„Ein Koffer voller Briefe“ steht am Anfang von Stefanie Greggs gleichnamigen Roman. Täglich hat Isabella einen Brief an ihren Geliebten Elias geschrieben, jedoch hat sie keinen ihrer Briefe an ihn je abgeschickt, sondern alle in einem Koffer gesammelt. Als nach Isabellas Suizid die Polizei vor Elias‘ Tür steht und diesen mit dem sonderbaren Nachlass konfrontiert, um den Tod der Frau aufzuklären, ist Elias völlig überrascht. Denn er kannte die Verstorbene, hatte als 18-jähriger eine kurze Beziehung mit ihr, sie danach aber über Jahrzehnte nicht mehr gesehen.
Das Rätsel um die Briefe löst bei Elias eine Flut von Erinnungen und Schuldgefühlen aus. Der alleinerziehende Witwer erinnert sich an seine „wilden Jugendjahre“, in denen er so manches Herz gebrochen hat. Er fühlt sich für Isabellas Tod mitverantwortlich und blickt selbstkritisch auf seine Vergangenheit. Die Schuldgefühle bringen ihn dazu ein ungewöhnliches Projekt zu starten: Er schreibt eine Liste mit allen Menschen, denen er vermeindlich Schaden zugefügt hat, und startet eine große Wiedergutmachungskampagne.
Gregg konstruiert aus der Grundidee ihres Romans – dem nach eigener Angabe eine reale Geschichte zugrunde liegt – einen klugen Plot, der die vielen kleinen und großen Handlungsfäden stimmig zusammenführt.
Die Fragen, die sie dabei aufwirft sind grundsätzlich menschlicher Natur: Welche Schuld lädt jeder im Laufe eines Lebens womöglich auf sich? Wie weit reicht unsere Verantwortung, für die Menschen, mit denen wir zu tun haben? Wie wirken sich seelische Verletzungen aus, auf Opfer ebenso wie auf Verursacher?
Es geht um Schuld, aber auch um die reinigende Kraft der Vergebung. Gregg porträtiert mit Elias einen Menschen, der im Laufe seines Lebens Fehler gemacht hat und diese rückblickend bereut. Der Akt der Wiedergutmachung verändert nicht nur das Leben derjenigen, die durch ihn verletzt wurden. Auch er erfährt Trost und eine neue Chance.
Die Autorin schildert die Entwicklung ihrer Hauptfigur mit viel Empathie. Elias ist kein Monster, sondern einfach nur ein Mensch, der darum ringt, das Beste zu geben. Die Last, als alleinerziehender Vater allem gerecht zu werden und die eigenen Bedürfnisse zu verdrängen, macht auch ihn zu einem Opfer der Umstände.
„Koffer voller Briefe“ punktet auch mit seinen vielen authentischen Charakteren, die die Autorin ganz nah an ihre Leser:innen heranbringt. Durch die zahlreichen Dialoge lässt sie diese selbst zu Wort kommen. Und auch sonst ist Greggs Sprache sehr klar und eingängig und am Alltagsleben orientiert. Der Sog, den sie dabei erzeugt, macht den Roman zum echten Pageturner. Immer wieder unterbrechen Isabellas Briefe den Fortgang der Handlung, kurze Atempausen, die das Geschehen reflektieren lassen und ganz langsam eine zweite Geschichte freilegen, deren Hintergründe die tragische Obession der Briefeschreiberin erklären.
Stefanie Gregg ist eine gute Mischung aus warmherziger Unterhaltung und lebenskluger Reflexion gelungen. Der Roman liest sich schnell weg, hallt jedoch noch eine ganze Weile nach. Eine wunderschöne Geschichte, die trotz schweren Themas, viel Hoffnung bereithält.
- Autor: Stefanie Gregg
- Titel: Koffer voller Briefe
- Verlag: edition federleicht
- Erschienen: August 2023
- Einband: Broschiert
- Seiten: 240 Seiten
- ISBN: 978-3946112884
Wertung: 12/15 dpt