Im Odessa der 1970er Jahre herrscht vor allem ein Gesetz – das des Stärkeren.
Die dreckige Kleinstadt in Texas ist geprägt von dem Rhythmus der Ölkonzerne. Männer reisen an, um am Wohlstand des Ölbooms teilzuhaben, obwohl sie nur die Arbeiter sein werden, die ihre Tage in der staubigen Wüste verbringen müssen, um anderen Männern die Taschen zu füllen. Verrohung, Alkohol Schmutz gehört ebenso zu Odessa wie die Highschool-Mädchen, deren Körper kaum vorbereitet sind für die Babys, die sie bald austragen werden.
Als eines Tages die vierzehnjährige Gloria Ramírez auf der Veranda von Mary Whitehead auftaucht, gerät die Stadt in einen weiteren Strudel aus Gewalt. Gloria wurde vergewaltigt und so sehr verletzt, dass es ein Wunder ist, dass sie überlebt. Die Frauen von Odessa kennen die Auswirkungen des Ölbooms: Zahlreiche Fremde kommen in den Ort, und keine Frau ist mehr sicher. Doch mit Gloria endet ihre Rolle als Opfer. Denn nicht nur Mary Whitehead erkennt die Ungerechtigkeit, die in diesem Land herrscht. Auch Corinne, die versoffene Witwe und ehemalige Lehrerin, erhebt sich gegen die Männergewalt.
„Wir sind dieser Staub“ ist ein Roman, der sich genauso dreckig liest, wie sein Titel vermuten lässt. Die Atmosphäre ist aufgeheizt, bedrohlich, hoffnungslos. Elizabeth Wetmore gelingt es, genau dieses Spannungsfeld durch ihre Sprache und Charaktere zu vermitteln.
Dabei handelt dieser Roman von mehr als von der Gewalt gegen Frauen. Es handelt vom Verhältnis zwischen Frau und Mann. So beschreibt Corinne die Ungerechtigkeit, die Frauen widerfährt, als ihre Männer aus dem Krieg heimkehren. Frauen genießen dabei so lange die von Arbeit geprägte Freiheit, bis sie abermals unterdrückt und wie Eigentum behandelt werden.
Besonders hervorgehoben wird das Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern während einer Gerichtsverhandlung, wo Mary Whitehead aussagen soll, was auf ihrer Veranda vorgefallen ist. Der Richter ist voreingenommen. Es sind fast ausschließlich Männer anwesend. Die Männer zeigen sich solidarisch mit dem Jungen, der Gloria Ramírez misshandelt hat. Immerhin wäre sie freiwillig mit ihm gegangen. Deswegen das Leben eines tüchtigen Mannes ruinieren?
Während der Verhandlung beschreibt Mary, wie ihr ihre Strumpfhose in den Unterleib schneidet wie ein Einweckring. Bezogen auf die derzeitige Situation von Frauen ließe sich die Metapher auf deren einengende und schmerzhafte Rolle als Unterlegene interpretieren.
Neben all den Männern, die auf ihre Frauen herabschauen, erscheint der obdachlose Jesse wie ein Gegenbild. Jesse ist ein ehemaliger Soldat, dessen Truck von einem Verwandten gestohlen wurde. Er möchte das Auto zurückhaben, da er sich sonst nicht nach Hause wagt. Hierfür muss er arbeiten, bis er genügend Geld gespart hat, um den Wagen abzukaufen.
Jesse übernachtet in einem Kanal und arbeitet in einem Stripclub als Reinigungskraft. Er ist gezeichnet vom Krieg, vor allem dadurch, dass er nur noch auf einem Ohr etwas hören kann. Auf seinem „guten“ Ohr liegt seit Kurzem ein Dröhnen.
Jesse ist so gut, dass der Verdacht aufkommt, dass sich ein Monster in ihm verbirgt. Dieser Verdacht verschärft sich, als sich das heruntergekommene Mädchen D.A. mit ihm anfreundet.
Wenn sie nichts davon weiß, ist es Diebstahl, sagt Jesse.
Es ist kein Diebstahl, wenn man die Sachen zurückbringt.
Und wenn du auf dem Rückweg einen Unfall hättest, würde ich mir das nie verzeihen.
Wird nicht passieren.
Wenn du ein bisschen älter wärst vielleicht, dreizehn oder sogar zwölf.“
Neben dem Frauenhass, der nicht mal als Frauenhass wahrgenommen wird, sondern als ein gewöhnliches Verhältnis zwischen den Geschlechtern, wird das Thema Rassismus angesprochen. Da das Opfer Gloria mexikanischer Abstammung ist, wird die Vergewaltigung heruntergespielt. Mexikaner werden als Menschen zweiter Klasse betrachtet, sofern sie überhaupt als Menschen angesehen werden. Vor allem Gloria wird dem Hass in doppelter Heftigkeit ausgesetzt. Sie ist weiblich und hat einen Migrationshintergrund. Auch dieser Umstand spielt innerhalb der Justiz eine bedeutende Rolle und zeigt, dass Recht oftmals nichts mit Recht zu tun hat.
Odessa ist ein Dreckskaff. Staubig. Das Wasser stinkt ebenso wie die Luft. Die Männer sind Prolls und Säufer. Hart und doch erbärmlich in ihrem Elend, in dem sie früher oder später umkommen. Die Frauen sind Beiwerk. Manchmal enden sie als ein Häufchen verbrannter Kohle auf irgendeinem Feld.
Der letzte Teil des Romans ist durchzogen von Sprüchen dieser Art, die die Verkommenheit des Ortes widerspiegeln, welche sich durch die gesamte Geschichte zieht.
Die Handlung wird wiedergegeben aus der Sicht unterschiedlicher Frauen. Die wenigstens dieser Protagonistinnen sind sympathisch. Allesamt erscheinen sie selbst zu verkommen, als dass man ihnen als Leser*in Glück wünschen könnte. Einzig die kleine D.A. und Gloria machen eine Ausnahme. Doch gerade hier liegt eine wichtige Aussage: Niemand hat Gewalt verdient! Auch wenn die Person nicht immer gut handelt!
Fazit:
„Wir sind dieser Staub“ beinhaltet eine gewaltige Sogkraft. Dabei geht es nicht darum, Pageturner im Sinne eines schnellen Thrillers mit eskapadischen Gewaltszenen dazustellen. Dieser Roman überzeugt durch seine Charaktere und deren Wandlung innerhalb eines Ortes, der nichts bereithält für diejenigen, die sich Besseres wünschen.
- Autorin: Elizabeth Wetmore
- Titel: Wir sind dieser Staub
- Originaltitel: Valentine
- Verlag: Eichborn Verlag/Bastei Lübbe AG
- Erschienen: 24.02.2023
- Einband: Taschenbuch
- Seiten: 319
- ISBN: 978-3-8479-0139-6
- Produktseite
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Wertung: 13/15 dpt