Hinterwäldler gegen Großstädter

In dem verschlafenen Nest Cardiff in Vermont passiert wenig, es sei denn, Rhumba ist mal wieder mit sich und der Welt unzufrieden. Es kotzt ihn alles an und dieses Mal, ja wirklich, will er seine Frau und die Kinder umbringen. In einer kleinen Hütte im Wald hat er sich verbarrikadiert, Captain Dwight Farrabaugh von der State Police ist kurz davor diese zu stürmen und dem Ganzen ein Ende zu setzen. Die Hoffnungen liegen daher bei County-Sheriff Lucian Wing; als „Abreger“ bekannt. Deeskalation ist seine Stärke, reden statt handeln, in der Ruhe liegt die Kraft. Nach kurzem Wortwechsel scheint die Welt wieder in Ordnung, stünde vor seinem Büro nicht eine dicke, schwarze Limousine, die hier ganz eindeutig nicht hingehört.
Anwalt Carl Armentrout aus New York ist im Auftrag seines Chefs, dem milliardenschweren Rex Lord, auf der Suche nach dessen siebzehnjähriger Stieftochter Pamela, die anscheinend aus ihrem Internat in Massachusetts abgehauen ist. Da ihr Schulfreund Duncan March in Cardiff lebt, vermutet man die beiden vor Ort. Wing kennt die Gegend bestens, er solle das Mädchen suchen, andernfalls würde Lord seine eigenen Leute schicken, was niemand sich wünschen kann. Mit seinem neuen Deputy Roland Treat macht sich Wing auf die Suche und findet die beiden Teenager in einem Zelt, nahe des abgelegenen Hauses von Miss Constance Truax, einer betagten alten Dame. Wing kommt nach einem Gespräch mit den Teenagern zu dem Ergebnis, dass er Armentrout nicht trauen mag und unternimmt erstmal nichts. Wenig später ist das Zelt verwüstet, Schüsse sind gefallen, doch Pam und Duncan konnten sich im Wald verstecken. Ein neues Versteck muss her, aber auch hier werden die jungen Leute bald gefunden. Es droht unruhig zu werden in Cardiff, zumal noch Big John, ein monströser Keiler, entlaufen ist.
Sheriff Wing zum Dritten
Nach „Auf die sanfte Tour“ und „Der Klügere lädt nach“ ist der vorliegende Roman bereits der dritte Fall für Sheriff Wing, der sich einmal mehr mit seiner Frau Clemmie in den Haaren liegt und auf seinen Schwiegervater, den Anwalt Addison Jessup, angewiesen ist. Zu allem Überfluss mischt sein betagter Vorgänger Wingate ebenfalls mit. Die kauzigen, lakonischen Dialoge überwiegen die Handlung, die für Castle Freemans Verhältnisse recht actionreich ausfällt. Fein herausgearbeitet wird der ewige Streit zwischen Großstädtern und Dorfbewohnern, hier den Hinterwäldlern aus Cardiff, die nur selten aus ihrem Nest herauskommen. Man ist sich in gegenseitiger Abneigung verbunden, will mit der unbekannten Welt der anderen nichts gemein haben. So verwundert es denn nicht, dass Wing schnell Zweifel an den hehren Absichten des topgekleideten Anwalts hat, der sich im Übrigen alles andere als vornehm erweist.
„Und jetzt drehe ich durch.
Die Handlung besteht überwiegend aus Flucht, denn Pam und Duncan müssen ein ums andere Mal ihr Quartier wechseln, denn zwei von Armentrout eingesetzte Muskelprotze finden scheinbar mit Leichtigkeit immer wieder ihr Ziel. Viel zu spät wird Wing den Grund dafür entdecken. Nun könnte sich Wing natürlich Hilfe holen, um der Menschenjagd ein Ende zu bereiten, doch die Hilfe der State Police ist das Letzte was er möchte. Selbst hier gibt es wohlgehegte Abneigungen.
Die Wing-Romane von Castle Freeman sind ein wenig Country Noir, Stadt gegen Land und ein Loblied auf die eigenbrötlerischen Hinterwäldler, die ihre Probleme auf ganz eigene Art lösen, wie schon die Romantitel verraten. Schräge Dialoge, die einen mehr als nur schmunzeln lassen, sind die wichtigste Ingredienz Freemans. Wer auf schrägen Humor steht, sollte zugreifen.
- Autor: Castle Freeman
- Titel: Herren der Lage
- Originaltitel: Children of the Valley. Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren
- Verlag: Hanser
- Umfang: 183 Seiten
- Einband: Hardcover
- Erschienen: Juli 2021
- ISBN: 978-3-446-27075-6
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Wertung: 12/15 dpt