Alternativ #8 – Lest und protestiert!

Bilder, Theater, Filme und Literatur sind Protest.

Schnell heißt es, dass es reicht, Spaß an einer Geschichte zu haben und man doch nicht immer so viel in Handlungen und Darstellungen interpretieren muss. Kann man nicht einmal einfach Freude an etwas haben, ohne es zu politisieren?! Das Problem ist, dass alles, was wir sehen und hören, politisch ist. Es ist sogar geradeheraus gefährlich, Kunst als nicht-politisch zu betrachten.

Geschichten schaffen neue Realitäten, alternative Wirklichkeiten und zeigen, egal wie fantastisch die Geschichte ist, was möglich sein könnte. Durch diese geschaffenen Möglichkeiten sind Geschichten politisch und auch ein Protest gegen herrschende Normen sein: Zum einen durch ihre reine Existenz und zum anderen durch die Inhalte, die sie vermitteln können, indem sie dadurch Gegenöffentlichkeit schaffen. 

Protest ist die Erfahrung eines Gemeinsamen, ein Bruch des Alltäglichen, die Erschaffung eines eigenen Raumes und das kurze Erleben einer Utopie – sprich etwas, das eine Welt abseits unserer Normen schafft. Diese Erfahrungen, die gesammelt werden können, werden ins Leben mitgenommen, beeinflussen das tägliche Handeln und können so gesellschaftliche Veränderungen bringen – schließlich erhält man neue Perspektiven! 

Nicht nur CSDs (Christopher Street Days), Montagsdemonstrationen, das Festkleben auf der Straße oder “Spaziergänge” während Corona sind so Proteste:  Protest ist auch das Existieren von Werken, die nicht der Norm entsprechen und Realitäte schaffen, die unsere Norm hinterfragen – darunter LGBTIQA+ (kurz: queer) Geschichten, Geschichten, die die Wirklichkeit rassifizierter Menschen aufgreifen und Geschichten mit Menschen mit Behinderung als ernstzunehmende Hauptfiguren. Denn dadurch wird Gegenöffentlichkeit geschaffen. 

Gegenöffentlichkeit ist das Sichtbarmachen von den Realitäten und Perspektiven, die nicht den gewohnten Geschichten und Normen entsprechen, um so den Diskurs (oder Medien und die mediale Darstellung von Lebenswelten) zu demokratisieren. Dazu gehört beispielsweise auch, dass in Liebesromanen nicht immer die gleichen Beziehungsmodelle gezeigt werden, sondern auch queere Personen oder Personen unterschiedlicher Ethnie, Menschen mit Behinderungen oder sogar Polyamorie und freundschaftliche Liebe eine gleichwertige Möglichkeit darstellen. Diese Darstellung alternativer Möglichkeiten – das, was es neben der “Norm” gibt (der “normalen” Heterobeziehung beispielsweise), aber auch linke Medien oder Berichterstattung zu Ereignissen, die gerade nicht gesellschaftlich als relevant betrachtet werden, gehören auch dazu,

Wie genau Gegenöffentlichkeit und Protest aussieht, wird in Büchern wie “Loveless” von Alice Oseman und “I Kissed Shara Wheeler” von Casey McQuiston klar.

Beide Bücher wurden von queeren Autor*innen geschrieben und handeln von queeren Figuren, die ihre queere Identität entdecken und sich in heteronormativen Gesellschaften behaupten müssen. Während Georgina in “Loveless” herausfindet, dass sie asexuell und aromantisch ist und sich gegen Diskriminierung und Vorurteile gegen Aspec* (Sammelbegriff zum asexuellen und aromantischen Spektrum) wehren lernt, ist Chloe in “I Kissed Shara Wheeler” das bisexuelle Kind von lesbischen Müttern in einer amerikanischen, christlichen Kleinstadt an einer christlichen Highschool und lernt langsam, welche Narben das religiöse Trauma in ihr und anderen queeren Mitschüler*innen hinterlassen hat. 

In “Loveless” wird Georgina mit der Situation konfrontiert, “komisch” zu sein. Alle ihre Klassenkameraden hatten bereits Sex, haben rumgemacht oder waren zumindest einmal schon verliebt. Und obwohl Georgina “Liebe liebt” und total auf Romantik steht, merkt sie kurz vor dem College, dass sie doch etwas anders tickt als die anderen. Gefangen zwischen ihrem krampfhaften Versuch, sich doch zu verlieben, zu daten und Sex zu haben, lernt sie sich doch langsam als asexuell und aromantisch zu akzeptieren. 

Durch Georgina zeigt Alice Oseman, wie verwirrend, aber auch wichtig, der innere und äußere Coming-Out Prozess ist, mit welchen Hürden und Stereotype queere Menschen konfrontiert werden und wie hart es ist, die eigene Identität zu verstehen. Dadurch schafft Alice Oseman die Möglichkeit überhaupt über die eigene Queerness und Identität, aber auch mögliche Comig-Outs nachzudenken, aber auch etwas über unterschiedliche Lebenswege zu erfahren. Durch “Loveless” wird aber die Utopie geschaffen, dass Queerness überhaupt eine Möglichkeit sein kann. Und man sieht, dass man nicht alleine mit der queeren Identität ist.

In “I Kissed Shara Wheeler” muss sich Chloe mit ihren lesbischen Müttern in einer kleinen, homophoben christlichen Kleinstadt behaupten. Dabei wird sie ständig an den Werten und Idealen ihrer konservativen Mitschüler*innen und Lehrpersonal gemessen und erlebt auch Mobbing. Erst als ihre “Nemesis” Shara Wheeler verschwindet (das perfekte weiße, blonde Mädchen, dass die Tochter des streng christlichen Rektors ist), lernt Chloe, dass sich doch mehr hinter der weißen, christlichen, hetero Fassade der Kleinstadt versteckt und die ständig erlebte christlich motivierte Homophobie doch tiefere Wunden in Chloe geschlagen hat, als sie zuerst dachte. Gemeinsam mit ihren neu gefundenen Freunden, fängt sie an, sich gegen das Mobbing ihrer Mitschüler*innen und Lehrer*innen zu wehren, indem sie gemeinsam eine Demo gegen ihre Highschool organisieren.

Beide Bücher haben Leben gezeigt, die gegen die Norm gehen. Sie haben gezeigt, wie der Kampf um die eigene Identität aussieht und wie man Heilung finden kann. Und dass man nicht allein mit dem anders-sein ist.  Dadurch schaffen sie nicht nur mit ihrer Existenz als queere Literatur Gegenöffentlichkeit, sondern auch durch ihre positive Darstellung von queeren Leben – auch wenn dies mit schweren Problemen verbunden ist. Solange offenes Queer-sein noch immer mit Gewalt beantwortet wird, Coming-Outs noch immer mit Angst verbunden sind und queere Menschen statistisch gesehen aufgrund der gesellschafltichen Queerfeindlichkeit öfter unter Mental Health-Problemen leiden, muss dieser Protest auch weiterhin stattfinden. Es wird aber auch klar gezeigt, in welcher Lebensrealität wir uns noch immer befinden. Ausgrenzung und Mobbing sind noch immer die Realität für queere Jugendliche, was so ihre mentale Gesundheit und ihre Schul- und Ausbildungslaufbahn stark negativ beeinflusst. Aber es wird auch gezeigt, wie diese Realität überwunden werden kann:  Mit viel Selbstbewusstsein und politischem Handeln.

Queere Literatur schafft so bereits durch ihre Existenz Gegenöffentlichkeit, da Queerness in Medien zwar kein vollkommen neues Phänomen ist (denkt an “Camilla”, “Buffy” und “Frankenstein”), trotzdem wurde Queerness erst in den letzten Jahren richtig Teil des Mainstreams (denkt an “Heartstopper”). Zusätzlich haben wir das Problem, dass obwohl Queerness keine neumodische Erfindung ist, Queerness erst durch die Entstehung und Etablierung neuer Begriffe wieder sichtbar geworden (etwa wie nicht-binärität, asexualität und transidentität – ähnliche Konzepte gibt es seit Jahrhunderten in vielen unterschiedlichen Kulturen und haben dort überlebt, wo Menschen durch den Kolonialismus verschont geblieben sind) ist. Jetzt wird von Ultra-Konservativen und Rechten gerne vom “Gender Gaga” gesprochen und das Thema Transgeschlechtlichkeit als Schlachtfeld für ihre Populismusstrategien missbraucht. Immerhin dürfen schwul-lebende Männer endlich Blutspenden (was bestimmt nicht daran liegt, dass uns das Blut in Krankenhäusern ausgeht ;)).

Diese Sichtbarkeit ist gerade in Zeiten wichtig, in der sich Rechte wie ein Blutegel gerade an Transgeschlechtlichkeit festgesaugt, um so verunsicherte Menschen (darunter gerade Radikalfeministi*innen) Angst vor Männern in Frauensaunas und Frauentoiletten zu machen.  Die positive, oder zumindest ehrlichere und reflektiertere Darstellung von queeren Wirklichkeiten sind somit ein Protest an der vermeintlichen “Norm”, die bisher in Bücherregalen zu finden ist und zeigt: Hier, es geht auch anders! Und genauso ist es gut!

Das ist ein krasser Unterschied zu Büchern, die zwar queere Figuren zeigen, dies aber wieder stereotyp und unreflektiert tun (der schwule beste Freund…). Durch diese Bücher wird es Realität, dass ein Leben abseits der “Norm” überhaupt möglich ist.

Es ist wichtig für unsere Demokratie, dass Kunst frei genug ist, um Gegenöffentlichkeit zuzulassen. Denn sobald Bücher und Filme in ihrer Freiheit eingeschränkt werden, unterschiedliche Perspektiven und Leben darzustellen, werden Menschen unsichtbar gemacht und unterdrückt. Gerade in Zeiten, in denen linke Magazine insolvent werden, die AfD Bürgermeister stellt und die Pressefreiheit in Deutschland wegen der Angriffe von Rechten sinkt, ist unsere Demokratie gefährdet.

Deswegen: Lest und protestiert!

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