László Carassin hat genug. Endgültig. Seit Jahren erfolglos in seinem Metier als Dichter beschließt er die Flucht. Mit einem Preisgeld von 7.500 Euro von der Sparkassen-Stiftung Celle-Gifhorn-Wolfsburg reist er halsüberkopf von Berlin an den Balaton zu seinem Onkel Bernát. Der hat einen großen Garten, in dem ein Wohnwagen steht. Mehr braucht man doch nicht als Ex-Schriftsteller, oder?
Michel Decar hat einen urkomischen und bedingungslos ehrlichen Roman über das Schreiben und das Verzweifeln an der eigenen Kunst geschrieben.
Mit trockenem Humor und schlagfertigen Dialogen begleitet er seinen Protagonisten László bei seinen vergeblichen Versuchen ein Ex-Schriftsteller zu werden. Denn eines ist von Anfang an klar: Schriftsteller zu sein ist kein Job, den man einfach so an den Nagel hängt. Das Schreiben haftet an ihm wie sein Sternzeichen.
Decar nutzt die Darstellung der prekären wirtschaftlichen Lebensumstände seiner Figur um eine bittere Satire auf die Realität künstlerischen Arbeitens und Lebens zu entwerfen. Lászlós Frust über die spießbürgerliche Kultur- und Förderpolitik bringt es auf den Punkt: Künstler:innen werden zu Almosenempfängern degradiert, bei denen es den Gebenden meistens mehr um ihr eigenes Image als um ehrliche Anerkennung von Kunst geht.
Decar jongliert wild mit allen Klischees, die man so über Künstlertypen kennt und bereitet dem Scheitern eine knallbunte Bühne: László ist realitätsfremd. Er kann nicht mit Geld umgehen. Er ist egozentrisch. Er übertreibt maßlos, egal was er tut. Er stürzt sich kopflos in alles hinein, ins Nichtstun, ins Tun, in seine Liebesbeziehungen.
Natürlich lacht man über László, der im Grunde nur die Nase voll davon hat, sich selbst noch etwas vorzumachen, und dabei dann doch nur in den nächsten Selbstbetrug stolpert. Aber gleichzeitig ahnt man: Nur so kann Kunst tatsächlich funktionnieren. Es braucht diese Selbstüberschätzung, den Größenwahn, der einen zur ständigen Selbstausbeutung treibt. Denn Kunst existiert weder für Anerkennung noch Geld oder Ruhm. Kunst existiert nur für sich selbst.
So verwandelt sich László von der Witzfigur in eine tragische Gestalt, einen Don Quixote, für den das Ringen um die Wahrhaftigkeit in der Kunst eine echte Lebensfrage darstellt, eine Herzensangelegenheit, die ihn immer weiter treibt. Decar manövriert seinen Protagonisten geschickt durch den Parcour der großen Fragen, ohne dabei die Anarchie des Lachens zu vernachlässigen.
Am Ende steht László wieder am Anfang. Eine Kapitulation vor der Kapitulation. Der Roman ist ein wild-zärtlicher Offenbarungseid. Eine Geschichte über die Vergeblichkeit, sich selbst zu entkommen. Über die Unmöglichkeit eines Künstlers der Kunst zu entfliehen. Große Empfehlung!
- Autor: Michel Decar
- Titel: Kapitulation
- Verlag: Verlagsname MÄRZ Verlag
- Erschienen: September 2023
- Einband: Gebundene Ausgabe
- Seiten: 218 Seiten
- ISBN: 978-3755000242
Wertung: 13/15 dpt