Simone Hirth – Malus (Buch)

© Kremayr & Scheriau

Eva will raus aus dem Paradies mit Adam. Sie hat von der Erkenntnis gekostet und entscheidet sich für ihr eigenständiges Denken, was sie in unsere Gegenwart hineinkatapultiert. Sie ist eine Frau, ohne berufliche Ausbildung, ohne Einkommen. Sie besitzt nichts außer ihre Erfahrung und muss sich ein Leben aufbauen.

Adam ist erbost. Er ist gegen die Scheidung und wird ebenfalls in unsere Gegenwart hineinkatapultiert. Er findet sich zurecht in unserer Welt. Denn sie ist ein männerfreundlicher Ort. Und er hat Unterstützung. Die Religion räumt ihm ein Recht ein, das Frauen verwehrt bleibt.

Eva flieht, doch Adam folgt. Wie wird diese Geschichte ausgehen in unserer Welt?

»Malus«. Äpfel. Laut der biblischen Legende bringt dieser eine Apfel Erkenntnis. Laut der biblischen Legende wird Eva von der Schlange verführt und verführt wiederum Adam, woraufhin sie bestraft wird. Mit Schmerzen. Laut der biblischen Legende wurde Eva aus der Rippe Adams geschaffen und ist ihm somit unterlegen. Sie ist ein Teil des Mannes.

Die preisgekrönte und vielfach nominierte Autorin Simone Hirth hat das erste Menschenpaar der Weltgeschichte genommen (es sei hier darauf hingewiesen, dass die Kirchen mittlerweile darin übereinstimmen, dass Adam und Eva metaphorisch zu betrachten sind), um dessen Geschichte auf die Gegenwart zu übertragen.

Die Handlung spielt in Österreich und verkörpert somit eine Geschichte von Flucht von Frauen vor gewalttätigen Männern in westlichen Gesellschaften.

Eva stellt dabei eine Frau dar, die vor ihrem narzisstischen Ehemann flieht, um ein Leben in Frieden und Freiheit zu verbringen. Sie möchte ihren Körper nicht mehr für seine Triebe hingeben. Sie möchte ihn auch nicht mehr als Mittelpunkt ihres Universums betrachten.

Adam hingegen reagiert wütend. Seine Wut und sein Terror nehmen Überhand, als Eva herausfindet, dass sie von ihm schwanger ist.

Im weiteren Verlauf können die Leser*innen Eva dabei begleiten, wie sie sämtliche offiziellen Hilfen in Anspruch nimmt und dabei doch völlig allein mit ihrer Angst bleibt.

»Ein Trennungsstreit also, sagt der Polizist, schnell zusammenfassend, als wolle er endlich zum Schluss kommen.

Eva zuckt zusammen bei dem Wort. Sagt dann vorsichtig: Ja, aber…

Das kommt vor, sagt der Polizist, verlassen wird niemand gern. Das steckt keiner leicht weg.

Ja, aber, sagt Eva. Er war… er war sehr… er… also ich dachte, er würde mich… er könnte mich… er war ganz neben sich. Außer Kontrolle. Seine Augen waren… so fremd. Ich hatte wirklich… Angst.

Jetzt ist er ja weg, sagt der Polizist, tröstend, wie zu einem Kind, das schlecht geträumt hat.«

Eva erstattet Anzeige. Sie ruft die Polizei. Sie engagiert eine Anwältin. Doch anhand ihrer Geschichte lässt sich zu deutlich ablesen, wie wenig Frauen in Evas Situation ernstgenommen werden, während Täter nur allzu gut geschützt werden.

Die biblische Thematik zieht sich durch den gesamten Roman. Von Anfang bis Ende isst Eva Äpfel. Die Schlange tritt immer dann auf, wenn Eva sie am ehesten braucht. Ihre beste Freundin ist Magdalena, welche vom Christentum als Hure stigmatisiert wird. Ihre Hebamme ist Johanna, die die Last des Scheiterhaufens mit sich tragen muss.

»Malus« ist eine Geschichte von Frauen, die von der christlichen Religion verdammt wurden und ein Abbild von Frauen unserer gegenwärtigen Gesellschaft darstellen. Sie sind die Geschiedene, die es gewagt hat, ihren Mann zu verlassen. Sie sind die Frau, die sich für offene Liebe entscheidet. Sie sind die Frau, über die geredet wird, wenn sie einige Meter weiter vorne in der Kassenschlange im Supermarkt steht. Sie sind die Frau, die es wagt, gegen ein System anzugehen, dass von und für Männer geschaffen wurde. Sie sind keine Maria.

Was besonders hervorgehoben werden sollte, ist die Bedeutung Gottes für »Malus«. Hier wird Gott als der übermächtige Freund des Mannes dargestellt, was sich auf die biblischen Erzählungen stützt. Die Geschichten der Bibel zeichnen ein klares Bild der Frau. Eine Frau hat fleißig und unterwürfig zu sein. Sie ist der Besitz des Mannes. Vor allem Maria wird aufgrund ihres uneingeschränkten Jas zu Gott verehrt. Dem gegenüber stehen Eva als die Verführerin und Maria Magdalena als die Hure, die ein Abbild des Schändlichen darstellen. Historisch betrachtet lassen sich diese Frauenbilder auf die gesellschaftlichen Strukturen zur Entstehungszeit der einzelnen Schriften erklären.

Simone Hirth schafft es mit ihrem Roman, das übertragene christliche Gottesbild zu hinterfragen und somit die gesamte Religion in Frage zu stellen. Denn: Wie können Menschen an einen Gott glauben, der ungerecht wäre? Es kommt also die Frage auf, wer profitiert, wenn Gott auf diese Weise gezeichnet wird.

Gleichzeitig zeigt sie auf, wie schwierig es ist, sich von diesen Bildern zu lösen. Immer wieder fragt sich Eva, ob sie richtig handelt. Sie zweifelt an sich. Gott könnte an dieser Stelle als die Gesellschaft und deren Ansprüche an Frauen darstellen. Ebenso weist das Buch daraufhin, wie lange überholte Frauenbilder überdauern.

Interessant erscheint auch die Figur des Paul. Paul ist ein Mann, den Eva kennenlernt. Er ist der klassische gute Kerl. Trotzdem kommt bei dem Namen der Verdacht auf, dass sich hinter Paul auch einmal ein Saulus befunden hat.

Paul verhält sich stets korrekt. Er ist gern mit Eva zusammen. Er meldet sich bei ihr. Er bedrängt sie nicht. Er nimmt sie an, wie sie ist – schwanger und in einer Krise. Er mag sie und möchte eine Beziehung mit ihr.

Gleichzeitig sehen die Leser*innen hilflos dabei zu, wie der gute Kerl passiv bleibt. Er ist ein guter Kerl. Und wenn er gebraucht wird, bleibt er unsichtbar.

Fazit

“Malus” ist ein grandioses Werk, das mit biblischen Symbolen spielt und eine starke Aussagekraft erzeugt. Es prangert an. Namentlich. Die Pauls, alle guten Kerle, die stumm bleiben, wenn wieder ein weibliches Opfer öffentlich verleumdet und der Täter in Schutz genommen wird. Die Beamten, die untätig bleiben und lediglich beruhigen, wenn wieder mal eine verängstigte Frau ohne Beweise vor ihnen sitzt. Die Gesellschaft, die klar Stellung bezieht, wenn sich jemand aus eine ihrer Schubladen befreit hat.

Eine Geschichte, die nicht Fiktion ist. Und die in ihrer Aktualität so sehr erschüttert, dass sie Gänsehaut erzeugt!

  • Autorin: Simone Hirth
  • Titel: Malus
  • Verlag: Kremayr & Scheriau
  • Erschienen: 14. August 2023
  • Einband: Hardcover mit Schutzumschlag
  • Seiten: 176
  • ISBN: 9783218014106

Wertung: 15/15 dpt

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