denkt (auch aufgrund ihrer Misshandlung zuhause), dass sie nichts bessere verdient hat. Nachdem Connell aber mit einer beliebten Schülerin zusammen kommt, trennt sich Marianne von ihm.
Später treffen sie im Trinity-College aufeinander – einer Exelenzuni in Irland. Anders als Marianne findet Connell keinen Zugang zu seinen Kommiliton*innen und wird immer depressiver, ehe er sich wieder mit Marianne regelmäßig trifft und dabei zusieht, wie sie sich von einer gewaltvollen Beziehung in die nächste schwingt. Therapie ist das, was Connell dann auch wieder Halt gibt.
“Normal People” hat etwas gemacht, das ich so vorher noch nicht gesehen habe: Nicht nur wurde respektvoll und empathisch mit Mental Health umgegangen, sondern auch gezeigt, wie Mental Health-Probleme Beziehungen beeinflussen kann. So leidet Connell unter sozialen Ängsten, die sich auch in Panikattacken hochschaukeln können, weswegen er Schwierigkeiten damit hat, Anschluss und Freunde zu finden. Marianne wiederum hat trotz ihrer ausgezeichneten akademischen Erfolge massive Selbstwertprobleme, weswegen sie sich in Beziehungen stürzt, in denen sie beleidigt, misshandelt und missbraucht wird.
Beide können ihre Perspektiven und Probleme nicht kommunizieren – sie haben während ihrer Beziehungen auch kaum wirklich miteinander gesprochen und stattdessen (sehr viel!) Sex miteinander gehabt. Erst mit der Zeit (und Therapie) lernen Connell und Marianne langsam, sich gegenseitig zu öffnen und zu verstehen, wieso sie so ticken, wie sie es tun.
Das hat diese Serie auch so wertvoll für mich gemacht – statt dass die Figuren einen Schaden um des Schadens willen haben und von ihrem Love Interest “gerettet” werden müssen, wurde gezeigt, wie psychische Krankheiten und toxische Familienbeziehungen die Erfahrungen und das Handeln von Menschen beeinflusst – und wie Heilung aussehen kann. Das unter anderem mit Therapie, aber auch mit Freundschaften und Liebe, die Halt geben können.
Schade fand ich aber, wie BDSM (oder eine verkürzte und lückenhafte Darstellung dessen) genutzt wurde, um die gewaltvollen Beziehungen zu verdeutlichen, in denen sich Marianne befand. So wurde BDSM von Männern dazu genutzt, um Marianne zu unterdrücken, aber auch Marianne einen Output für ihren mangelnden Selbstwert zu geben, in dem sich ihr Selbsthass verdeutlichte. BDSM ist eine Sex- oder Beziehungspraktik, in der es zum Spiel zwischen Schmerz und Lust kommen kann, aber gerade klar geregelte Beziehungsdynamiken im Vordergrund stehen. Gewaltvoller Sex ist dadurch nicht automatisch BDSM, da die Sexpraktiken immer mit klaren Regeln und Safe Words verbunden sind. Dadurch hat gerade die submissive Person am meisten Macht, da nicht nur ihr Wohlbefinden im Vordergrund steht, sondern auch ihre Grenzen eindeutig eingehalten werden müssen.
Das war in “Normal People” zu keiner Zeit der Fall.
Insgesamt ist “Normal People” eine Serie, die ich aufgrund ihres sensiblen und respektvollen Umgang mit Mental Health und ihren Auswirkungen auf Beziehungen empfehlen möchte. Nicht nur wurde gezeigt, wie unsichtbar der Kampf mit psychischen Krankheiten ist, sondern auch wie Heilung aussehen kann.
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- Titel: Normal People
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- Produktionsland und -jahr: USA, 2019
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- Genre: Liebe, Drama
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- Erschienen: 26. April 2020
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- Spielzeit: 26 Minuten, 12 Folgen
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- Darsteller: Daisy Edgar-Jones, Paul Mescal, Éanna Hardwicke, Sarah Greene, India Mullen
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- Regie: Lenny Abrahamson, Hettie Macdonald
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- Kamera: Suzie Lavelle, Kate McCullough
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- Musik: Stephen Rennicks
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- Sprachen/Ton: Deutsch, Englisch
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- FSK: 16
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- Sonstige Informationen:
Streaming auf ZDF
- Sonstige Informationen:
Wertung: 12/15 dpt
Ich habe die Serie letztes Jahr in der Mediathek des ZDF gesehen und jetzt wieder im März zum zweiten Mal. Zwischendurch hatte ich mir das Buch besorgt und letztendlich nach Rezensionen geforscht, um zu überprüfen, ob mein Eindruck von einer Mehrheit geteilt wird.
Zum Buch: wenn man die Serie aufmerksam geshen hat, kann man die Dialoge beim Lesen schon fast auswendig herbeten. Kein Wunder, denn Autorin Sally Rooney hat entscheidend am Drehbuch mitgewirkt.
Die Kritik, die ich jetzt hier gefunden habe, deckt sich in nahezu allen Punkten mit meiner Beurteilung. Es ist vor allem – im Gegensatz zu anderen Kritiken – der respektvolle und genau geschilderte Umgang mit Mental health, der hier betont wird und einen wirklichen Schwerpunkt der Geschichte bildet. Das kann man nicht genug loben und das macht die Serie so wertvoll geradezu mit Vorbildcharakter. Das gilt auch für die Darstellung der sexuellen Beziehung zwischen Marianne und Connell. Für mich unverständlich die 22 Uhr- Regelung in der ZDF-Mediathek mit dem angeblichen Jugendschutzmotiv, wobei Szenen einfach rausgeschnitten wurden. Selbst der Part mit den BDSM Beiehungen rechtfertigt das nicht. Dass dieser Abschnitt die einzige leichte Schwäche der Serie darstellt, darin folge ich der Autorin der Rezension, auch wenn ich kein Experte in der dazugehörigen Beziehungspsychologie bin.
Wer die “Converstions with friends” noch nicht kennt, sollte sich den Erstling von Sally Rooney nicht entgehen lassen. Auch verfilmt als 12-teilige Serie und als Buch bei Luchterhand erhältlich. Leider sind beide Serien in den letzten beiden Tagen aus der ZDF Mediathek abgesetzt worden. Es lohnt sich auf jeden Fall, auch wenn die Hauptfiguren der “Conversations” für mein Empfinden noch mehr “normal” als die doch charismatische Marianne und ihr Freund Connell sind.