Maximale Optimierung des Menschen über den Tod hinaus
Jahre ist es her, dass Julia Sanders ihren Sohn Michael gesehen hat. Gemeinsam mit ihrem Mann Henry freut sie sich auf das Treffen in ihrer Wahlheimat New York, doch dieses endet in einem Streit, da Julia einmal mehr Michaels wichtigste Frage nicht beantwortet; jene, nach der Identität seines leiblichen Vaters. Bevor Michael verärgert die elterliche Wohnung verlässt, berichtet er von einer Tagung in San Francisco, die er am nächsten Tag besuchen will. Seine Facharztausbildung in Berlin ruht, er arbeitet derzeit als Journalist und will einen Artikel über Transhumanismus schreiben. Immerhin sagt er zu, in zwei Wochen an einer Ehrung von Henry teilzunehmen. Wenig später verliert sich seine Spur.
„Klingt für mich nach Eugenik.“
„Ist es in gewisser Weise auch. Nur, dass nicht der Staat dahintersteckt, wie in der Zeit des Nationalsozialismus, sondern der Markt. Oder besser gesagt, die Leistungssteigerungsgesellschaft.
Da Michael immer absolut zuverlässig war, macht sich Julia auf die Suche nach ihrem Sohn und versucht zunächst, die Teilnehmer an besagter Konferenz zu befragen, was sich als recht schwierig erweist. Transhumanisten wollen den Menschen optimieren, mit Hilfe von Technik zum ewigen Leben verhelfen, denn für sie ist der Tod nur ein technisches Problem. Kein Wunder also, dass man lieber im Geheimen wirkt, wenn beispielsweise Verjüngungstherapien für teures Geld angeboten werden, bei denen den Patienten Teenager-Blutplasma injiziert wird, oder Menschen in einer Kryonikanlage für ein Leben in der Zukunft in flüssigem Stickstoff einlagert werden.
Julia recherchiert und muss bald erkennen, dass sie sich mit mächtigen Gegnern eingelassen hat. Michael erhielt nach dem Kongress von einer Teilnehmerin per Mail einen Zeitungsartikel über den Herztod eines vierjährigen Jungen in Seattle. Einen weiteren Teilnehmer findet Julia erhängt in dessen Garage. Ein Suizid? Wo es um Milliarden geht, sind Menschenleben wenig wert. Dazu drängt sich plötzlich wieder die Frage in den Vordergrund, was eigentlich mit Andrej passierte? Vor achtundzwanzig Jahren erzählte man Julia, dass Michaels Vater ermordet wurde. In einem Internetartikel liest sie nun, er sei vor wenigen Monaten in Russland ertrunken. Aber hat sie ihn nicht erst kürzlich vor ihrem Haus gesehen?
Auftakt der Kryo-Trilogie
Petra Ivanov startet mit „Die Verheißung“ die Kryo-Trilogie, deren erster Teil mit einer durchaus akzeptablen Zwischenlösung endet. Mehrere Verbrechen werden aufgeklärt, so dass sich die Lektüre selbst dann lohnt, wenn man die beiden ausstehenden Bände („Die Versuchung“ und „Die Verfehlung“; angekündigt für Februar sowie August 2024) nicht mehr lesen möchte. Dies dürfte allerdings unwahrscheinlich sein, denn neben einem packenden Erzählstil ist nicht zuletzt die außergewöhnliche Hintergrundstory, sprich der Transhumanismus und weitere bedenkliche Forschungsarbeiten, fesselnd. Man muss sich halt darauf einlassen, denn es mutet schon sehr nach Science-Fiction an.
„Sagen wir, ich halte es für wahrscheinlich, dass die synaptische Funktionsweise des Gehirns die Kryokonservierung übersteht. Und dass wir das menschliche Bewusstsein in naher Zukunft auf einen Computer übertragen können und so zumindest die digitale Unsterblichkeit erlangen werden.
Die Geschichte teilt sich in mehrere Erzählstränge, so dass sich etliche Cliffhanger ergeben. Die kurz gehaltenen Kapitel treiben zusätzlich voran, man möchte, ja man muss weiterlesen. Ein gewisses Maß an Konzentration ist zwingend erforderlich, sonst hat man zunächst ebenso wenig Durchblick wie die Protagonistin. Dies soll sich später ändern und dann geht Julia in ihrer Rolle als besorgte Mutter richtig auf und verbündet sich sogar mit einem vermeintlichen Feind, dessen Firma ein Mittel gegen den Tod finden will.
Der Traum von Unsterblichkeit, wer träumt ihn nicht, doch angesichts des Weges, der hier aufgezeichnet wird, erscheint diese Verheißung nicht mehr ganz so erstrebenswert. Aus Menschen werden sogenannte Anthrobots mit digitaler Unsterblichkeit. Dass man so enden möchte darf bezweifelt werden, dessen ungeachtet bietet „Kryo – Die Verheißung“ in vielerlei Hinsicht spannende Unterhaltung.
- Autorin: Petra Ivanov
- Titel: Kryo: Die Verheißung
- Verlag: Unionsverlag
- Umfang: 352 Seiten
- Einband: Taschenbuch
- Erschienen: August 2023
- ISBN: 978-3-293-00596-9
- Produktseite
Wertung: 12/15 dpt