John Sanford – Die Menschen vom Himmel (Buch)


© Edition Tiamat

Sie heißen Edom Smead. Ash Harned. Anna Mae Hustis (gest. 1939). Eli Bishop. Sie haben viele Namen. Und sie leben alle in einer gottverlassenen Stadt irgendwo in den Staaten, die es nicht wert ist, genannt zu werden.

Sie mögen keine Fremden. Oder vielleicht ist es nur die lauteste Stimme die schreit, dass sie keine Fremden mag, sodass die Anderen einfach nicht zu Wort kommen.

America Smith ist fremd. Sie ist Schwarz. Ihr Aussehen provoziert, obwohl sie nichts tut außer aussehen.

Einer ist zu einem Achtel Indianer. Auch er soll wieder fremd gemacht werden. Und plötzlich gibt es da noch einen Juden. Der sollte sowieso fremd gemacht werden. Alle in einer Parade zusammengestellt, um darauf zu zeigen, dass sie nicht hierhin gehören.

Es gab einmal ein Land, das einfach nur war. Dann kamen eines Tages Männer. Sie redeten. Von Gott und vom Himmel, was ihnen den Namen „Menschen vom Himmel“ einbrachte. Sie predigten und beteten und glaubten selbst nicht mehr an das, was sie verkauften. Und stellten sich doch längst schon gegen ihren Gott, der nichts als ein kleines Bürschchen war.

Sie brachten Fremde mit. 22 an der Zahl. Sie waren Schwarz. Und die anderen, die waren auch nicht weiß. Doch der weiße Mann glaubte. Wenn nicht an seinen Gott, dann an sich selbst und seine Fähigkeit, die Welt untertan zu machen.

Dies ist die Geschichte eines verrottenden Landes namens Amerika.

Es gibt Bücher, die sind gut. Und es gibt Bücher, die sind eine Offenbarung. „Die Menschen vom Himmel“ ist eine Offenbarung.

1943 verfasst, hat John Sanford ein Werk geschaffen, das verblüfft, sprachlos macht, die Zähne zusammenbeißen lässt. Es ist ein Werk, das inhaltlich wie sprachlich solch eine Naturgewalt darstellt, dass es nicht übertrieben ist, wenn man behauptet: Dieses Buch gehört zu den bedeutendsten der amerikanischen Literatur.

Woran liegt´s?

John Sanford hat eine Handlung kreiert, die die amerikanische Geschichte in vollem Umfang kritisiert. Ein Staat, der auf Rassismus und Sexismus gegründet wurde, bekommt hier die Abrechnung, die er seit Jahrhunderten noch nicht beglichen hat.

Dabei geschieht dies in zwei Parallelen: Die vorwiegende Handlung ist gegenwärtig (1943) und zeigt das Zusammenleben in der Kleinstadt Warrensburg auf. Dieses Zusammenleben ist geprägt von gegenseitigem Misstrauen. Hier gehen die Männer zur immer gleichen Hure. Hier träumt der Eine von der Frau des anderen, während es sich ein wieder anderer zur Aufgabe gemacht hat, hundert zu werden. Hier schwängert ein Vater seine Tochter. Hier sorgt einer für schlechte Stimmung. Er hetzt. Und er provoziert. Er vergewaltigt. Und er kommt davon. Immer sind es die Anführertypen, die für schlechte Stimmung sorgen.

Parallel dokumentiert Sanford die Chronik der amerikanischen Geschichte von 1492 bis zur Gegenwart. Und dies geschieht auf so kreative Weise, dass jedes Kapitel eine wahre Entdeckung ist.

Wie Gedichte und Epen werden Reisen über das Meer beschrieben. Oder Anklageschriften gegen die europäischen Unterdrücker. Manche Passagen lesen sich wie Psalmen, gewaltvoll, verbittert. Besonders eindrucksvoll erscheint der Dialog zwischen Gott und einem Cowboy, der sich in seiner Männlichkeit von niemandem unterdrücken lässt:

„Aus welchem Grund spuckst du auf deine Schwielen, Bürschchen?

Sagt einmal Mister, Mister…, und gebt Fersengeld!

Ich bin Gott, der Allmächtige, Bürschchen, und bitte um etwas Respekt!

Eins, Mister…!

Du würdest keinen kranken alten Mann verprügeln, Bürschchen, oder?

Zwei, Mister…!

Ich hab meinen eigenen Gott, Bürschchen, und er wäre gekränkt.

Drei, Mister…!

Nun ja, wenn es dich glücklich macht – Mister!

Mach, dass du Land gewinnst, Bürschchen!“

Hat Gott zu Beginn einen deutlich höheren Redeanteil und verfügt er über mehr Sprachgewalt und Drohungen gegen den Menschen, so kippt im Laufe dieses Dialogs inhaltlich als auch formal das Ungleichgewicht zugunsten des Mannes, der sich Ihm widersetzt, bis hin zu dem Punkt, an dem der Mensch sich über Gott stellt.

Sprachlich ist das Buch ein Lesegenuss. Das liegt zum Einen an den unerreicht guten Metaphern, die überall im Text eingesät sind und die Lektüre zu einem bildgewaltigen Ereignis werden lassen. Zum Anderen besteht der Roman hauptsächlich aus Dialogen. Und da jagt ein Schlagabtausch den nächsten:

Wir sollten sie alle mit dem Schiff zurück nach Afrika schicken, sagte er.

Bin überrascht, dass du sie nicht zurück schwimmen lassen willst, sagte sie.“

Oder:

Wenn das Haus mir wäre, Emerson, sagte Polk, würde ich dieser Frau so schnell einen Räumungsbescheid zustellen lassen, dass die Druckfarbe in der Luft hängen bleibt.

Du denkst nicht besonders gründlich nach, sagte Polhemus. Sie bezahlt ihre Miete so regelmäßig, wie du deine Unterhosen wechselt, und das ist einmal im Monat.“

Fazit

„Die Menschen vom Himmel“ ist schonungslos. Wer hofft, dass John Sanford einmal die Augen verschließt vor den Verbrechen, die in einem Amerika geschehen, welches sich als moralisch überlegen versteht, der wird enttäuscht. Mit brutaler Klarsicht zeigt der jüdische Autor, der sich offen zum Kommunismus bekannte, alle Missstände auf, die mit dem ersten europäischen Fuß auf amerikanischen Boden in das Land eingetrampelt sind.

„Die Menschen vom Himmel“ ist aktuell. Trotz seines achtzigjährigen Bestehens hat die Lektüre nicht eines Satzes seiner Aktualität verloren. Bis heute herrschen Rassismus und Sexismus in den USA sowie in sämtlichen Ländern dieser Welt vor. Anders als die Realität findet Sanford sogar ein Ende, das sich utopisch von unserer Gegenwart abhebt.

„Die Menschen vom Himmel“ ist ein literarisches Ereignis. Die Seiten wirken wie ein Raum, in dem sich ein begnadeter Autor ausgetobt hat, um sich Luft zu machen. Der Spiegel, den er vorhält, ist verziert von solch ästhetischen Beispielen, dass die Anklage darin fast untergehen könnte, wäre sie nicht so brutal.

John Sanford – man muss nicht nach Amerika reisen, um Amerika zu entdecken. Mit diesem Roman lernt man mehr über das Land der unbegrenzten Möglichkeiten kennen, als jedes Flugticket es ermöglichen könnte.

DAS literarische Highlight des Jahres!

  • Autor: John Sanford
  • Titel: Die Menschen vom Himmel
  • Verlag: Edition Tiamat
  • Umfang: 280 Seiten
  • Einband: Taschenbuch
  • Erschienen: 28. August 2023
  • ISBN: 978-3-89320-305-5
  • Produktseite

Wertung: 15/15 dpt


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