Antigone (Aufführung)

Wenn wir alte Stücke in die Moderne holen, kann viel Wunderbares passieren: Der wertvolle Kern von Klassikern kann gerade für die zugänglicher gemacht werden, die sonst keine Berührungspunkte mit den Werken haben würden, die Klassiker können aus einer neuen Perspektive interpretiert werden und die Werke können eine neue Perspektive für moderne Ereignisse bieten.

Stadttheater Heidelberg

Dabei gibt es kaum Grenzen für die heutigen Theatermachenden, die Klassiker auf die Bühne zu holen – Shakespear und Brecht als Rockoper? Wieso nicht! Franz Kafkas “Das Urteil” als Ein-Personen-Aufführung? Sehr spannend! “Antigone” als fetzige Rebellin-Prinzessin mit Olivia Rodrigo-Musik im Hintergrund und Whatsapp-Chat auf eine LED-Leinwand projiziert? Eher nicht…

“Antigone” war (und ist noch) für viele Schullektüre und gilt als typischer Klassiker – ein Must-Read für alle, die gerne hochgestochen diskutieren. Das aber auch zu Recht, denn das Stück geht auf die Notwendigkeit von Protest ein und stellt Fragen nach dem guten Staat und wie Gerechtigkeit aussehen kann – selbst wenn diese gegen das geltende Gesetz geht. Gerade in Zeiten, in denen rechte Parteien wie die AfD an immer mehr Macht gewinnen und die Denazifizierung offensichtlich stellenweise gescheitert ist, ist es wichtig, Position zu beziehen und für Menschenrechte einzustehen – auch wenn es Konflikte mit Gesetzen und Normen kommt.

“Antigone”, welche in dieser Spielzeit im Stadttheater Heidelberg aufgeführt wird, positioniert sich eindeutig gegen  die Radikalität, Starrheit und die uneingeschränkte Macht eines unanfechtbaren Herrschers.

Im Stück selbst geht es darum, dass ihre Brüder im Duell gegeneinander gestorben sind und so ihre Tante Kreon Herrscherin ihres Landes wurde. Leider soll nur einer der Brüder ordentlich bestattet werden, um dem Volkswillen entgegenzukommen, was bedeutet, dass der andere Bruder Würdelos auf dem Schlachtfeld verwesen und von Tieren gefressen wird. Seine Seele würde so niemals die Welt verlassen können.

Antigone kann mit dieser Ungerechtigkeit nicht leben und kämpft dafür, ihren Bruder zu bestatten. So zieht sie den Zorn ihrer Tante auf sich, die sich in ihrer Autorität und Herrschaft bedroht fühlt. Währenddessen wird ihre Schwester Ismere dazu gezwungen, sich zu positionieren – soll dem Gesetz gefolgt werden, obwohl es ungerecht ist oder für die Gerechtigkeit gekämpft werden, obwohl so Antigones und ihr Leben auf dem Spiel steht?

In der Aufführung selbst wurde aber schnell klar, dass das Stück an Schüler*innen gerichtet ist – was aber nicht wirklich geklappt hat.

Das größte Problem des Stückes ist, dass es eine Zuschauerschaft erreichen möchte, dass es nicht versteht. So wurde Antigone als Rebellin dargestellt, die sich nichts gefallen ließ, auf Boxsäcke haute, zu Rockmusik abging, während sie von Ismere für eine Art Livestream gefilmt wurde. Zwischen den Akten wurden Title Cards in fetzigen Farben gezeigt und von Rockmusik untermalt, die gerade auf TikTok trendet. Kreon währenddessen las Whatsapp-Nachrichten die auf beweglichen LED-Leinwänden projiziert wurden und seine Entscheidungen beeinflussten.

Stellenweise wurde das Stück hin und wieder unterbrochen, um Fragen an das Publikum zu stellen, die mit Ja-, Nein-, Unentschieden-Kärtchen beantwortet werden sollten. Zu diesen Fragen gehörten: “Hat Antigone richtig gehandelt?”, “Darf man seine Meinung ändern?” oder “Hat Kreon richtig gehandelt?” was doch recht flache Fragen sind. Zum Glück wurde aber auch mal gefragt, ob man das Gesetz brechen dürfte, um einen Freund zu helfen… Also sehr verschulte Fragen, auf die einfache Fragen gegeben werden sollen, die später mit der*dem Deutschlehrer*in besprochen werden sollen. Die Antworten der Zuschauer haben das aufgeführte Ende mitbestimmt – es gab denentsprechend ein Happy End, ein neutrales Ende und den Tod für Antigone.

Statt ein Stück aufzuführen, dass die Lebensrealität und Perspektiven von Jugendlichen aufgreift und dadurch “Antigone” nahbarer macht, wurde durch Gimmicks und aufgeschnappte Trends versucht, “Antigone” cool zu machen. Das Blöde aber ist, dass das Stück dadurch nicht cool wurde, sondern Cringe – also Fremdscham erregend.

Dabei hatte die Aufführung so viel zu bieten! Social Media im Theater ist ein spannender Trend, der richtig gut in Stücke eingebunden werden kann, wenn es nicht einfach nur ein Gimmick ist. Antigone als Rebellin hätte cool sein können, wenn das nicht immer so aufgesetzt gewesen wäre. Es wurde richtig spannend mit den Kostümen gespielt – konservatives (Polizei und AfD-) Blau für die autoritäre Kreon, neutrales Grün für Ismere als gemäßigt Positionierte und ein linkes Rot für die rebellische Antigone, die einen gesellschaftlichen Wandeln will.

Obwohl die Aufführung für mich nicht gelungen ist, hat das Stück etwas mit den Zuschauenden gemacht: Viele saßen gespannt in ihren Sitzen und haben eifrig während den Fragerunden geflüstert. Nach der Aufführung haben viele Menschen miteinander eifrig diskutiert und sich gefragt, wo man die Erfahrungen vom Stück heute noch findet.

“Antigone” hat so doch noch etwas mit den Zuschauenden gemacht.

 

    • Titel: Antigone – sehr frei nach Sophokles
    • Produktionsland und -jahr: Deutschland, 2023, Winterspielzeit
    • Genre: Politthriller, Spannung
    • Erschienen: 17. 09.2023
    • Spielzeit: 1 Stunde
    • Darsteller: Patricia Schäfer, Katharina Kessler, Tabea Mewis
    • Regie: Natascha Kalmbach
    • Bühne und Kostüm: Ken Chinea
    • Sonstige Informationen:
      Tickets und weitere Informationen

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Wertung: 8/15 dpt



 

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