Carl Nixon – Rocking Horse Road (Buch)


Wer ermordete Lucy Asher?

Rocking Horse Road
© btb

Eigentlich steht Weihnachten vor der Tür, doch plötzlich gerät die Welt für eine Gruppe fünfzehnjähriger Schüler der South Brighton High School aus den Fugen. Pete Marshall findet am Strand von The Split, einer schmalen Landzunge von Christchurch, die Leiche der siebzehnjährigen Lucy Asher. Diese liegt nackt am Strand, wurde, wie sich schnell herausstellt, sexuell missbraucht und erwürgt, allerdings an einem anderen Ort. Schließlich musste ihr Mörder sie in den Kanal geworfen haben, wo sie – medizinisch betrachtet – ertrank, bevor ihre Leiche Stunden später angespült wurde. Senior Sergeant Bill Harbidge, der unter der Trennung von seiner Frau leidet, sie brannte mit dem örtlichen Metzger durch, übernimmt die Ermittlungen, die bald im Sande verlaufen; um im Bild zu bleiben. Spuren gibt es keine, denn dafür lag Lucy bereits zu lange im Wasser. Wir schreiben den 21. Dezember 1980, von DNA-Spuren und anderen heute selbstverständlichen Ermittlungsmethoden ist noch keine Rede.

Wenige Wochen später. Es ist der 27. Februar 1981, da wird ein elfjähriges Mädchen auf ihrem Schulheimweg von einem Fremden in ein Gebüsch gezerrt und hat Glück, dass ihre gleichaltrige Freundin dabei ist und geistesgegenwärtig um Hilfe schreit, so dass der unbekannte Mann von ihr ablässt. Die Nerven an der Rocking Horse Road, die auf The Split entlangführt, liegen blank, Eltern gründen eine Bürgerwehr, die nächtlich patrouilliert. Und noch aus einem anderen Grund geht es, ein Jahr später, hoch her. Die Springboks aus Südafrika sollen im Juli zu einer Länderspielserie gegen die All Blacks antreten. Gegen keine andere Nation hat das neuseeländische Rugbyteam öfter verloren als gewonnen. Doch die Springboks stehen für Südafrika, dieses steht für Apartheid und so gibt es zahlreiche Stimmen, die die Spiele vehement ablehnen. Man dürfe stattlichem Rassismus keine Bühne bieten, sagen die einen, „Kommunistische Spinner“ rufen die anderen, schließlich gehe es lediglich um Rugby.

So ziehen die Jahre ins Land und nur jene damals fünfzehnjährigen Jungs, inzwischen Anfang vierzig Jahre alt, haben nie aufgegeben, Lucys Mörder zu finden.

Außergewöhnlich erzählter Plot

Carl Nixon, von dem in diesem Jahr, der auf der Krimibestenliste aufgeführte Roman „Kerbholz“, erschien, schrieb 2007 mit „Rocking Horse Road“ sein Debüt, der sich in verschiedene Kategorien einreihen lässt. Auffällig dabei sind „die Jungs“, jene fünfzehnjährigen, die zwei Klassen unter Lucy zur Schule gingen. Sie waren voll in der Pubertät, hatten noch keine eigenen sexuellen Erfahrungen, aber natürlich war das Thema allgegenwärtig. Lucy, bildhübsch, bediente oft im Milchgeschäft ihrer Eltern, wo die Jungs mehr einkauften als nötig gewesen wäre. Der brutale Mord stellte somit eine Zäsur in ihrem Leben dar, denn plötzlich war ihre bis dato unbeschwerte Jugend dahin. Um das Erlebnis zu verarbeiten, sammelten sie alle Informationen und Erinnerungen an Lucy, die sie auftreiben konnten. Jase Harbrigde, Sohn des Senior Sergeants, gehörte zu Ihnen und da dessen alter Herr nach dem Weggang seiner Frau mehr trank als ihm guttat, erzählte er oft im betrunkenen Zustand über die aktuellen Ermittlungsstände bei der Polizei.

Wenn sich der Sensemann so in der Tür vertun konnte, welche Hoffnung gab es dann für uns? Daran dachten wir, während der Priester alle Anwesenden begrüßte. Uns ging der Arsch auf Grundeis

Die Geschichte wird aus der Sicht von Jase, Al Penny, Matt Templeton, Pete Marshall (der die Leiche fand) und anderen erzählt. Interessanterweise wechselt dabei nie die Perspektive, die Erzähler sind immer die Jugendlichen respektive die alternden Männer rund siebenundzwanzig Jahre später. Man erzählt als „Wir“. Da die Geschichte bis in das nächste Jahrhundert hineinreicht, stellen sich Fragen, beispielsweise ob es denn spannend zu lesen ist, da doch die Auflösung, wenn überhaupt, erst sehr spät erfolgt. Wer einen (klassischen) Krimi mit strengem Ermittlungsstrang sucht, greift hier Fehl. „Rocking Horse Road“ bezieht seine Spannung aus dem Alter seiner Erzähler, so dass man vor allem von einem Coming-of-Age-Roman sprechen kann, denn aufgrund ihres Alters passieren Missgeschicke und Trugschlüsse. Und wie sollen sie überhaupt mehr erfahren als die Polizei? Nun ja, nicht jeder redet gerne und ausführlich mit den Gesetzeshütern.

Man erfährt, was in der Folge geschieht. So gerät zum Beispiel Mr. Asher, Lucys Vater, unter Verdacht, da er des Öfteren abends ins Wasser geht, um dort Gegenstände abtreiben zu lassen. Auch Lucys jüngere Schwester wird beobachtet, denn sie scheint mit dem Verlust nicht klarzukommen. Gerade vierzehn Jahre jung, sieht man sie zunehmend mit verschiedenen Jungs zusammen, später kommen Drogen ins Spiel. Und dann wäre ja noch die Rugbyserie, die das bis heute hoch aktuelle Thema Rassismus beleuchtet. Literarisch eindringlich und durchaus packend erzählt Carl Nixon eine ungewöhnliche Kriminalgeschichte, bei der es neben dem Krimiplot vor allem um Entwicklung und Gedankengänge pubertierender Teenager geht. Lesenswert! 

  • Autor: Carl Nixon
  • Titel: Rocking Horse Road
  • Originaltitel: Rocking Horse Road. Aus dem Englischen von Stefan Weidle
  • Verlag: btb
  • Umfang: 239 Seiten
  • Einband: Taschenbuch
  • Erschienen: Juni 2014
  • ISBN: 978-3-442-74738-2


Wertung: 11/15 dpt


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