Auf zum Mars, Lady Astronaut
Am Ende meiner Rezension zum ersten „Lady Astronaut“ Band „Die Berechnung der Sterne“ auf phantastisch-lesen fragte ich mich selbst, ob ich die Reihe weiterlesen möchte. Die Exit-Strategie in Kowals alternativen 50er Jahren, die Menschheit vor der kollabierenden Erde auf den Mars zu retten, überzeugte mich nicht so ganz. Jedoch mag ich Elma und ihren Kampf um Anerkennung als Wissenschaftlerin und Astronautin. Gepfiffen auf die Plausibilität der Science – ich möchte mehr von Lady Astronaut lesen.
Zu Beginn von „Für die Sterne bestimmt“ arbeitet Elma als Shuttle-Pilotin auf dem Mond. Nach drei Monaten kehrt sie nach Hause zu Ehemann Nathaniel zurück, entschlossen ihre Karrierepläne zurückzustellen und mit ihm eine Familie zu gründen. Doch sie rechnete nicht mit den „Earth First“ Aktivisten, die sich ganz ähnliche Fragen zur Mars-Besiedlung stellen, wie ich. Eine Überlebenschance für alle Menschen? Oder doch nur für eine Auswahl reicher, weißer Bürger:innen? Dem Überfall der Gruppe auf das Mond-Shuttle, das Elma nach Hause zur Erde bringt, folgt ein Umschwung in der öffentlichen Meinung. Dem Mars-Projekt fehlt zunehmend die Unterstützung und so droht ihm bereits das Aus, bevor auch nur eine Rakete sich auf den Weg zum roten Planeten macht.
Lady Astronaut soll dem Projekt wieder Popularität verleihen und so wird sie in das Mars-Corps berufen. Zum Unmut der Kolleg:innen, denn jemand muss ihr den Platz räumen. Keine Zeit für ein schlechtes Gewissen, das Vorbereitungstraining läuft bereits. Und je näher der Abflug kommt, desto mehr kehrt Elmas Begeisterung zurück. Obwohl Colonel Parker die Mission anführt, mit dem sie eine konfliktreiche Vergangenheit hinter sich brachte. Obwohl Rassismus und Sexismus der 60er Jahre vorherrschen. Obwohl immer wieder Streitigkeiten und Ausschluss aufkommen. Und obwohl verhängnisvolle technische Probleme an Bord der Raumschiffe und auf der Erde die Mission zum Himmelfahrtskommando werden lassen.
Hausfrauen-Alltag und andere Unannehmlichkeiten
„Für die Sterne bestimmt“ von Mary Robinette Kowal ist also der zweite Band der „Lady Astronaut“ Reihe, die eine Alternativhistorie zum Aufbruch der Menschheit ins All erzählt. Der erste Band „Die Berechnung der Sterne“ beginnt damit, dass die in den 50ern beginnende Raumfahrt ihre Entwicklung enorm beschleunigt. Ein Meteorit hatte weite Teile der Erdoberfläche zerstört und einen eskalierenden Klimawandel ausgelöst. Die Menschheit erwählte den Mars zum Planeten B.
Der Autorin gelang das Kunststück, die Raumfahrtgeschichte mit dem technologischen Stand der 50er und 60er Jahre weiterzudenken. Vor allem aber integrierte sie den entsprechenden Zeitgeist in ihr Alternativweltszenario. Die meisten Bücher über die Anfänge der Raumfahrt sind Geschichten über mutige und technikbegeisterte weiße Männer. „Lady Astronaut“ hingegen erzählt über mutige und technikbegeisterte Frauen und Männer jeglicher Hautfarbe. Und ihren Konflikten infolge der sexistischen und rassistischen Geisteshaltung Mitte des 20. Jahrhunderts.
Elmar bereitet sich auf die anstehende Marsmission vor. Hauptsächlich wird sie für die Berechnung der Kursparameter verantwortlich sein, jedoch auch alle anderen Pflichten übernehmen, die auf der Mission so anfallen. Mary Robinette Kowal beschreibt nicht nur die technischen Herausforderungen, sondern auch die gesellschaftlichen Probleme der Crew. Astronaut DeBeer aus Südafrika, wo Apartheid zum Alltag gehört, kann es nicht lassen, rassistische Scherze auf Kosten seiner Schwarzen Kolleg:innen zu reißen. Und warum sind eigentlich ausschließlich Frauen für den Wäschedienst an Bord der Mars-Raumschiffe Niña und Pinta eingeteilt?
Tiefe Beziehungen im Wandel
In der Rezension zu „Die Berechnung der Sterne“ hatte ich kritisch angemerkt, dass sich der Plot doch sehr auf die Protagonistin Elma fokussiert. Natürlich steht Elma als Frau, Jüdin und Astronautin auch in „Für die Sterne bestimmt“ im Mittelpunkt. Jedoch werden die Beziehungen zu ihren Kollegen und Kolleginnen detaillierter beschrieben. Und somit auch die Nebenfiguren eingehender charakterisiert. Elma hat einen schwierigen Stand in der Crew und liefert sich heftige Streitigkeiten mit Kalkulatorin Florence. Es dauert lange, bis sie an Bord so etwas wie freundschaftliche Bande knüpfen kann und gewinnt schließlich das Vertrauen der muslimischen Ärztin Kamilah (eigentlich eine trans-Person, die sich selbst Kam nennt, sich aber nicht outen kann). Sehr spannend entwickelt sich allerdings ihre Beziehung zu Colonel Stetson Parker. Aus dem Gegenspieler im Krieg, den Elma aufgrund seines sexistischen Verhaltens meldete, entwickelt sich absolut glaubwürdig gegenseitiger Respekt und ein Miteinander auf Augenhöhe.
Ein engerer Fokus tut gut
Während sich der Auftakt der „Lady Astronaut“ Reihe mit vielerlei Aspekten wie dem Meteoriteneinschlag, dem alternativen Beginn der Raumfahrt, Elmas Kampf um ihre Karriere und schließlich der ersten Mond-Mission beschäftigte, fokussiert sich „Für die Sterne bestimmt“ auf den Flug zum Mars. Dieser engere Blickwinkel tut der Geschichte gut und ermöglicht eben eine tiefere Charakterisierung mit insgesamt mehr Liebe zum Detail. Spannend zu lesen sind die Beinahe-Katastrophen im All, Spaß machen aber auch die menschlichen Marotten der Crew wie Heidis Alpenpanorama und Elmas Schachbrettkuchen in der Kombüse. Etwas eigenartig wirkt, dass die Tragödien und Unglücke immer auf dem Partnerschiff Niña stattfinden und Elma von der Pinta zur Hilfe eilt. Nun ist Elma klar als Heldin der Geschichte vorgesehen, jedoch bleibt sie mit ihren persönlichen Fehlern und Konflikten trotzdem authentisch.
Noch mehr davon?
Ich finde „Für die Sterne bestimmt“ wäre ein runder und somit sehr geeigneter Abschlussband der „Lady Astronaut“ – Serie gewesen. Die Mars-Mission wurde abgeschlossen, eine Perspektive für die Menschheit in Aussicht gestellt. Der in den USA bereits erschienene dritte Band „The Relentless Moon“ geht offensichtlich näher auf die sich gesellschaftlich und klimatisch wandelnde Situation auf der Erde ein, während Elma den Mars erobert. Und stellt eine andere Protagonistin aus „Die Berechnung der Sterne“ in den Mittelpunkt. Tatsächlich würde ich sehr gern mehr darüber erfahren, wie sich die Situation auf der Erde entwickelt und bin auf die neue Perspektive gespannt. Also ja, noch mehr von „Lady Astronaut“, bitte.
Ein dickes Lob möchte ich der Übersetzerin Judith C. Vogt aussprechen, die die lebendige und dynamische Erzählweise der Autorin Mary Robinette Kowal wunderbar eingefangen und ins Deutsche übertragen hat.
- Autor: Mary Robinette Kowal
- Titel: Für die Sterne bestimmt
- Teil/Band der Reihe: Lady Astronaut, Band 2
- Originaltitel: The Fated Sky
- Übersetzerin: Judith C. Vogt
- Verlag: Piper Verlag
- Erschienen: 10/2022
- Einband: Klappenbroschur
- Seiten: 432
- ISBN: 978-3-492-70734-3
- Sonstige Informationen:
- Produktseite „Für die Sterne bestimmt“
Wertung: 11/15 dpt