Der Mörder ist bedenklich nah
Rita Girardi arbeitet als Bibliothekarin in der Geologischen Bundesanstalt von Wien, wo sie in einem für die Öffentlichkeit zugänglichen Werk ihres Vorgesetzten, dem Hofrat Adam Wallner, plötzlich kryptisch anmutende Bleistiftnotizen entdeckt. Ein Sakrileg für die engagierte junge Frau, denn so eine Verunstaltung der Bücher geht nun mal gar nicht, zumal die Anmerkungen auch keinen erkennbaren Bezug zum eigentlichen Text haben. Verärgert radiert Rita die Notizen aus.
Nach der allwöchentlichen Chorprobe bietet der Gynäkologe Dr. Albrecht Huber Rita an, diese nach Hause zu begleiten. Schließlich wohnt Rita am Arenbergpark, in dem ein Mann erstochen wurde. Die „Reichspost“, für die Rita nebenbei als Buchrezensentin schreibt, berichtete auf der Titelseite über den Mord. Zwei Tage später erfährt Rita von ihrer neugierigen Nachbarin, Frau Wobralek, dass es sich bei dem Toten um Richard Mayr, Ritas direkten Wohnungsnachbarn, handelt.
Kurze Zeit später entdeckt Rita erneut eine Bleistiftnotiz in Wallners Buch, während die Polizei unter der Leitung von Kommissar Julius Hechter bereits den nächsten Mordfall zu lösen hat. In unmittelbarer Nähe der Geologischen Bundesanstalt, am Palais Rasumofsky, wurde ein Bettler erstochen aufgefunden. Rita ahnt, dass die Notizen und die Mordfälle zusammenhängen könnten, allerdings finden diese Gedanken wenig Unterstützung. Dabei übersieht Rita, dass die Morde in ihrer unmittelbaren Umgebung stattfanden und sie selber womöglich in Gefahr ist.
Atmosphärisch überzeugender Serienauftakt
Im Gmeiner-Verlag erschienen von Michael Ritter bisher zwei Romane („Wiener Hochzeitsmord“ und „Wiener Machenschaften“), in denen Kriminaloberinspektor Otto W. Fried ermittelte. An seiner Seite der junge und talentierte Julius Hechter, der im vorliegenden Band die Ermittlungen leitet. Sein ehemaliger Chef spielt übrigens nicht mehr mit. Hechter bleibt allerdings erneut nur eine wichtige Nebenfigur, denn die Geschichte ist nahezu ausschließlich an Rita festgemacht, deren Figur an die echte Bibliothekarin namens Margarete Maria Silvia Girardi angelehnt ist. Rita erleben wir als eine ihrer Zeit vorausgehende Frau, die durchaus selbstbewusst auftritt und sich von den Männern nicht so leicht beeindrucken lässt. Es sei denn, sie heißen Albrecht Huber und singen im Kirchenchor. Wäre also der Grundstock für eine Liebesgeschichte gleich angelegt.
Die Geschichte spielt in Wien, Anfang der 1920er Jahre, was ein wenig intensiver hätte herausgestellt werden dürfen; die Nachwirkungen des Krieges böten reichlich Gelegenheit dazu. So aber spielt der Plot im Mikrokosmos der Protagonistin und somit vor allem in der Geologischen Bundesanstalt, in Ritas Wohnung und an wenigen weiteren Orten. Atmosphärisch überzeugt der beschaulich erzählte Roman, was konsequent ist, denn das Berufsleben einer Bibliothekarin dürfte nicht durch allzu viele Actionsequenzen bestimmt sein. Wer es also gern ruhig und gemütlich hat, darf hier einen Versuch wagen. Die Morde, es wird nicht bei den zwei genannten bleiben, führen dazu, dass Rita wiederholt den ermittelnden Kommissar mit ihren Gedanken und Erkenntnissen aufsucht, welcher jene zunächst als Fantasie einer jungen Frau abwehrt. Man muss kein Krimiexperte sein um zu erahnen, dass sich dies bald ändern wird. Wenig Expertise benötigt der Leser auch für die Ermittlung des Täters, denn leider gibt es hier nur die maximal niedrigste Anzahl an verdächtigen Personen. Da wären ein, zwei Blindspuren schon schön gewesen. Da die drei wichtigsten Figuren – Rita, Albrecht und Hechter – durchweg sympathisch sind, darf man sich auf einen weiteren Fall, so es ihn denn geben sollte, freuen. „Die Bibliothekarin und der Tote im Park“ bietet zwar deutlich Luft nach oben, aber das Personaltableau möchte man halt doch wiedersehen.
- Autor: Michael Ritter
- Titel: Die Bibliothekarin und der Tote im Park
- Verlag: Gmeiner
- Umfang: 256 Seiten
- Einband: Taschenbuch
- Erschienen: August 2023
- ISBN: 978-3-8392-0468-9
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Wertung: 10/15 dpt